Eine Zufallsentdeckung mit bedeutenden Folgen – Vor 125 Jahren entdeckte Conrad Röntgen die Röntgenstrahlung

Am 8. November 1895 experimentierte der Physikers Wilhelm Conrad Röntgen in seinem Labor in Würzburg mit Kathodenstrahlen. Diese bestehen aus Elektronen, die nach Freisetzung aus einer Glühkathode durch ein elektrisches Feld in einer Röhre beschleunigt werden. Dabei bemerkte Röntgen, dass trotz einer Abdeckung der Röhre mit schwarzer Pappe fluoreszenzfähige Gegenstände nahe der Röhre zu leuchten begannen. Er sah also Licht, wo es eigentlich gar keines geben durfte. Röntgen erkannte schnell, dass er hier auf etwas ganz Besonderes gestossen war, eine neue Art von Strahlung. Diese hatten eine ganz spezielle Eigenschaft: Sie schienen durch die meisten Formen von Materie hindurchzugehen. Einige Wochen später gelang ihm mit Hilfe seiner Strahlen eine Aufnahme von der Hand seiner Frau, bei der ihre Knochen und ihr Ehering klar zu erkennen sind. Diese erste «Röntgenaufnahme» der Geschichte trug dazu bei, dass Röntgens Entdeckung schnell auch ausserhalb der Zirkel der Physik für Furore sorgte und eine grosse Welle der Begeisterung in der breiteren Gesellschaft auslöste. Innerhalb weniger Wochen berichteten die Zeitungen weltweit davon. Seine Entdeckung war eine der wenigen in der Physik, die selbst den Bauer, Bäcker oder Förster faszinierte. Für einen Berufstand hatten seine Strahlen allerdings wahrhaftig revolutionäre Konsequenzen: Die Mediziner waren vor Begeisterung schier ausser sich, als sie erfuhren, dass sie mit Röntgens Strahlen in das Innere des lebenden Körpers hineinschauen konnte. Heute weiss jedes Kind, was es bedeutet, wenn irgendein Körperteil «geröntgt» werden muss.

Da Röntgen Herkunft und Natur seiner Strahlung nicht kannte, nannte er sie einfach «X-Strahlung» (das «X» stand für «unbekannt»). Dieser Name hat sich in der englischen Sprache bis heute erhalten. Nachdem Röntgen seine Entdeckung anlässlich einer Sitzung der Würzburger Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft am 23. Januar 1896 vor begeisterten Zuhörern aus allen Kreisen der Wissenschaft und Gesellschaft vorgestellt hatte, wurde für die deutsche Sprache die Umbenennung der „X-Strahlen“ in „Röntgen-Strahlen“ vorgeschlagen. Für ihre Entdeckung erhielt Röntgen im Jahre 1901 „als Anerkennung des ausserordentlichen Verdienstes, das er sich durch die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen erworben hat“ den allerersten Nobelpreis für Physik. Die Natur der Röntgenstrahlung als elektromagnetische Wellen (mit sehr hoher Frequenz und damit hoher Energie seiner Photonen) konnte erst 1912 Max von Laue beweisen, wofür auch er 1914 den Nobelpreis für Physik verliehen bekam.

Aber nicht nur für die Medizin stellte die Entdeckung der Röntgenstrahlen den Beginn einer Revolution dar. Auch für die Physik sollten sie von allergrösster Bedeutung sein. Denn sie erwiesen sich als ein wichtiges Puzzlestück für ein den Physikern noch gänzlich unbekannten Bilds. Schon bald sollten viele weitere Puzzleteilchen dieses Bildes auftauchten, die die Physiker dann in mühevoller Arbeit zusammenfügten. Das Bild, das sich ihnen sehr langsam offenbarte, zunächst in vagen Konturen, doch dann immer klarer, war … die Struktur des Atoms!

Inspiriert durch die Ergebnisse Röntgens begann der französische Physiker Henri Becquerel nur kurz nach der Entdeckung der Röntgen-Strahlen mit einer ähnlichen Versuchsanordnung zu experimentieren. Hatte Röntgen gezeigt, dass seine Strahlung in bestimmten Stoffen Fluoreszenzerscheinungen hervorrufen konnte, so erwartete Becquerel, dass fluoreszierende Körper umgekehrt, nachdem sie normalem Licht ausgesetzt waren, wiederum Röntgenstrahlung abgeben. Zum Nachweis seiner Hypothese verwendete er verschiedene Salze des Urans, von denen er wusste, dass sie nach Lichteinwirkung fluoreszieren. Tatsächlich erschienen auf den Fotoplatten entsprechende Verdunklungen. Als er seine Experimente wegen ein paar regnerischer Tage unterbrechen musste, da ihm das Sonnenlicht als Lichtquelle für die Fluoreszenz nicht in ausreichendem Masse zur Verfügung stand, legte Becquerel die Fotoplatten mitsamt den Uransalzen in eine dunkle Schublade. Als er sie wenige Tage wieder herausnahm, erlebte er eine Überraschung: Die Fotoplatten waren stark verdunkelt, obwohl die Uransalze keinerlei Licht ausgesetzt gewesen waren, also nicht hatten fluoreszieren können. Irgendeine andere Strahlung musste die Schwärzung auf den Fotoplatten ausgelöst haben. Ohne es zu wissen, hatte Becquerel das Phänomen der Radioaktivität entdeckt. Dabei wurde klar, dass radioaktive Strahlen mit der Umwandlung von Elementen verbunden sind. Sie mussten ihren Ursprung also in den Atomen haben.

Die verschiedenen Arten von Strahlung faszinierten auch den englischen Forscher Joseph John Thomson. Thomson war besonders von einer schon länger bekannten Art der Strahlung fasziniert, die auch Röntgen in seinen Versuchen verwendet hatte, die Kathodenstrahlung. Die Physiker hatten festgestellt, dass bei Anlegung eines elektrischen Feldes an ein Metall aus diesem eine Strahlung austritt, die sich, anders als Licht, durch magnetische Felder ablenken lässt. Thomson folgerte daraus, dass diese Teilchen elektrisch geladen sind. Thomson bezeichnete sie als „corpuscles“. Doch schon 1891 hatte der irische Physiker George Johnstone Stoney dafür den Namen „Elektron“ vorgeschlagen. Da diese Elektronen aus Metallen austreten, vermutete Thomson, dass auch sie Bestandteile von Atomen sind.

Mit der radioaktiven Strahlen und den Elektronen gab es nun eine Reihe von Indizien, dass Atome aus verschiedenen Bestandteilen bestehen. Ausgehend von der Entdeckung Conrad Röntgens vor 125 Jahren machten sich die Physiker auf zur Entdeckung des heiligen Grals der Physik, der Entwicklung eines konsistenten Atommodells. Damit begannen die Dinge in ihrer Disziplin einen Verlauf zu nehmen, den sie sich in ihren wildesten Träumen nicht hätten vorstellen können. Sie waren dabei gezwungen, sich von 250 Jahre alten physikalischen und mehr als 2500 Jahre alten philosophischen Gewissheiten zu verabschieden. Diese Entwicklung sollte nicht nur die Physik, sondern die gesamte menschliche Gesellschaft dramatisch verändern.

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