Ein altes Versprechen der Physik – Kommen wir der kontrollierten Kernfusion näher?

Deutsche Übersetzung des Artikels: L. Jaeger, An Old Promise of Physics – Are We Moving Closer Toward Controlled Nuclear Fusion?, International Journal for Nuclear Power, Vol. 65, Issue 11/12 (2020); Download: atw 2020-12 JAEGER

„Freitags für die Zukunft“-Demonstrationen beleben die Massen, die Europäische Union startet einen „European Green Deal“, in dem sie sich verpflichtet, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren, China kündigt daraufhin eine kohlenstofffreie Wirtschaft bis 2060 an, Deutschland beschliesst ein milliardenschweres Klimapaket, und auf globalen Klimagipfeln versuchen Regierungsvertreter und CEOs multinationaler Konzerne und ihre PR-Strategen, sich als wohlmeinende Klimaschützer zu profilieren. Es scheint, dass die Frage nach unserer zukünftigen Klima- und Energieproduktion endlich in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und Debatte gerückt ist.

Und gerade jetzt machen Wissenschaftler – ohne grössere öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen – Fortschritte in einem Bereich, der die Probleme der globalen Energieversorgung ein für alle Mal lösen könnte: der friedlichen Nutzung der Kernfusion. Dabei geht es um nicht weniger als die Erfüllung des Traums von unbegrenzter, sauberer und sicherer Energie aus der thermonuklearen Fusion von Atomkernen, die unsere Sonne und die Sterne mit scheinbar unendlich viel Energie versorgt.

Das Licht der Sterne und die Wasserstoffbombe

Die Kernfusionsforschung blickt auf eine mehr als 80-jährige Geschichte zurück[1]. Seit den 1930er Jahren wissen die Physiker, dass unter sehr hohem Druck und bei sehr hohen Temperaturen Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen. Dies ist genau der Mechanismus, der es der Sonne ermöglicht, ihre gewaltigen Energiemengen zu erzeugen. Im Jahr 1938 entwickelten Carl Friedrich von Weizsäcker und Hans Bethe ein erstes Modell für die Kernreaktion im Inneren von Sternen. Ihrem Modell zufolge setzt die Verschmelzung von leichten Atomkernen ebenso wie die Spaltung sehr schwerer Kerne eine beträchtliche Energiemenge frei. Der Grund für diesen Energiegewinn liegt darin, dass die Verschmelzung der Kerne mit einem geringen Masseverlust verbunden ist. Dieses Massendefizit manifestiert sich direkt in der (kinetischen) Energie der erzeugten Teilchen. Nach Einsteins berühmter Formel E=mc² ist selbst bei so geringen Massenverlusten die freigesetzte Energie enorm. Tatsächlich wird beim Fusionsprozess leichter Kerne etwa 10-mal mehr Energie freigesetzt als beim Rückspaltungsprozess schwerer Kerne.

Es wurde schnell klar, dass die Kernfusion der fundamentale Prozess ist, der a.) fast jeder Energieform auf der Erde zugrunde liegt, sowie b.) allen materiellen Dingen im Universum ausser Wasserstoff, denn in den Sternen verschmilzt der Prozess nicht nur Wasserstoffatome zu Helium, sondern erzeugt auch grössere Atomkerne, Kohlenstoff, Sauerstoff und schliesslich die schweren Elemente wie Eisen, Gold und Mangan. Wenn ein Stern stirbt, schleudert er in einer Supernova-Explosion, in der sich die „erbrüteten“ schweren Atomkerne in die Weiten des Universums ausbreiten. Vor einigen Milliarden von Jahren fanden einige dieser schweren Atomkerne schliesslich ihren Platz in der Nähe unseres entstehenden Planeten.

Die Fusion von Kernen erfordert jedoch enorme Drücke (das Produkt aus Temperatur, d.h. kinetischer Teilchenenergie, und Teilchendichte), damit positiv geladene Kerne ihre elektrische Abstossung überwinden und nahe genug aneinander herankommen können, um zu verschmelzen. In Sternen wie unserer Sonne werden diese Drücke über die sehr hohen Dichten erreicht, die durch ultrastarke Gravitationskräfte erreicht werden. Solche Kräfte und damit Dichten sind auf der Erde nicht verfügbar. Die terrestrische Fusion müsste daher weit höhere Temperaturen verwenden, um die geringere Dichte auszugleichen und dadurch einen ähnlichen Druck wie in Sternen zu erreichen.

1934 gelang Mark Oliphant, Paul Harteck und Ernest Rutherford die Fusion zweier Deuteriumkerne (Deuterium ist ein Isotop des Wasserstoffs mit einem zusätzlichen Neutron), indem sie ein Deuteriumatom auf eine Metallfolie schossen, die weitere Deuteriumatome enthielt. Auf diese Weise massen sie, was Physiker den «Wirkungsquerschnitt» der Fusionsreaktion nennen, einen charakteristischen Bereich, der die Wahrscheinlichkeit angibt, dass die Fusion stattfinden kann, d.h. wie nahe die Kerne einander kommen müssen, um zu reagieren. Dies wiederum erlaubte es ihnen, die Energie zu bestimmen, die notwendig ist, damit die Fusionsreaktion von Deuterium-Deuterium (DD) (unter atmosphärischem Druck) stattfinden kann. Ihr Ergebnis lag bei etwa 100.000 Elektronenvolt (100 keV). Dies entspricht einer Temperatur von mehr als einer Milliarde Grad Kelvin (der Faktor, der die durch eV gemessene kinetische Energie der Atomteilchen in die makroskopische Variable der Temperatur übersetzt, wie sie auf der Kelvin-Skala gemessen wird, ist der Kehrwert der Boltzmann-Konstante 1/kB, 11.604 K/eV, d.h. ein eV entspricht 11.604 Grad).

In den späten 1940er Jahren versuchten Physiker zunächst, den Mechanismus der Kernfusion auf der Erde wiederherzustellen, allerdings auf unkontrollierte Weise. Ihr Ziel war es, eine noch schrecklichere Waffe zu schaffen als die Atombombe (die auf der Kernspaltung beruht). Am 31. Oktober 1952 zündeten die USA ihre erste «Wasserstoffbombe» und setzten dabei über zehn Megatonnen TNT-Äquivalent frei, eine Energie, die der 800-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe entspricht. Weniger als ein Jahr später zündete die Sowjetunion ihre erste Wasserstoffbombe, und weitere acht Jahre später testeten die Russen die «Tsar-Bombe», die mit 50 Megatonnen und der 4000fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe die stärkste jemals auf der Erde gezündete Kernwaffe ist.

Kernfusion – Die Zukunftstechnologie für immer?

Doch bereits Anfang der 1940er Jahre, noch vor ihrer verheerenden militärischen Anwendung, entwickelten der amerikanische Forscher (und spätere «Vater» der Wasserstoffbombe) Edward Teller und der Italiener Enrico Fermi (der auch als erster die kontrollierte Kernspaltung durchführte) erste Ideen zur Stromerzeugung auf der Basis der kontrollierten Kernfusion. Kerne auf andere zu schiessen, wie es Rutherford und seine Kollegen getan hatten, würde hier nicht ausreichen. Die meisten Kerne werden keinen anderen treffen, da der Wirkungsquerschnitt der Fusionsreaktion viel zu klein ist. Das von Teller und Fermi entwickelte Konzept bildet auch heute noch die Grundlage für die Kernfusionsforscher: In einer Art Mikrowelle wird ein Deuterium-Tritium-Gemisch (DT) auf viele Millionen Grad erhitzt, so dass am Ende die Temperatur hoch genug ist, um eine Fusion zu ermöglichen (Tritium ist ein weiteres Isotop des Wasserstoffs mit zwei zugefügten Neutronen; die DT-Reaktion hat einen grösseren Querschnitt als die Deuterium-Deuterium-Reaktion (DD), d.h. sie benötigt niedrigere Temperaturen).

Wenn sie auf so hohe Temperaturen erhitzt werden, verlieren die Atome ihre Elektronen, wodurch eine Flüssigkeit aus Kernen und Elektronen entsteht, die als «Plasma» bezeichnet wird. Bei Temperaturen von etwa 100 Millionen Grad, etwa dem Sechsfachen der Temperatur im Kern der Sonne, kann die Erdschmelze Nettoenergie freisetzen. Obwohl die kinetische Energie der beiden Kerne, die zum Verschmelzen benötigt wird, normalerweise höher ist als die äquivalente Temperatur von 100 Millionen Grad (wie wir oben gesehen haben, liegt dieser Wert bei etwa 100 keV, d.h. 1 Milliarde Kelvin), enthält ein Gas mit geringerer Temperatur aufgrund der Energieverteilung innerhalb des Gases, wie sie die Maxwell-Boltzmann-Statistik angibt, immer noch genügend Teilchen mit genügend hohen Energien, um zu verschmelzen (Reaktionen laufen auch durch Quantentunneln der elektrischen Potential-Energiebarriere ab, d.h. die Fusion beruht von Natur aus auf der Quantenmechanik).

Wichtig sind jedoch die Bedingungen, die erforderlich sind, damit die Reaktion selbsttragend wird, d.h. die von den Kernfusionsreaktionen abgegebene Energie heizt den umgebenden Brennstoff schnell genug auf, um die Temperatur gegen Verluste an die Umgebung aufrechtzuerhalten. Das Verhältnis zwischen der erhaltenen Fusionsleistung und der zur Aufrechterhaltung der Reaktion erforderlichen Eingangsleistung bezeichnen die Fusionswissenschaftler mit dem Buchstaben Q. Wenn Q grösser als 1 ist, erzeugt die Fusion Nettoenergie. Ein Plasma wird «gezündet», wenn die Fusionsreaktionen genügend Leistung erzeugen, um die Temperatur ohne externe Erwärmung aufrechtzuerhalten. Eine wichtige Variable dafür ist der oben erwähnte Querschnitt der Reaktion. Damit der Fusionsprozess in den meisten Reaktoren die Energieverluste an die Umgebung übersteigt, muss eine bestimmte Funktion der Temperatur, des Wirkungsquerschnitts und der mittleren Teilchengeschwindigkeit überschritten werden (im Detail: das Verhältnis der quadrierten Temperatur und das Produkt aus Querschnitt und mittlerer Geschwindigkeit der Teilchen, siehe Lawson-Kriterium unten). Diese Bedingung ergibt eine Mindesttemperatur für die Fusionsreaktion, bei der die Fusionsreaktion aufrecht erhalten wird und eine positive Nettoenergie erzeugt. Für die DT-Reaktion liegt diese erforderliche Temperatur bei etwa 150 Millionen Kelvin (13,6 keV), für die DD-Reaktion bei etwa 170 Millionen Kelvin (15 keV).

Bei einer unkontrollierten Kernfusion besteht der Weg zu Fusionsbedingungen in der Zündung einer Atombombe zuvor. So funktioniert eine H-Bombe: Eine explodierende Atombombe erzeugt in einem Gas den notwendigen Druck und die notwendige Temperatur, damit die Kerne verschmelzen können. Das geschieht so schnell, dass das Plasma in keiner Weise kontrolliert werden muss. Bei einer kontrollierten Kernfusion muss das Hochtemperaturplasma jedoch eingeschlossen und zusammengehalten werden. Dies erfordert starke Kräfte, um die Teilchen innerhalb des Plasmas zu halten, da diese sich mit jenen unglaublich hohen Geschwindigkeiten bewegen, die notwendig sind, um die elektrische Abstossung ihrer positiven Ladungen zu überwinden. Die Herausforderungen dabei sind:

  1. Bei solchen Temperaturen besitzt das Plasma einen enormen thermodynamischen Druck und fliegt daher, wenn ihm nicht eine andere Kraft entgegenwirkt, weg, was die Fusion schnell stoppt.
  2. Bei Kontakt mit der «Aussenwelt» (z.B. den Behälterwänden) kühlt das Plasma sofort ab, was die Fusion fast augenblicklich unterbricht.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, haben Forscher und Ingenieure enorme Magnetfelder zur Steuerung des Plasmas entwickelt. Ein solcher «magnetischer Einschluss» des Plasmas ist das Herzstück der meisten Fusionsenergieprojekte.

Es ist schwierig, angesichts der praktisch unbegrenzten Möglichkeiten der Kernfusion nicht in ekstatische Aufregung zu verfallen. Die dabei freigesetzte Energie ist sicher, kohlenstofffrei und die benötigten Ausgangsmaterialien sind im Überfluss vorhanden.

  • Der primäre Brennstoff – Wasserstoffisotope – ist in normalem Meerwasser zu finden (allerdings ist Tritium auf der Erde extrem selten und muss durch Bestrahlung von Lithium in einem Kernreaktor hergestellt werden).
  • Ein Kilogramm des Deuterium-Tritium-Mix (DT) reicht aus, um eine ganze Stadt über einen sehr langen Zeitraum mit Energie zu versorgen. Ein funktionierender Reaktor bräuchte nur fünf Kilogramm dieses Wasserstoffs, um das Energieäquivalent von 18.750 Tonnen Kohle, 56.000 Barrel Öl oder die Energiemenge zu produzieren, die 755 Hektar Sonnenkollektoren in einem Jahr erzeugen.
  • Das einzige unmittelbare Nebenprodukt ist Helium, ein ungefährliches Edelgas.
  • Das Risiko von Unfällen mit einer Fusionsanlage ist begrenzt: Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, stoppt die Fusionsreaktion einfach (man beachte, dass in bestehenden Kernkraftwerken, die auf der Kernspaltung basieren, die Kühlung des Reaktors nach der Abschaltung gewährleistet sein muss, um die Zerfallswärme des Brennstoffs sicher zu handhaben).

Leider hat sich eine 100 Millionen Grad heisse Mischung von Wasserstoffkernen als so schwer kontrollierbar erwiesen, dass ein unter Physikern bekannter Witz unter den Physikern lautet, dass die Kernfusion die vielversprechendste Technologie der Zukunft ist – und es für immer bleiben wird.

Zwischen Aufregung und Frustration – Die Entwicklung des magnetischen Einschlusses

In den 1950er Jahren dachten Physiker, dass der magnetische Einschluss nicht allzu schwierig zu erreichen sein würde. Erst im Laufe der Zeit lernten sie die Komplexität der thermodynamischen und magnetohydrodynamischen Eigenschaften von Hochtemperaturplasmen kennen, ihre inneren Turbulenzen und Instabilitäten, die sie so extrem schwer beherrschbar machen. Es wurde klar, dass man ultrastarke homogene Magnetfelder aufbauen musste, um das Plasma einzuschliessen und eine Temperatur und Drücke zu erreichen, die ausreichen, um die Fusionsreaktion zu zünden. Spitzenwissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten seit Jahrzehnten an den damit verbundenen technologischen Herausforderungen, und bisher hat noch kein Fusionsreaktor jemals einen Q -Wert grösser als eins erreichen können.

In den ersten Prototypen für den magnetischen Einschluss von Plasmen wurden die magnetischen Kräfte so ausgelegt, dass die sich schnell bewegenden Teilchen auf immer engere Bahnen gebracht wurden, so dass sie kollidieren und verschmelzen können. Solche Magnetfelder können durch einen «Solenoid» erzeugt werden, eine einfache Spule, die zu einer dicht gepackten Helix gewickelt ist und ein gleichmässiges Magnetfeld erzeugt, das die Kerne in einer Linie hält und sie am Wegdriften hindert. Irgendwann jedoch laufen die Teilchen bis zum Ende der Spule aus und verlassen das Magnetfeld. Die naheliegende Lösung bestand darin, die Spule zu einem Kreis zu biegen, wodurch sich eine Donut-Form, ein so genannter Torus, ergibt, in dem die Partikel endlos kreisen können. Dies bringt jedoch ein neues Problem mit sich: Die magnetischen Kräfte innerhalb des Torus sind nun ungleichmässig verteilt, ihre Linien an der Innenseite des Torus liegen enger beieinander als an dessen Aussenseite. Dies führt zu Kräften, die die Plasmateilchen von der Mittellinie des Torus wegdriften lassen. Eine komplexere Anordnung von Magneten war erforderlich, um diese Kräfte auszugleichen und die Teilchen ausgerichtet zu halten. Ein Entwurf zu diesem Zweck war der vom US-Wissenschaftler Lyman Spitzer von der Universität Princeton erfundene „Stellarator“, der den gesamten Torus an einem Ende des Torus im Vergleich zum anderen Ende verdrehte und so eine Achteranordnung bildete. Dieses Design wies einige verbesserte Einschlusseigenschaften im Vergleich zu einem einfachen Torus auf, zeigte aber auch eine Vielzahl von Effekten, die dazu führten, dass das Plasma aus den Reaktoren mit zu hohen Geschwindigkeiten verloren ging, um Fusionsbedingungen zu erreichen.

Ein weiterer früher Entwurf war das «z-pinch»-Konzept, bei dem ein gepulstes Plasma einem starken elektrischen Strom ausgesetzt wird, der in seinem Zentrum fliesst. Basierend auf dem Prinzip, dass sich parallele Ströme gegenseitig anziehen (durch die Lorentz-Kraft), würde sich das Plasma dabei vorübergehend komprimieren (Physiker sprechen vom «Pinch-Effekt»), mit dem Ziel, Endstadiumsbedingungen zu erreichen, die ähnliche Drücke wie in einem Stern erzeugen, wenn auch nur für einige Nanosekunden (eine Nanosekunde ist ein Milliardstel einer Sekunde). Dieses Design sollte zu einem gepulsten Fusionskonzept ohne Magnetspulen führen, bei dem eine regelmässige Abfolge von «Mini-Implosionen» zur Freisetzung von Impulsen von Nettoenergie führen würde. Dieses Design war zwar vielversprechend, hat aber bisher die Nettoenergiekapazität nicht erreicht, da sich während des Kompressionsprozesses verschiedene Instabilitäten bilden, die einen ausreichenden Druckaufbau verhindern.

Die verschiedenen Konfigurationen der magnetischen und elektrischen Felder in Verbindung mit der selbstinduzierten Quetschung der Plasmen liessen das Plasma immer noch zu instabil werden. Bereits 1949 hatte David Bohm aufgrund empirischer Beobachtungen einen Zusammenhang (Skalierungsgesetz) zwischen der Diffusion des Plasmas und u.a. der Stärke des Magnetfeldes vermutet. Diese Beziehung sollte nach Bohm invers linear und nicht invers quadratisch sein, wie es die klassische Physik vorhersagen würde. Wenn diese Skalierung der «Bohm-Diffusion» Bestand hätte, gäbe es keine Hoffnung, dass man jemals einen Fusionsreaktor auf der Grundlage des magnetischen Einschlusses bauen könnte. Das gesamte Gebiet der Fusionsforschung geriet so in eine Periode ausgeprägten Pessimismus, was heute als «die Flauteperiode» der Kernfusionsforschung genannt wird.

In den späten 1960er Jahren begann jedoch ein Konzept, das ursprünglich in den 1950er Jahren von den sowjetischen Physikern Igor Tamm und Andrej Sacharow konzipiert worden war, sehr vielversprechende Ergebnisse bei der Erreichung eines stabilen Plasmagleichgewichts und vielversprechende Abweichungen von der Bohm-Diffusionsvermutung zu zeigen. Bei dieser Konstruktion winden und verdrehen sich Magnetfeldlinien um die torusförmige Einschlusskammer in einer Helix wie Streifen auf einer Zuckerstange. Die Asymmetrie der Magnetfelder hält die Partikel davon ab, wegzudriften: Jedes Teilchen, das sich am äusseren Rand des Torus befindet, folgt den Magnetfeldlinien um den Torus und landet am inneren Rand, wo es wieder in die andere Richtung nach aussen driftet. Je stärker sich die Magnetfeldlinien verdrehen, d.h. je höher die Frequenz der Teilchen beim Übergang von aussen nach innen und zurück ist, desto stabiler wird das Plasma.

Genauer gesagt, besteht diese Konstruktion aus drei Magnetfeldern:

  1. Externe Spulen um den Ring des Torus erzeugen ein toroidales Magnetfeld, d.h. ein Feld parallel zum inneren Kreis des Torus.
  2. Ein zentraler Solenoidmagnet erzeugt mit starker Energie ein senkrechtes Magnetfeld und damit einen toroidalen Strom im Plasma. Die Bewegung der Ionen im Plasma erzeugt dann wiederum ein zweites poloidales (entlang des inneren Ringes des Torus) Magnetfeld.
  3. Poloidspulen um den Umfang des Torus steuern die Position und Form des Plasmas.

Tamm und Sacharow nannten ihren Entwurf einen «Tokamak», was ein russisches Akronym für «Ringkammer mit Magnetspulen» ist. Die Ergebnisse, die sie erzielten, waren mindestens 10-mal besser als die jeder anderen Fusionsmaschine zuvor. Der Tokamak sollte in den kommenden Jahren schnell zum neuen Standard in den internationalen Fusionsbemühungen werden.

Der Forschungsschwerpunkt richtete sich nun auf effiziente Methoden zur Erwärmung des Plasmas. Neben der konventionellen «Ohmschen» Erwärmung durch Induktion eines Stroms durch das Plasma wurden drei weitere Techniken (einschliesslich Kombinationen davon) zum Stand der Technik:

  1. Magnetische Kompression (auch «adiabatische Kompression» genannt), eine quetschartige Technik, bei der ein Magnetfeld das Plasma komprimiert, um seine Temperatur zu erhöhen.
  2. Neutralstrahlinjektion, bei der ein Teilchenbeschleuniger Brennstoffatome in das Plasma schiesst, die mit den Teilchen im Plasma kollidieren und es dadurch aufheizen.
  3. Radiofrequenz-Heizung: Wie in einer Mikrowelle übertragen hochfrequente elektromagnetische Wellen mit der richtigen Frequenz ihre Energie auf die geladenen Teilchen im Plasma.

1978 gelang es dem Princeton Large Torus (PLT) durch die Kombination der ersten beiden Techniken, Temperaturen von mehr als 60 Millionen Kelvin zu erreichen. Die weltweite wissenschaftliche Gemeinschaft war mehr und mehr davon überzeugt, dass der Weg zu einem Kernfusionsreaktor nun weit offen war. Und das Rennen war eröffnet: Die Europäer schufen den JET, den «Joint European Torus», die Sowjets arbeiteten weiter an ihrem Tokamak, die Japaner schufen ihren JT-60, und die USA investierten weiterhin viel Geld und wissenschaftliche Anstrengungen in den Tokamak-Fusionstestreaktor (TFTR). Sogar private Investoren investierten nun Geld in kommerzielle Tokamak-Projekte, das erste davon Bob Guccione, der Gründer des Penthouse Magazine.

In den 1980er Jahren wurde jedoch klar, dass Plasmen bei so hohen Temperaturen noch schwieriger zu kontrollieren sind. Es traten neue Instabilitäten auf, und es erwies sich als immer schwieriger, das Plasma einzuschliessen. Die vielversprechende Tokamak-Architektur stiess auf ähnliche Probleme wie frühe Konzepte. Todd Evans, Physiker bei General Atomics in San Diego, Kalifornien, beschrieb das Problem in anschaulichen Worten: „Vergleichen Sie dies damit, einen Ballon mit Wasser zusammenzupressen. Je stärker Sie drücken, desto mehr wölbt sich der Ballon durch Ihre Finger aus“. Je stärker der magnetische Donut gequetscht wird, desto wahrscheinlicher platzt das unter Druck stehende Plasma. Den Physikern wurde klar, dass viel grössere und komplexere (und teurere) Maschinen erforderlich waren, um diese Probleme zu lösen. Eine zweite Periode der Ernüchterung und des Pessimismus kam in der Kernfusionsforschung auf.

ITER – Grosse und teure Hoffnungen

Tatsächlich ist es Forschern gelungen, Fusionsplasmen bei ausreichend hoher Temperatur lange genug einzuschliessen, um Fusionsreaktionen auszulösen. Die erreichte Einschliessungszeit war jedoch nie lang genug, um genügend Fusionsenergie zur Zirkulation in der eingeschlossenen Region zu ermöglichen, so dass das Plasma heiss genug bleibt, um das geeignete Fusionsniveau aufrechtzuerhalten. Tokamaks haben Einschlusszeiten von etwa 30 Millisekunden erreicht, aber es werden wahrscheinlich Zeiten von einer Sekunde und mehr benötigt. Das Problem der Erzielung und Aufrechterhaltung der Fusion in einem Plasma umfasst im Wesentlichen drei Hauptvariablen:

  1. Die Temperatur (oder Geschwindigkeit/Energie der Teilchen im Plasma),
  2. die Dichte des Plasmas (Anzahl der Teilchen pro Volumen),
  3. und die Einschlusszeit (wie lange das Plasma zusammengehalten wird).

1955 veröffentlichte John Lawson ein Kriterium, das einen erforderlichen Mindestwert für das Produkt aus der Plasmadichte und seiner Einschlusszeit vorsieht, um die Zündung zu erreichen und dann die Temperatur des Plasmas gegen alle Verluste lange genug aufrechtzuerhalten, so dass die Fusionsenergie selbst letztlich die Temperatur aufrechterhält. Später wurde eine noch nützlichere Zahl für die Zündfähigkeit eines Reaktors ermittelt, das Dreierprodukts aus Dichte, Einschlusszeit und Plasmatemperatur. Der erforderliche Mindestwert für das Produkt dieser drei Grössen wird heute als eine allgemeinere Form des «Lawson-Kriteriums» bezeichnet[2]. Nach einer Faustregel muss für die DT-Schmelze und für Temperaturen über 100 Millionen Kelvin das Produkt aus Teilchendichte und Einschlusszeit grösser als 1014 Sekunden pro Kubikzentimeter sein (1016 für die Deuterium-Deuterium-Reaktion). Das Erreichen solcher Werte sollte mit grösseren Geräten und stärkeren Magnetfeldern erreichbar sein, so die Hoffnung der Physiker. Bestehende Tokamaks sind ihrer Meinung nach einfach nicht gross genug, um brennende Plasmabedingungen zu erreichen. Als die Kostenschätzungen für solche grösseren Reaktoren immer höher wurden, wurde klar: Internationale Zusammenarbeit und Finanzierung waren notwendig. Dies führte zur Gründung des Projekts «„International Thermonuclear Experimental Reactor» (ITER), einer gemeinsamen Anstrengung unter gleichberechtigter Beteiligung der Sowjetunion (später Russland), der Europäischen Atomgemeinschaft, der Vereinigten Staaten und Japans, später auch Chinas, Südkoreas, Kanadas und Indiens. Im Jahr 2005 wurde beschlossen, dass ITER in der Europäischen Union in Südfrankreich, in der Stadt Cadarache, gebaut wird, aber erst kürzlich, im Juli 2020, mehr als 30 Jahre nach den ersten Gesprächen über ITER, wurde mit der Montage der Maschinen begonnen. Die Fusionsexperimente mit DT-Brennstoff sollen 2035 beginnen.

ITER wird voraussichtlich das erste Experiment sein, das ein brennendes Plasma erzeugen und aufrechterhalten kann, d.h. ein Plasma, in dem die Fusionsreaktion eingeleitet und am Laufen gehalten wird. Es wird erwartet, dass ITER mit der DT-Fusion 500 MW Fusionsleistung erzeugt, bei einem Q-Wert, der 10 bis 15 mal so hoch ist wie der derzeitige Weltrekord von 0,67 (bei 16 MW), den der Tokamak JET im Vereinigten Königreich 1997 mit einem Q-Wert von 0,67 hält. Dazu wird ITER über einen zentralen Magneten verfügen, der der stärkste gepulste supraleitende Magnet sein wird, der je gebaut wurde. ITER ist jedoch nicht für die Erzeugung von Elektrizität ausgelegt. Dies würde erst in einem Nachfolgereaktor geschehen, der bereits DEMO («Demonstrationskraftwerk») getauft ist und von EUROfusion, der Fusionsorganisation der EU, geplant wird ,Er ist mit einer thermischen Leistung von 2 bis 4 Gigawatt gepant und soll frühestens Ende der 2040er Jahre zur Stromerzeugung in Betrieb genommen werden.

Die voraussichtlichen Gesamtkosten des ITER belaufen sich bisher auf über 20 Milliarden Euro und werden nach Ansicht einiger Experten am Schluss bis zu 60 Milliarden Euro betragen. Er ist bereits jetzt das teuerste Experiment in der Geschichte der Wissenschaft. Trotz all dieser enormen Kosten und des langen Zeithorizonts, den ihre Experimente mit sich bringen, wissen die Kernfusionsforscher von ITER noch nicht, ob «ihnen die Physik nicht wieder einmal in den Hintern beisst». Die thermo-, fluid- und hydromagnetische Dynamik und die Stabilitätseigenschaften eines Plasmas bei einer solchen Temperatur können immer noch Überraschungen bereithalten, wie es in der Vergangenheit ja auch schon einige Male der Fall war[3]. Hinzu kommt, dass die Lösung für zwei besondere Probleme noch nicht in Sicht ist:

  1. Die DT-Fusionsreaktion erzeugt Neutronen mit sehr hoher Energie (14,1 MeV). Da sie elektrisch neutral sind und nicht von Magnetfeldern gestuert werden können, kollidieren diese Neutronen in grosser Zahl und mit extrem hohen Geschwindigkeiten mit dem Material des Reaktorbehälters und verursachen im Laufe der Zeit enorme Schäden daran. Der Behälter muss daher alle ein bis zwei Jahre ausgetauscht werden, was die Betriebskosten eines Fusionsreaktors auf ein unakzeptables Niveau treiben würde. Darüber hinaus entstehen durch den Neutronenbeschuss im Behältermaterial radioaktive Nuklide, die radioaktive Abfälle erzeugen und damit die Entsorgung des Materials kostspielig machen.
  2. Tritium ist auf der Erde extrem selten. Ein Gramm des Wasserstoffisotops kostet derzeit rund 30.000 US-Dollar. Zudem ist Tritium beta-emittierend radioaktiv mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren. Dies erfordert besondere Aufmerksamkeit, denn Tritium ist chemisch äquivalent zu gewöhnlichem Wasserstoff, der in Wasser vorkommt.

Materialwissenschaftler arbeiten hart an Behältermaterialien, die das erste Problem lösen; der Weg dorthin ist jedoch noch lang. Für das zweite Problem hoffen die Physiker, durch Neutronenaktivierung von Lithium-6 genügend Tritium erzeugen zu können, für das die schnellen Neutronen der DT-Reaktion selbst genutzt werden können (dafür wird ITER eine «Brutbedeckung» aus Lithium haben, die sich neben dem Vakuumbehälter befindet).

Die Forderung nach einer Alternative zur D-T-Reaktion, die diese Probleme nicht hat, wurde schon vor Jahren von Experten erhoben. Der nächstmögliche Kandidat dafür ist D-He3. Seine Neutronenleistung liegt in der Grössenordnung von 1% von D-T. He3 kommt jedoch auf der Erde nicht vor, sondern im Überfluss nur auf dem Mond, wo ein Abbau sehr kostspielig wäre. Der beste Kandidat für einen aneutronischen Fusionsprozess, der ohne Tritium auskommt, ist die Bor-Proton-Reaktion. Sie ist «sauber», da sie drei Heliumkerne erzeugt, bei denen es sich um geladene Teilchen handelt, die leicht durch elektromagnetische Felder kontrolliert werden können und weder eine Begrenzung der Lebensdauer der Reaktormaterialien verursachen noch negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Ausserdem ist Bor (und Protonen) auf unserem Planeten ausguebig  verfügbar. Sein Problem: Die Reaktion erfordert zur Zündung etwa 30-mal höhere Plasmatemperaturen.

Die Bandbreite der Pfade wird immer grösser

Erinnern wir uns an das Lawson-Kriterium: Um dieses zu erfüllen, spielt es keine Rolle, ob die Dichte des Plasmas niedrig und seine Einschlusszeit hoch ist (wie im Tokamak) oder umgekehrt die Einschlusszeiten sehr kurz und die Dichte sehr hoch sind. Auch jede Kombination dieser beiden Werte ist möglich, solange ihr Produkt den angestrebten Wert überschreitet. Man kann sich also das Lawson-Kriterium aus verschiedenen Richtungen annhern, d.h. durch unterschiedliche Kombination der kritischen Variablen. Der Tokamak wird zwar am prominentesten unterstützt, ist aber nicht der einzige Weg auf dem Weg zur kommerziellen Fusion. Tatsächlich haben einige alternative Ansätze in den letzten Jahren für erhebliche Aufregung in der Fusionsgemeinschaft gesorgt. Viele Plasmawissenschaftler vermuten gar, dass in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen, im Bereich der mittleren Einschlusszeiten und mittleren Dichten, eine sehr grosse Spielwiese liegen könnte, die vom Tokamak-Ansatz bisher weitgehend unberührt geblieben ist. Liegen hier vielleicht die vielversprechendsten Möglichkeiten für eine kontrollierte Kernfusionsreaktion?

Öffentliche versus private Finanzierung

Die öffentliche Finanzierung alternativer Ansätze ist jedoch recht begrenzt, da ITER ja so viel Geld verschlingt. Dies schränlt die Bereitschaft der Regierungen, mehr Mittel aufzubringen, stark ein. Es überrascht nicht, dass die Nationalen Akademien der Wissenschaften der USA 2019 in ihrem Abschlussbericht des Ausschusses für einen strategischen Plan für die Forschung mit brennendem Plasma erklärten, dass sich die Landschaft der Fusionsforschung erheblich verändert hat, da die Fusionsforschungsgemeinschaft jetzt viel stärker ist und auf bedeutende Fortschritte und mit bereits getätigte Investitionen auf einem immer besseren theoretischen Verständnis des toroidalen magnetischen Einschlusses und der Plasmakontrolle aufbaut. All dies hat «bemerkenswerte neue Technologien hervorgebracht […] die versprechen, die Grösse und die Kosten künftiger Anlagen zu verringern».

«Ein grosses DEMO-Gerät scheint nicht mehr das beste langfristige Ziel für das US-Programm zu sein. Stattdessen legen wissenschaftliche und technologische Innovationen und das wachsende Interesse und Potenzial für privatwirtschaftliche Unternehmungen zur Förderung von Fusionsenergiekonzepten und -technologien nahe, dass kleinere, kompaktere Anlagen eine Beteiligung der Industrie besser anziehen und die Zeit und die Kosten des Entwicklungspfads zur kommerziellen Fusionsenergie verkürzen und senken würden».

Tatsächlich haben sich neben dem von der Regierung geförderten gigantischen Tokamak-Projekt eine Reihe privater Unternehmen der Kernfusionsforschung verschrieben, und anstatt den einen und einzigen wahren (und sehr teuren) Weg zu gehen – grossflächiges Plasma, das von gigantischen supraleitenden Magneten zusammengehalten wird – verfolgen diese Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Ideen, um möglicherweise einen Weg zum Jackpot eines funktionierenden Fusionsreaktors zu finden. Obwohl sie sich in ihrer Herangehensweise unterscheiden, suchen sie alle nach Wegen zur Fusion, die viel kleinere und damit kostengünstigere Reaktortechnologien als ITER einsetzen, mit dem Ziel, bereits in den nächsten Jahren Strom zu erzeugen und damit auch viel schneller als ITER mit seinem Zeithorizont von mehreren Jahrzehnten. Sie rechnen damit, dass mögliche Fehler und unüberwindbare Hindernisse in ihren Ideen viel schneller gefunden (und behoben) werden als in einigen Jahrzehnten und bevor Milliarden von Dollar verbrannt sind. Die Tatsache, dass sie auf renditehungriges Risikokapital angewiesen sind, könnte sich als entscheidender Vorteil erweisen. Sie können es sich einfach nicht leisten, sich grossen, teuren, langlebigen und unerprobten Projekten zuzuwenden. Vielmehr müssen sie immer Schritt für Schritt entscheiden, welchen nächsten Schritt sie tun wollen, und jeden Schritt vor ihren Aktionären rechtfertigen. Angesichts der Art der beschriebenen Probleme rund um die thermonukleare Fusionstechnologie könnte sich ein solcher pragmatischer Ansatz als geeigneter erweisen.

Diese privaten Unternehmen haben in den letzten Jahren einige beträchtliche Fortschritte gemacht. Es hat sich in der Tat ein echter öffentlich-privater Wettlauf um die beste Lösung für die Fusionstechnologie entwickelt. Wie fruchtbar ein solcher Wettlauf sein kann, zeigt das Beispiel des Humangenomprojekts vor etwa 20 Jahren. Im Folgenden finden Sie eine Liste privater Initiativen, die an Entwürfen vom Typ Tokamak arbeiten:

  • Commonwealth Fusion Systems (CFS) ist eine Ausgliederung aus dem Plasma Science and Fusion Center des MIT (Massachusetts Institute of Technology), einem der Pioniere der US-amerikanischen Fusionsforschung in den 1960er Jahren. Das Unternehmen verfolgt einen mehr oder weniger konventionellen Tokamak-Ansatz. Es versucht jedoch, einige neuere technologische Fortschritte zu integrieren, die nicht Teil von ITER sein werden, insbesondere ein neues Hochtemperatur-Supraleitermaterial für einen Elektromagneten im grossen Massstab (Barium-Kupferoxid gegenüber Niob-Titan im ITER), was, so hoffen die Wissenschaftler, Magnetfelder im Bereich bis 20 Tesla in insgesamt kleinerer und effizienterer Ausführung ermöglichen wird. CFS verfolgt einen Tokamak, der 50 MW bis 100 MW Fusionsleistung, d.h. ein Fünftel der vorgesehenen ITER-Leistung, bei einem Q-Wert von 3, also weniger als ein Drittel des vorgesehenen ITER-Wertes, erzeugen würde. Das Unternehmen wird sowohl vom MIT selbst als auch durch Risikokapital finanziert, darunter von dem durch Bill Gates unterstützten Breakthrough Energy Ventures und dem italienischen Öl- und Gasproduzent Eni.
  • Tokamak Energy mit Sitz in Grossbritannien setzt einen Tokamak mit einer eher kugelförmigen Form ein. Er wird auch privat finanziert und hat in einer Finanzierungsrunde Anfang 2020 etwa 86 Millionen Dollar aufgebracht.

Die Alternativen

Andere private Unternehmen haben einige hochinteressante alternative Wege zu einem Fusionsreaktor insgesamt beschritten:

  • (FRC): FRC ist eine alternative Methode des magnetischen Einschlusses, bei der immer noch ein toroidales Plasma verwendet wird, jedoch ohne Magnetspulen, die wie beim Tokamak durch das Zentrum des Toroids verlaufen, und auch ohne Toroidspulen. Es handelt sich um ein äusseres axiales Magnetfeld, wobei elektrische Ströme im Plasma ihrerseits ein poloidales Magnetfeld erzeugen, das eine wirksame axiale Komponente hat, die dem von aussen angelegten Feld entgegenwirkt, d.h. es umkehrt. Dadurch verengt sich der Plasmatorus und nimmt die Form eines Rauchrings an oder, je nach Konfiguration, geht in eine röhrenförmige Form über. Plasmaphysiker sprechen hier von einem «kompakten Toroid». Seine Topologie stellt einen Zustand minimaler Energie dar und daher kann sehr stabil gemacht werden. Es besteht die Hoffnung, dass die weniger komplexe Magnetfeldtopologie mit hoher magnetischer Effizienz (der grösste Teil des Feldes wird vom Plasma selbst und nicht von den äusseren Magneten erzeugt) den Bau dramatisch einfacherer und kostengünstigerer Fusionsreaktoren ermöglicht.

Der Hauptbefürworter dieser Methode ist eine Firma namens TAE Technologies mit Sitz in Irvine, Kalifornien. Zu ihren bekannten Geldgebern gehören die Risikokapitalfirmen New Enterprise Associates und Venrock, der britische Wellcome Trust, mehrere Staatsfonds, Alphabet (Google) und andere High-Tech-Investoren. Anstatt sich auf die DT-Fusion zu verlassen, versucht TAE, letztendlich Protonen und Bor zu verschmelzen. Obwohl dies Temperaturen erfordert, die mehr als eine Grössenordnung über den für die DT-Reaktion erforderlichen Temperaturen liegen, hat diese Reaktion den Vorteil, dass sie «aneutronisch» ist, d.h. sie erzeugt nicht die schwer zu kontrollierenden hochenergetischen Neutronen. Ausserdem benötigt es nicht das schwer zu erhaltene Tritium. Der Prototyp von TAE ist ein zylindrischer Fusionsreaktor mit kollidierendem Strahl (CBFR), der zunächst Wasserstoffgas erhitzt, um zwei Plasmaringe zu bilden, die dann miteinander verschmolzen werden (siehe unten für weitere Details).

  • Durch Scherfluss stabilisierter Z-pinch: Hierbei handelt es sich um eine Methode, die das herkömmliche Z-Pinch-Verfahren erweitert, indem versucht wird, das Plasma mit einer Scherströmung zu stabilisieren, d.h. das Plasma strömt mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei unterschiedlichen Radien. Auf diese Weise soll das hochtemperierte, hochdichte reaktive Medium lange genug eingeschlossen werden, damit die Fusionsreaktionen stattfinden können, und gleichzeitig «um Grössenordnungen billiger» sein als Fusionsreaktoren, die Magnetspulen benötigen, so die Behauptung seiner Befürworter. Diese Methode wird von der 2017 gegründeten Firma Zap Energy angewandt.
  • (Laser-induzierte) Einschlussfusion (ICF): Während der magnetische Einschluss versucht, das Problem des Lawson-Kriteriums mit langen Einschlusszeiten (mehrere Sekunden) und vergleichsweise niedriger Plasmadichte (1014 Ionen pro cm3) zu lösen, geht der ICF-Ansatz den umgekehrten Weg: ultrahohe Ionendichten (1025 Ionen pro cm3, etwa das 100-fache der dichtesten Metalle) und kurze Einschlusszeiten oder gar kein Einschluss. Die hohe Dichte bewirkt, dass die Fusionsreaktionen in etwa einer Nanosekunde ablaufen, was schnell genug ist, um durch das Fusionsmaterial zu hindurchzulaufen, bevor dieses sich ausdehnt. Um eine solch hohe Dichte (und damit Temperatur) zu erreichen, werden ultrastarke und gleichzeitig ultrapräzise Laser benötigt. Diese werden dann auf den Fusionsbrennstoff fokussiert, der eine Mischung aus gefrorenem Deuterium und Tritium enthält, die typischerweise die Form eines stecknadelkopfgrossen Pellets hat.

Das grösste ICF-Experiment ist die National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien mit seinem Laser Inertial Fusion Energy (LIFE)-Programm. Im Gegensatz zu ihren eigenen Vorhersagen gelang es der NIF jedoch nicht, mehr als 1/3 der für die Zündung erforderlichen Bedingungen zu erreichen. LIFE wurde daher 2014 eingestellt, und das LLNL verlagerte seinen Schwerpunkt auf Verteidigungsanwendungen. Da jedoch die Leistung von Lasern in den letzten Jahren auf einem Moore’s-Law-ähnlichen Weg rapide zugenommen hat (insbesondere mit der Entwicklung von Chirped Pulse Amplification (CPA)-Lasern; Physik-Nobelpreis 2018), hat das ICF-Konzept in jüngster Zeit wieder Aufmerksamkeit erregt. Das staatlich finanzierte Unternehmen Sandia Laboratories mit Sitz in Albuquerque, New Mexico, hat sich diesem Weg verschrieben.

  • Magnetisierte Zielfusion (MTF; oder magneto-intiale Fusion (MIF)): MTF versucht, in Parameterbereichen zwischen magnetischem Einschluss und ICF zu arbeiten, mit dem Ziel, Plasmadichten von 1019 Ionen pro cm3 und Einschlusszeiten in der Grössenordnung von 1 µs zu erreichen. Wie beim magnetischen Einschluss wird der Fusionsbrennstoff durch Magnetfelder eingeschlossen, während er zu einem Plasma erhitzt wird. Wie beim laserinduzierten Ansatz wird die für die Fusion erforderliche Dichte dann jedoch durch schnelles Komprimieren des Plasmas erreicht. Dieser Ansatz legt nahe, dass der Energieeintrag in das Plasma vergleichsweise gering ist, so dass ein entsprechender Reaktor effizienter und damit kostengünstiger laufen würde, als der Versuch, lange Einschlusszeiten wie beim magnetischen Einschluss oder ultra-dichte Zustände wie beim ICF-Ansatz zu erreichen.

MTF wird hauptsächlich von dem in Vancouver, Britisch-Kolumbien, ansässigen Unternehmen General Fusion betrieben. General Fusion verwendet eine Anordnung von Kolben zur Erzeugung von Stosswellen in einem flüssigen Metall, um das Plasma auf Fusionsbedingungen zu komprimieren. Das Unternehmen hat 200 Millionen Dollar an Finanzmitteln oder Zusagen eingeworben. Das Unternehmen wird u.a. von Amazon-CEO Jeff Bezos und anderen Risikokapitalquellen einschliesslich asiatischer Staatsfonds unterstützt. Auch die kanadische Regierung hat etwa 40 Mio. $ bereitgestellt.

  • Kompakter Lockheed-Martin-Fusionsreaktor (CFR): Lockheed Martin verwendet eine andere magnetische Topologie und behauptet, dies würde ein viel effektiveres Magnetfeld für den Plasmaeinschluss erzeugen, was einen insgesamt kleineren (und damit kostengünstigeren) Fusionsreaktor ermöglichen würde. Die Firma hat jedoch noch keine Daten über ihren Fortschritt veröffentlicht. Bislang wurden noch keine Einzelheiten über die erreichten Temperatur- oder Containment-Levels veröffentlicht.
  • Muon-katalysierte Fusion (μCF): Myonen sind subatomare Teilchen, die ähnliche Eigenschaften wie Elektronen haben, aber mehr als 200 Mal schwerer sind. Ein Myon kann ein Elektron in einem Wasserstoffmolekül ersetzen, und drückt dann aufgrund seiner höheren Masse die Kerne im Molekül viel näher zusammen, was die Wahrscheinlichkeit einer Kernfusion stark erhöht, bis schliesslich ein Punkt erreicht ist, an dem ausreichend viele Fusionsereignisse bei viel niedrigerer, möglicherweise sogar Raumtemperatur stattfinden könnten. Man spricht dann auch von «kalter Fusion». Die Erzeugung der (von Natur aus instabilen) Myonen in ausreichend grosser Zahl erfordert jedoch viel mehr Energie, als bei der angestrebten Fusion anfallen würde. Die Firma Norrønt Fusion Energy AS in Norwegen arbeitet derzeit an laserproduzierten Myonen für die Muon-katalysierte Fusion.

Ein tieferer Blick auf einen alternativen Weg

Während sich fast alle Bemühungen darauf konzentrieren, die DT-Reaktion zum Zünden zu bringen und kommerziell nutzbar zu machen, erfordert das «Neutronenproblem» der DT-Reaktion, wie wir gesehen haben, eine Untersuchung alternativer Brennstoffquellen. Während die Erzielung eines Plasmas mit einer Temperatur von 100 Millionen Grad Celsius bereits eine grosse Herausforderung darstellt, scheint die Erzielung eines solchen bei drei Milliarden Grad Celsius, wie es für den besten Kandidaten jenseits der DT-Reaktion, die Bor-Proton-Reaktion, erforderlich ist, unüberwindbar zu sein. Es sei denn, man findet einen neuen, wirksameren Ansatz, um einen stabilen Einschluss zu erreichen. Dieser müsste sich bei höheren Temperaturen als günstiger erweisen als bei niedrigeren Temperaturen. Das ist es, was TAE Technologies zu erreichen versucht.

Zu diesem Zweck hat TAE einen Reaktor geschaffen, der eine seltsame Kombination aus einem Teilchenbeschleuniger und einem gewöhnlichen Plasmabehälter zu sein scheint. Die ultrahohe Temperatur im Plasma wird erreicht, indem man Strahlen von Brennstoffteilchen beschleunigt und sie mit Plasmateilchen kollidieren lässt, was Teilchenphysiker seit Jahrzehnten tun. Die typischen magnetisch eingeschlossenen Plasmadonuts werden dabei durch eine langgestreckte Plasmaröhre in Form einer hohlen Zigarre ersetzt. Um die Stabilität zu verbessern, wird diese Röhre so um sich selbst gedreht, dass sie durch den gyroskopischen Effekt wesentlich stabiler wird. Dies ist die Essenz des fortgeschrittenen FRC-Ansatzes, der von TAE verfolgt wird. Theoretisch kann dieser Ansatz auf viel höhere Temperaturen als die in einem Tokamak skaliert werden. TAE hat Belege dafür gefunden, dass die FRC-induzierte Stabilität und Ruhe im Plasma tatsächlich mit höherer Temperatur zunimmt! Es ist genau die Hypothese, dass diese vorteilhafte Skalierungseigenschaft bis zu 3 Milliarden Grad erhalten bleibt, auf der der TAE-Ansatz beruht.

Im Einzelnen funktioniert die TAE-Mischung aus Teilchenbeschleuniger und Plasmaeinschluss wie folgt:

  • Man sendet kurze, ultrastarke Stromstösse von zwei Seiten aus, die entsprechende Magnetfelder erzeugen, die in jedem der getrennten Enden der Maschine Plasmen erzeugen.
  • Ein zweiter starker elektrischer Impuls beschleunigt die beiden Plasmen dann auf eine Million km/h und lässt sie in der Mitte der Maschine aufeinander prallen.
  • Dadurch entsteht eine grössere röhrenförmige Plasmastruktur, die, wenn sie mit intensiven Strahlbeschleunigern weiter erhitzt wird, schliesslich heiss, dicht und lange genug eingeschlossen werden soll, um die Fusionsreaktion auszulösen.

Das Unternehmen hat soeben mit dem Bau seines Geräts der nächsten Generation mit dem Namen «Kopernikus» begonnen, das auf Temperaturen von mehr als 100 Millionen Kelvin ausgerichtet ist und somit Bedingungen für die Deuterium-Tritium-Fusion und die Rentabilität der Erzielung von Nettoenergie aus der DT-Fusion schafft. Wenn sich dies als praktikabel erweist, wird die Firma ein Nachfolgegerät bauen, um die kommerzielle Verügbarkeit eines Fusionsenergiereaktors aufzuzeigen, der für den Betrieb mit der Proton-Bor-Reaktion ausgelegt ist, dem ultimativen heiligen Gral der Fusionsforschung.

Ausblick

Die der Kernfusionsforschung zugrundeliegende Plasmaforschung und unser Verständnis, wie sich Plasmen unter den erforderlichen extremen Bedingungen verhalten, haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Diese stehen kaum im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Dies gibt berechtigten Anlass für einen gewissen Optimismus, dass die Technologie auf dem Weg zur kommerziellen Nutzung ist, obwohl die technischen Hindernisse nach wie vor hoch sind. Doch neben den immensen technologischen Herausforderungen werden letztlich auch soziale und wirtschaftliche Faktoren für die Anwendung der Fusionsenergie ausschlaggebend sein. Fusionskraftwerke werden dann gebaut werden, wenn Investoren und öffentliche Versorgungskommissionen sie als lohnende Investitionen betrachten. Es ist erwähnenswert, dass der wahrscheinliche Zeitrahmen für eine solche kommerzielle Rentabilität ungefähr mit dem Zeitraum zusammenfällt, in dem viele in Betrieb befindliche Kernspaltreaktoren in den Industrieländern das Ende ihrer Lizenzzeit erreichen, sowie mit dem Ziel, um 2050 oder 2060 einen Netto-Null-Ausstoss an Kohlenstoffemissionen zu erreichen. Unter solchen Umständen könnten die Vorteile der Fusionsenergie wirtschaftlich und sozial durchaus überzeugend sein.

Die kommerziell verfügbare Fusionstechnologie würde, wenn sie der Menschheit eines Tages tatsächlich zur Verfügung stünde, einen gesellschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Paradigmenwechsel bedeuten. Wären wir wirklich in der Lage, Energie wie die Sonne zu erzeugen und hätten damit Zugang zur effizientesten, sichersten und umweltfreundlichsten Energieform, die die Natur zur Verfügung stellt, würden wir mit Sicherheit nicht nur einen weiteren grossen technologischen Fortschritt erleben, sondern vielmehr einen Zivilisationssprung, vergleichbar nur mit der Erfindung der Dampfmaschine, die die Energie lieferte, die die Menschheit vor 250 Jahren in die Moderne beförderte.


[1] Bereits 1920 schlug der britische Astrophysiker Arthur Eddington vor, dass Sterne ihre scheinbar unendliche Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium beziehen. Seine Theorie wurde 1926 erstmals veröffentlicht.

[2] Das ursprüngliche Lawson-Kriterium blieb jedoch das Dichte-Begrenzungs-Zeit-Produkt, das im Bereich der Kernforschung typischerweise als Lawson-Kriterium bezeichnet wird. Viele reaktorkinetische Gleichungen können durch das Doppelprodukt behandelt werden. Allerdings beruft man sich gelegentlich auf den Namen Lawson-Kriterium mit dem Dreifachprodukt, typischerweise unter Bezugnahme auf eine verallgemeinerte Form des ursprünglichen Kriteriums.

[3] Bis heute haben die theoretischen Physiker keine kohärente Lösung für die allgemeine dreidimensionale Gleichgewichtsgleichung in der Magnetohydrodynamik (MHD) für ein ideales dreidimensionales Plasma gefunden (diese Gleichungen sind eine Kombination der Navier-Stokes-Gleichungen der Fluiddynamik und der Maxwell-Gleichungen für die Elektrodynamik). Die Prozesse und Turbulenzen im Plasma sind einfach zu komplex. Darüber hinaus ist MHD für viele Systeme außerhalb von Tokamaks nicht universell anwendbar. Zum Beispiel sind die unten besprochenen Feldumkehrkonfigurationen (FRCs) durch MHD-Modelle nicht beschreibbar.

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