Der Stein und Rosetta – Ein Hauch von Mondlandung

Es kommt nicht oft vor, dass ein wissenschaftliches Ereignis die Schlagzeilen der Tagespresse beherrscht. So schauten wir in den letzten Tagen wie zu besten Zeiten einer Fussball-Weltmeisterschaft gebannt auf die Bildschirme, als die Landung von „Philae“, dem Lander der Raumsonde „Rosetta“, auf dem Kometen Tschurjumow-Gerasimenko – von Forschern und seit diesem Jahr auch von den Medien auch „Tschuri“ genant – anstand. Am 12. November 2014 war es dann endlich soweit: Philae konnte abgesetzt werden. Zum ersten Mal in der Geschichte landete eine menschengemachte Maschine auf einem Kometen, mehr als 55 Jahre nachdem ein künstlicher Flugkörper gezielt auf der Mondoberfläche aufschlug (die sowjetische Lutnik 2 am 13. September 1959) und mehr als 45 Jahre nachdem die erste Menschen den Mond betraten.

Dass dies keine so einfache Angelegenheit war, wie sich so mancher „Armageddon“-Kinobesucher dies vorstellt, zeigt bereits folgende Begebenheit: Mit 100 kg träger Masse wirkt auf Philae nur eine Gewichtskraft, die der von 10 g auf der Erde entspricht. Und aufgrund der unrunden Form des Kometen variiert diese Kraft zudem noch stark (ein Effekt, der sich in weit schwächerer Form auch auf der „runde“ Erde beobachten lässt). So war denn auch die Hauptsorge der verantwortlichen Wissenschaftler, dass die Sonde beim Auftreffen auf dem Kometen wie eine Billardkugel einfach wieder abprallen würde.

Genau dies ist, wie wir lernen mussten, dann wohl auch passiert. Ein Teil der Rückstossdüsen funktionierte nicht. Zudem wurden die für das Festhalten vorgesehenen Harpunen und Eisschrauben nicht aktiv, weshalb der Lander beim ersten Kontakt wieder hochsprang. Insgesamt landete Philae dreimal auf dem Kometen, bevor sie etwa einen Kilometer vom geplanten Landepunkt entfernt zum Stillstand kam. Danach aber grosses Aufatmen bei den verantwortlichen Wissenschaftlern im Zentrum der ESA (European Space Agency) und DLR (Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt): Die Sonde sendet die gewünschten Funksignale und die Verbindung sei gut, so die ESA. Doch so ganz stabil sei die Lage nun auch wieder nicht, fügten die Wissenschaftler hinzu. Und nur einen Tag später bestätigten sich so manche Befürchtungen: Der unvorhergesehene schattige Landeplatz auf dem Kometen erschwert das Aufladen der Batterien. Der Sonde geht der Strom aus, und damit die Möglichkeit, weitere interessante Daten über den Kometen zu sammeln. Zudem müssen sämtliche Operationen mit grosser Vorsicht geschehen, da die Landesonde lose auf der Oberfläche des Kometen steht. Sie könnte mit einer unbedachten Bewegung leicht wieder in den Weltraum hinausgestossen werden. Wiederum einen Tag später sendet die Sonde dann auch tatsächlich keine Daten mehr. Doch noch hoffen die Wissenschaftler, dass sich die Batterien bei verbesserter Sonneneinstrahlung irgendwann wieder aufladen.

Nun war die ganze Sache keine billige Angelegenheit. Die Mission, die 1992 begann, kostet insgesamt etwa eine Milliarde Euro. Das ist viel Geld, um eine kühlschrankgrosse Maschine auf einem Kometen zu landen. Unvermeidlich kommt die Frage auf, wofür all diese Euros ausgegeben werden. In wissenschaftlicher Hinsicht erhoffen sich die Wissenschaftler Rückschlüsse auf die chemische und die Isotopenzusammensetzung des frühen Sonnensystems. Zudem wollen sie wissen, ob es auf dem Kometen Aminosäuren gibt und falls so, welche Drehrichtung sie haben. Bekanntlich bilden sie die Grundlage bei der Entstehung des Lebens. Diese Untersuchungen betreffen also Grundfragen unseres Daseins.

So ist die Sonde auch in wenig bescheidener Absicht nach der ägyptischen Hafenstadt Rosette benannt, und der Lander nach der Insel Philae im Nil. Beide Orte stellen aufgrund der dort gefundene historischen Quellen „Meilensteine“ in der Entzifferung der altägyptischen Schriften dar: den Stein von Rosette und einen Obelisken auf der NiI-Insel (an Bord der Sonde befindet sich deshalb auch eine Rosetta Disk). Wir können also auf ähnliche wissenschaftliche Durchbrüche hoffen, so suggeriert uns die Namenswahl der Mission.

Aber was bringt uns das in praktischer Hinsicht, mag sich so mancher von uns fragen. Hätte man vor hundert Jahren die wissenschaftliche Grundlagenforschung auf ähnliche Art und Weise hinterfragt, als sich diese den Eigenschaften der Atome widmete, so würden wir heute unserer Rechenaufgaben immer noch mit Abakus und Logarithmentafeln lösen. Denn die aus dieser Grundlagenforschung entstandene Quantenmechanik ist die Basis so ziemlich jeder Schlüsseltechnologie des 20. Jahrhunderts, sowie vieler der sich im abzeichnenden 21. Nun wissen wir nicht, welche der heutigen Grundlagenforschung zu zukünftigen Schlüsseltechnologien führen. Ob die (teure) Erforschung eines Kometen oder die (noch teurere) Jagd nach Elementarteilchen darunter fallen, ist ebenso wenig abzusehen wie es die Erforschung der Atome vor 100 Jahren war. Nur die Armageddon-Fans wissen schon heute: Sollte je ein Komet auf die Erde zurasen, so ist das für Rosetta ausgebende Geld jeden seiner 100 Milliarden Cents wert.

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