100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie – Die Theorie, die Einstein zum Genius werden liess

In Douglas Adams’ populärer Parodie auf das intergalaktische Geschehen „Per Anhalter durch die Galaxis“ heisst es gleich zu Beginn des zweiten Buchs, dass nach einer bestimmten Theorie die Welt etwas sehr Bizarres und Unbegreifliches ist. Und sollte jemals irgendwer herausfinden, wozu das Universum da ist, dann würde es sofort verschwinden und durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt werden. Und dann gäbe es da noch eine andere Theorie, nach der dies bereits passiert sei. In diesen Tagen jährt sich ein Ereignis zum 100.ten Mal, welches der letzten der beiden Theorien Nahrung gibt. Am 18. und 25. November 1915 trug der 36-jährige Albert Einstein auf einer Sitzung der Preussischen Akademie der Wissenschaften feierlich seine „verallgemeinerte Gravitationstheorie“ vor. Die insgesamt vier Vorträge waren der Abschluss einer neunjährigen intellektuellen Odyssee dieses heute als Inbegriff der Genialität angesehenen Mannes, der damit zu einem der bedeutendsten Männer des 20. Jahrhunderts insgesamt werden sollte. Die darin formulierte Theorie, der Einstein selbst den Namen „allgemeine Relativitätstheorie“ verlieh, stellt einen der grossartigsten singulären Beiträge in der Geschichte der Wissenschaft dar. Sie war eine Revolution unseres Denkens über den Kosmos, die bis heute ihresgleichen sucht.

Als er einmal gefragt wurde, wo sich denn eigentlich sein Labor befände, antwortete Einstein „Hier“ und zog seinen Schreibstift aus der Jackentasche. Dies trifft ganz besonders auf die Theorie der allgemeinen Relativität zu. Denn sie entstammte ganz alleine aus dem Denken und mathematischem Schlussfolgern Einsteins. Waren es bei seinen nahezu elf Jahre zuvor erschienen Arbeiten, die dem Jahr 1905 in Einsteins Biographie bereits den Namen „Wunderjahr“ verliehen hatten, noch konkrete ungeklärte Probleme und Beobachtungen gewesen, die Einstein dazu drängten, neuen Theorien zu entwickeln – die Symmetrie-Eigenschaften der Maxwell`schen Gleichungen und der Michelson-Morley-Versuch im Falle der speziellen Relativitätstheorie, die Experimente zur Schwarzkörperstrahlung und der photoelektrische Effekt im Falle der Lichtquantenhypothese, so gab es keinerlei Hinweis, dass Newtons Gravitationstheorie irgendwelcher Ergänzungen bedurfte (evtl. liesse sich die Periheldrehung des Merkurs nennen, die das Gesetzt Newtons geringfügig verletzte, aber Physiker hatten dieser bis anhin keine grössere Beachtung geschenkt; es war dieses Probem, welches Einstein am 18. November 1915 löste , bevor er am 25.11. seine finalen Feldgleichungen beschrieb). So forderte Niels Bohr, der wohl neben Einstein grössten Physikers seiner Zeit, diesen noch 1914 dazu auf, sich doch endlich den schwierigen offenen Fragen der Quantenphysik zu widmen, anstatt sich mit der Gravitation zu beschäftigen, mit der doch alles in Ordnung sei.

Was war der Hintergrund von Einsteins Überlegungen? Auch wenn ihn seine Gravitationstheorie zuallerletzt in atemberaubende Höhen der mathematischen Abstraktion führen sollte, so war ihr Anfang von einer für Einstein typischen Einfachheit und Anschaulichkeit. Bereits kurz nach der Formulierung der speziellen Relativitätstheorie war es ihm gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen der beschleunigten Bewegung und dem Wirken der Gravitationskraft herzustellen. Wie der berühmte, vom Baum fallende Apfel, der Newton im Jahre 1666 auf das Grundprinzip seiner Gravitationstheorie gebracht haben soll, lässt sich auch in Einsteins Biographie ein Geistesblitz ausmachen, der den ersten Schritt zu seiner Theorie darstellte. Einstein selbst erinnerte sich später:

Ich saß auf meinem Stuhl im Patentamt in Bern. Plötzlich hatte ich einen Einfall: Wenn sich eine Person im freien Fall befindet, wird sie ihr eigenes Gewicht nicht spüren. Ich war verblüfft. Dieses einfache Gedankenexperiment machte auf mich einen tiefen Eindruck. Es führte mich auf eine Theorie der Gravitation.

Kurz: Die Beschleunigung im freien Fall hebt die Wirkung der Gravitation auf. Damit beantwortete Einstein eine jahrtausendealt Frage, mit welchem sich bereits Aristoteles beschäftigt hatte: Ob und warum alle Körper (ohne den störende Einflüsse wie Reibung) gleich schnell fallen. Dass sie das tun, wissen die Physiker seit Galilei und wir alle heute aus dem Physikunterricht. Doch warum dies so ist, konnte auch Galilei nicht befriedigend beantworten (und so mancher heutiger Physiklehrer auch nicht). Dahinter stecket die Gleichheit von zwei sehr verschiedenen Konzepten von Masse: Die träge Masse verlieht den Körpern einen Widerstand gegen Bewegungsänderungen, wohingegen die schwere Masse für die Schwerkraft verantwortlich ist, die auf Körper mit Masse ausgeübt wird. Dass diese beiden Massen identisch sind, lässt sich keineswegs direkt einsehen.

Eine weitere Überlegung Einsteins betraf die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Newton zufolge lässt Gravitation Körper mittels ihrer Massen Kräfte aufeinander ausüben, analog zu geladenen Teilchen in einem elektrischen oder magnetischen Feld. Im Fall des Elektromagnetismus beruhen diese Kräfte auf Feldern, die von elektrischen Ladungsträgern und Magneten ausgehen. Gemäss den Maxwell’schen Gleichungen entspricht die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Felder der Geschwindigkeit des Lichts. Diese stellt nach Einsteins spezieller Relativitätstheorie von 1905 eine Obergrenze aller physikalisch möglichen Geschwindigkeiten dar. Einstein war daher davon überzeugt, dass diese Grenze auch für die Ausbreitung von Gravitationskräften gelten muss. Diese Folgerung widersprach der Vorstellung einer instant (zeitlos) im Raum fernwirkenden Kraft in der Theorie Newtons. Deshalb sah Einstein die Notwendigkeit, analog zur elektrodynamischen Theorie Maxwells auch für die Gravitation eine Feldtheorie zu formulieren, welche die Prinzipien seiner speziellen Relativitätstheorie erfüllt. Abstrakt formuliert: Er wollte die Gravitationskraft in die relativistische Struktur der Raum-Zeit einbinden.

Ein letztes Problem der klassischen Gravitationstheorie war für Einstein die Asymmetrie zwischen Körpern und Raum. Zwar wirkt der Raum auf die Körper in Form der Trägheit, indem er ihnen einen Widerstand für jede Änderung ihres Bewegungszustandes verleiht. Aber umgekehrt wirken die Körper nicht auf den Raum. Die Physiker betrachteten ihn als absolut, unbeeinflussbar von Körpern, Bewegungen oder Kräften. Dass eine solche Absolutheit des Raums aufgegeben werden musste, wusste Einstein bereits aus seinen Arbeiten von 1905. Dies führte ihn zu der Vermutung, dass sich auch die Asymmetrie zwischen Körpern und Raum nicht mehr aufrechterhalten lässt. Diese drei Gedanken Einsteins, die Gleichartigkeit von Beschleunigung und Gravitation, die Endlichkeit der Ausbreitung von Gravitationskräften und die Symmetrie in den Wirkungen zwischen Körpern und Raum, führen uns direkt in das Herz der allgemeinen Relativitätstheorie. Sie zeigen zugleich den gewaltigen Instinkt, der Einstein zur grössten einzelnen Meisterleistung in der Physik des 20. Jahrhunderts führte.

Doch sollte sich der Weg dahin als deutlich länger und beschwerlicher erweisen, als Einstein sich dies vorgestellt hatte. Die Jahre von 1905 bis 1916 gehörten zu den anstrengendsten, schwierigsten und aufopferungsvollsten seines Lebens. In diesen Jahren zerbrach Einsteins erste Ehe, er erlitt zwei Nervenzusammenbrüche und er verbrachte seine Zeit in zunehmender Isolation. Denn anders als seine Kollegen in der Atom- und Quantenphysik machte er sich ganz alleine auf den Weg, diesen neuen Gipfel der Physik zu ersteigen. (nur die Hilfe einiger Mathematiker nahm er in Anspruch). Diese nahezu völlige Einsamkeit, in der Einstein diesen Gipfel bestieg, dessen Existenz die meisten seiner Zeitgenossen nicht einmal erahnten, war es auch, die ihn schliesslich zum Inbegriff des Genies werden liess.

Was sind zusammengefasst die wesentlichen Aussagen von Einsteins neuer „allgemeiner Relativitätstheorie“? Durch die Verknüpfung der beschleunigten Bewegung mit der Gravitation verband Einstein den Begriff der Kraft mit der Struktur von Raum und Zeit, worin wiederum Kräfte wirken. Im entscheidenden Schritt hin zur allgemeinen Relativitätstheorie formulierte Einstein, dass die Wirkung der Gravitation nicht durch eine räumlich wirkende und zeitlich unabhängige Kraft gegeben ist, sondern durch eine Beeinflussung der Raum-Zeit-Struktur selbst. Mit anderen Worten, die Schwer-‚Kraft‘ ergibt sich als Konsequenz der durch Massen verursachten Veränderung in der geometrischen Struktur der vierdimensionalen Raum-Zeit. Damit vereinigte Einstein, was in der klassischen Theorie noch scharf getrennt war: Raum und Kraft, Geometrie und Gravitation. Massen treten nicht mehr durch Kräfte in Verbindung, sondern sie verändern die Struktur der Raum-Zeit, indem sie diese verbiegen oder „krümmen“, was wiederum Massen „gravitativ“ beeinflusst. Die klassische flache, sogenannte „Euklidische Geometrie“ des Raums verliert in Einsteins Theorie ihre Gültigkeit und wird durch eine lokal gekrümmte Geometrie ersetzt, deren Krümmung von der Massenverteilung abhängt. In mathematischer Form: Die Einstein-Gleichungen beschreiben einen direkten Zusammenhang zwischen der Massenverteilung der Körper (dargestellt durch ein mathematisches Objekt namens „Energie-Impuls-Tensor“ auf einer Seite der Gleichung) und den geometrischen Eigenschaften, der sogenannten „Metrik“, der Raum-Zeit (dargestellt durch den „Krümmungstensor“ auf der anderen Seite der Gleichung). Physikalisch formuliert: Der Raum ist nicht Behälter der physikalischen Welt, die Zeit nicht innerer Parameter der Bewegung, sondern beide sind integrierter Gegenstand der Physik mit einer eigenen Dynamik. Oder, wie es der Physiker John Archibald Wheeler einmal knapp auf den Punkt brachte: “ Materie sagt dem Raum, wie er sich krümmen soll. Der Raum sagt der Materie, wie sie sich bewegen soll.“

Mithilfe einer Analogie lassen sich diese abstrakte Gedanken veranschaulichen: Eine Bleikugel auf einer Gummimatte bewirkt, dass sich an der Stelle, an der sie liegt, eine Verformung einstellt. Diese Wölbung beeinflusst wiederum die Bewegung anderer Kugeln auf der Matte. Eine zweite Bleikugel wird (in Abwesenheit von Reibungskräften und je nach Drehmoment) um das Zentrum der durch die erste Kugel hervorgerufenen Wölbung kreisen. Die Kugeln auf der Gummimatte ziehen sich also nicht aufgrund irgendwelcher Kräfte an, sondern weil sie selbst die Form des Raums verändern, in dem sie sich befinden. Analog führt die durch einen massiven Körper erfolgende Verformung der geometrischen Struktur des Raums zu einer Beeinflussung der Bewegung anderer Massekörper. Eine solche Geometrisierung der Gravitation birgt allerdings eine Komplikation, die das Beispiel der Gummimatte nicht zu beschreiben vermag. Auf ihr entsteht die Verformung der zunächst zweidimensionalen Gummimatte in die uns bekannte dritte Dimension. Der Raum, den wir bei der Gravitation betrachten, ist dagegen bereits dreidimensional. Wohin soll er sich verformen? Wir benötigen eine vierte Dimension, um die durch Gravitation hervorgerufene Krümmung des Raums zu beschreiben. Hier ist unserer Anschauung eine Grenze gesetzt. Denn diese Dimension ist die Zeit. Anstatt also nur die Geometrie eines dreidimensionalen Raums zu beschreiben, in welcher sich die Körper in einer davon unabhängigen eindimensionalen Zeit bewegen, müssen wir in einer geometrischen Beschreibung der Gravitation Raum und Zeit in einer vierdimensionalen Welt als untrennbar miteinander verbunden betrachten. Doch so neu war dieser Gedanke nicht. Bereits in der speziellen Relativitätstheorie waren Raum und Zeit in einem zusammenhängenden vierdimensionalen „Raum-Zeit-Kontinuum“ verknüpft, jedoch noch weder eine durch Massen geprägte Krümmung noch eine eigene Dynamik zu besitzen.

Die allgemeine Relativitätstheorie ist die erste physikalische Theorie, die frei von spekulativen Vorstellungen bezüglich Natur und Wesen des Raums und der Zeit ist. In ihr wird die Struktur von Raum und Zeit zum Objekt einer Dynamik, die mit einer eigenen physikalischen Theorie beschrieben wird. Damit brachte die allgemeine Relativitätstheorie auch die Philosophen einen gewaltigen Schritt näher, eine jahrtausendealte Frage zu beantworten: „Was sind Raum und Zeit?“ Die Theorie Einsteins gibt uns eine Vorstellung davon, dass Raum und Zeit jenseits unserer unmittelbaren Erfahrungen etwas ganz anderes sein können als das, was wir in unseren Anschauungen in ihnen zu erkennen meinen. Bereits Immanuel Kant sprach davon, dass wir uns keine Vorstellung davon machen können, was die Struktur des Raums und der Zeit jenseits unserer Erfahrung „an sich“ ist. Auf den ersten Blick betrachtet steht diese Aussage im Widerspruch zu Einsteins Theorie, welche eine solche jenseits und gar konträr zu unserer direkten Erfahrung stehende physikalische Struktur und Dynamik von Raum und Zeit ja explizit in Form eines mathematischen Gesetzes beschreibt. Oder vielleicht doch nicht? Diejenigen Leser, die Schwierigkeiten damit haben, die Abstraktheit einer vierdimensionalen Raum-Zeit-Geometrie, ihre von den Massen abhängigen Dynamik und die komplexe mathematische Struktur der Einstein-Gleichungen nachzuvollziehen, mögen selbst urteilen, ob Kant nicht doch recht hatte, und wir uns all dies gar nicht mehr vorstellen können. Doch sei ihnen auch gesagt: Ohne Einsteins Theorie würde heute kein GPS funktionieren und Kosmologen fehlte der theoretische Rahmen, der derart perfekt all ihre Beobachtungen beschreibt.

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