«Yes, we can» – Die Energiewende nimmt Form an
„Yes, We Can“ war der Slogan des jungen Senators Barack Obama im US- Präsidentschaftswahlkampf 2008. Es waren Worte der Hoffnung und der Visionen vieler, die sich in Amerika nach achtjähriger Präsidentschaft Georg W. Bushs und seiner Mannschaft von Zynikern und Lobbyisten wie Dick Cheney (CEO der Erdölfirma Halliburton), Donald Rumsfield (Vorstandsvorsitzender der Pharma-Firma G.D. Searle & Company, später Monsanto) oder John Ashcroft (im Aufsichtsrat des Sicherheits- und Militärunternehmen Constellis) im Angesicht einer von ihnen geförderten und immer weiter gehenden gesellschaftlichen Spaltung und ökologischen Unvernunft, zweier verlustreicher Kriege und der schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit 75 Jahren nach einem Neuanfang sehnten. Obamas fester Glaube und große Hoffnung war, dass sich Amerika auch in dunklen Zeiten immer wieder zum Besseren verbessern kann. Diese „Kühnheit der Hoffnung“ (the audacity of hope) sollte seine achtjährige Präsidentschaft definieren.
Global erlebten wir lange eine fatale Spannung zwischen einer drohenden existentiellen Klimakrise und unserem wachsenden, nicht weniger fundamentalen Energiebedarf, der den Wohlstand der Menschheit und nichts weniger als den Lebensstandard eines jeden einzelnen von uns bestimmt. Von Seiten so mancher wirtschaftlichen und politischen Institution hören wir dabei bis heute von finanziellen und wirtschaftlichen Sachzwängen, die große Veränderungen in Richtung einer klimaverträglichen und zugleich sicheren Energieversorgung erschweren. „Was können regenerative Energien wirklich leisten?“, „Ist es technologisch und ökonomisch überhaupt möglich und vernünftig, unsere Energieversorgung auf sie umzustellen und in unsere zukünftigen Energiehunger klimaneutral zu sättigen?“ lautet es dann mit ablehnendem Unterton.
„Yes, we can“, lautet unterdessen nicht nur die Antwort irgendwelcher Öko-Fundamentalisten auf diese Fragen, sondern bereits seit 2001 ist dies die offizielle Haltung der deutschen Bundesregierung, als die damalige rot-grüne Koalition die Energiewende auf den Weg gebracht hat, die nicht nur von der CDU geführten Regierung 2011 bestätigt und ausgebaut wurde, sondern mittlerweile auch international sehr starke Beachtung und Nachahmerschaft gefunden hat.
Weltweit liegt im Jahr 2020 der Anteil regenerative Energien an der Stromerzeugung unterdessen bei mehr als einem Drittel. Wichtigste globale regenerative Stromquelle ist die Wasserkraft, die ca. 17% des weltweiten Strombedarfs deckt, die Windenergie lieferte ca. 6% des Stroms, die Photovoltaik 5%, Biomasse ca. 2% und Geothermie und andere erneuerbare Energieformen erreichen weniger als 1%. Das heißt aber auch, dass noch immer knapp 70% der elektrischen Energie durch fossile Energien und Kernenergie produziert werden. Bei den Neuinvestitionen jedoch sieht das Bild jedoch ganz anders aus. Heute umfassen weit über 50% der neu gebauten Kapazitäten zur weltweiten Stromerzeugung erneuerbare Energieträger, und dies in ungefähr gleichen Teilen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch wenn viele es noch gar nicht auf dem Radarschirm haben: Seit einigen Jahren zeigt der Trend deutlich in Richtung eines massiven Ausbaus regenerativer Energien.
Zwei Schlagzeilen in den letzten Tagen machen Mut, dass der Weg hin zu regenerativen Energien weiter beschritten wird:
- Im ersten Halbjahr 2020 machte der Anteil der erneuerbaren Energien zum ersten Mal mehr als 50 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland aus.
- Was vor einigen Jahren noch ganz undenkbar war: Der Bundestag hat den endgültigen Ausstieg aus der Kohle beschlossen.
Beide Entwicklungen hängen miteinander zusammen. Die Stromproduktion aus Kohle nahm im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 40 Prozent ab. Ein wesentlicher Grund dafür war der Preis für CO2-Emmissionen in der EU, der seit 18 Monaten stabil bei ca. 25 Euro liegt, nachdem er sich in den zwei Jahren davor nahezu verfünffacht und die Kohlestrom-Produktion entsprechend verteuert hat. Kohlestrom rentiert unterdessen immer weniger. So fällt es den Energiefirmen leicht, ihren jahrelangen Widerstand gegen den Kohleausstieg aufzugeben, zumal die deutsche Bundesregierung ihnen diesen Ausstieg mit kräftigen Staatshilfen versüsst. Die Lobby der Kohlekonzerne hat ganze Arbeit geleistet, so dass ihre Klientele sich an diesem Ausstieg noch eine goldene Nase verdient. Mehr als vier Milliarden Euro sollen Kohlekonzerne erhalten, in Anbetracht der Marktentwicklung wohl mehr als das Doppelte als das, was ihnen eigentlich als Entschädigung zusteht. Denn weit geringere Erlöse aus dem Stromverkauf und weiter steigende Kosten für CO2-Zertifikate ergeben eine weitaus schlechtere Zukunftsperspektive für den Kohlestrom. Leider reagiert die Bundesregierung auf die Frage, wie sie auf diesen Betrag kam, sehr schmallippig. So ist es wie beim Ausstieg aus der Kernkraft so, dass den Energiekonzernen ökologische Vernunft teuer abgekauft werden muss.
Doch bei aller (gerechtfertigter) Kritik an Geschwindigkeit und Kosten des Ausstieg aus der Kohle, so ist diese Entwicklung doch sehr erfreulich, insbesondere da hier ökonomische Trends und politischer Wille zusammenwirken: Regenerative Energien werden immer kostengünstiger und damit wettbewerbsfähiger, was es den politischen Entscheidungsträger einfach macht, ökologische Vernunft an den Tag zu legen, die sie vorher, bei höheren Kosten für regernativer Energien, noch nicht besassen. Stromgestehungskosten grossflächiger Photovoltaik-Kraftwerk liegen unterdessen mit 3.5-6 ct/kWh unter denen von Braun- und Steinkohle (4.5-8 ct/kWh, 6.5 -10 ct/kWh), bei Wind und Wasser näheren sich die Kosten mit 7,45-14 ct/kWh bzw. ca.6,5 ct/kWh an die der Kohle an.
Das Potential erneuerbarer Energien haben längst auch die internationalen Finanzinvestoren erkannt, denen nicht nachgesagt werden kann, dass sie ihr Geld nach irgendwelchen idealistischen Prinzipien anlegen. Sie investieren unterdessen jährlich fast 300 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien, seien dies Wind- oder Solarparks, neue Wasserwerke, Biomasseanlagen oder Geothermie. Den größten Teil der Investitionen machen PV-Anlangen und (Onshore-)Windkrafträder aus. Insbesondere Private-Equity Investoren (im Jahr 2003 vom damaligen SPD-Chef Franz Münterfering noch als geldgierige „Heuschrecken“ verschrien) haben Wind- und Solarparks als attraktiven Renditetreiber entdeckt und legen unterdessen mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr in „green energy“ an. Wachsende technologische Effizienz, gepaart mit immer ausgefeiteren Finanzstrukturen zur Minderung finanzieller Risiken, machen Wind- und Solarportfolios zu einem attraktiven Investitionsangebot, heißt es von Veteranen in der Branche.
China ist aktuell der größte Investor in erneuerbare Energien und zugleich Weltmarktführer bei der Herstellung und im Einsatz von Windkraftanlagen, Solarzellen und Smart-Grid-Technologien. Aber auch von den großen angelsächsischen Anlagehäusern geht eine bedeutende Investmentinitiative aus. In den USA wurden im dritten Jahr der Trump-Präsidentschaft, in dem erneuerbare Energien politisch kaum hoch im Kurs standen, Rekord-Investitionen in diese getätigt. Umgekehrt wurden in den zwei Jahren nach der Amtsübernahme des selbsterklärten Kohle-Fans Donald Trump bereits 50 Kohlekraftwerke zur Stilllegung angekündigt. „Das Schicksal der Kohle ist besiegelt, der Markt hat gesprochen“, sagen die hiesigen Energieexperten.
Eine komplette Dekarbonisierung der Stromversorgung bis 2050 ist längst nicht mehr eine Frage von technologischer Umsetzbarkeit oder wirtschaftlicher Rentabilität. Wenn jetzt auch noch guter politischer Wille dazu kommt, steht der für unser Klima so wichtigen Energiewende nichts mehr im Weg.