Wissenschaft und Politik in der Klimadebatte – Clash zweier Problemlösungs-Kulturen
Schon wieder lesen wir in diesen Tagen einen Aufruf von prominenten Naturwissenschaftlern zum Klimawandel. Beim Abschluss der alljährlichen Nobelpreisträger-Tagung in Lindau unterzeichneten mehr als 30 Laureaten eine Erklärung, in der sie die Staaten der Welt auffordern, dem Klimawandel entschiedener zu begegnen. Ganz entgegen ihrer üblichen wissenschaftlichen Nüchternheit scheinen Forscher, geht es um den Klimawandel, um dramatische Formulierungen kaum verlegen zu sein. Die Menschheit müsse dem steigenden Rohstoffverbrauch entgegensteuern, sonst „wird dies zu einer umfassenden menschlichen Tragödie führen“, so der Appell der Nobelpreisträger aus den Gebieten Physik, Chemie und Medizin. Untätigkeit würde bedeuten, dass wir künftige Generationen einem unzumutbaren Risiko aussetzen. Die Faktenlage, die dieser Einsicht zugrunde liegt, ist bei weitem nicht neu. Ziemlich genau so formulierte es bereits die „American Physical Society“ im Jahre 2007.
Nun ist es bereits an sich ungewöhnlich, dass sich Wissenschaftler nahezu unisono und mit derart inbrünstiger Überzeugung auf etwas festlegen, was sie bisher nur einigermassen gut modellieren und nur mit verhältnismässig grossen Fehlerbalken vermessen können. In Anbetracht solcher Einschätzungen von Seiten derer, die sich erstens am besten mit den Fakten auskennen und zweitens qua ihres beruflichen Ethos an festen Wahrheiten eher ihre Zweifel hegen, sollte man denken, dass diese ausserordentlich klaren Worte auf Seiten der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger auf mehr Gehör stossen sollten.
Da ändert auch der eher bizarre Auftritt eines Kritikers der These von der globalen Erwärmung aus dem erlauchten Kreis der Wissenschaftler selbst nichts. Im Gegenteil, solche Auftritte führen uns immer wieder vor Augen, wie kritisch und dogmenfrei innerhalb dieser Zunft diskutiert wird. Andererseits ist es bemerkenswert, dass die Darlegungen des Nobelpreisträgers in Physik von 1973 Ivar Giaever die allergrösste öffentliche Aufmerksamkeit erfährt. Denn nach eigener Aussage versteht er von Klimawissenschaft nichts (er erhielt den Nobelpreis für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Supraleitung), und er interessiere sich auch nicht sonderlich dafür interessiert, wie er zugibt. Doch „für ein Panel hat er sich mal einen halben Tag bei Google umgeschaut“, was ihm genügte, um die Erderwärmung pauschal in Abrede zu stellen. So können konservative Denkfabriken Anzeigen mit seinem Namen schalten, und das ebenso konservative „Wall Street Journal“ ihn als Beleg für einen „Kollaps des Konsenses in der Klimaforschung“ nennen. Eine entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit erfahren Hunderte von echten Experten auf diesem Gebiet nicht! (Notiz: Die meisten Unterzeichnenden sehen sich nicht als Experten auf dem Gebiet des Klimawandels, sondern vielmehr „als eine vielfältige Gruppe von Wissenschaftlern, die Hochachtung vor der Integrität des wissenschaftlichen Prozesses haben und ein tiefes Verständnis dafür aufbringen.“)
Tatsächlich wundern sich Wissenschaftler nicht selten darüber, wie – oder besser wie wenig – Wirkung ihre Bemühungen in Öffentlichkeit und politischen Auseinandersetzung entfalten. Aus ihrer Sicht mag es komplett irrational erscheinen, dass die Menschheit noch nicht angemessen auf die so offensichtliche Bedrohung reagiert. Bereits bei Wahrscheinlichkeiten von 50% (oder je nach Einschätzung weniger), dass wir einem ausgemachten und bedrohlichen menschenverursachten Klimawandel entgegenblicken, müsste doch eine dramatische Reaktion von Seiten der Menschheit erfolgen, inklusive einer massiven Veränderungen unseres Konsumverhaltens. Dies gebieten Risikoabschätzungen und jede Art von rationaler Kosten-Nutzen-Analyse. Dabei liegt die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, dass diese Entwicklung bei einem „Weiter so“ unsererseits eintritt, unterdessen eher bei 95%! Die Leugnung des menschenverursachten Klimawandel (oder äquivalent, die Aussage, dass seine Wahrscheinlichkeit derart gering ist, dass rationale Kosten-Nutzen-Abschätzungen eher die Beibehaltung des Status-Quos in unserem Konsumverhalten verlangen, d.h. dass diese Wahrscheinlichkeit irgendwo unter 10% liegt) muss Naturwissenschaftlern als ein Akt ausgesprochener Ignoranz und Dummheit vorkommen.
Aus rationaler Sicht ist es dies natürlich auch. Doch müssen Wissenschaftler erkennen, dass ihre Art Probleme zu erfassen und zu lösen, sich sehr viel anders darstellt als in Wirtschaft und Politik. Wissenschaftliche Probleme gleichen eher Mathematikaufgaben, welche man mittels intellektueller Anstrengungen oder manchmal auch durch schlichtes Ausprobieren zu lösen anstrebt. Einmal gelöst, erkennt man diese Lösung als endgültig (oder zumindest als sehr lange gültig) an. Die „Probleme“ in Wirtschaft und Politik zeigen sich dagegen in grundlegend anderer Form. Hier geht es zumeist um Interessensdivergenzen zwischen verschiedenen Parteien. Entsprechend stellen sich die Lösungen dieser „Probleme“ dar: Es geht um die Bewertung bestimmter Interessen gegenüber anderen bzw. um den Ausgleich verschiedener Interessen. Mit anderen Worten, Ziel ist die für die vertretenen Interessen optimale Lösung. Diese kommt daher auch zumeist in Gestalt von „Geschäften“ (auf neu-Deutsch „Deals“) und sind zumeist von entsprechend kurzlebiger Natur.
Damit wird verständlich, dass auf Klimakonferenzen wie auf einem Bazar um C02-Beschränkungen verhandelt und gefeilscht wird. Wissenschaftlern, die die notwendigen Reduktionen doch mittels ihrer Modelle mehr oder weniger verlässlich zu berechnen vermögen, mag dies sehr merkwürdig vorkommen. Ebenso verständlich wird eine eher typische und durchaus als zynisch zu interpretierende Reaktion auf Seiten der „Klimaskeptiker“ in Diskussionen mit Wissenschaftlern: Sie greifen die Forscher persönlich an, was diese zunächst konsterniert und ratlos zurücklässt: die Wissenschaftler würden mit ihren Modellen und Vorhersagen „persönliche Interessen verfolgen“. Wer selbst Wissenschaft betrieben hat, wird wissen, dass dort die Egos zwar nicht kleiner sind als anderswo, aber Forschungsergebnisse nach persönlicher Interessenslage der Beteiligten im Allgemeinen sehr kurzlebig sind. Eine solche unverschämte wie absurde Behauptung wird nur verständlich in einer Welt, in der Probleme zu einem allergrössten Teil aus der Kollision eigener mit fremden Interessen bestehen und in welcher Forschungsergebnisse zunächst einmal als Bedrohung ersterer wahrgenommen werden. Dies erklärt dann zuletzt auch die Reaktion der Protagonisten, Forschungsergebnisse trotz eigenen sehr eingeschränkten Fachwissens über die Materie pauschal als inkorrekt zu charakterisieren. Doch fehlt es hier nicht nur an der notwendigen intellektuellen Bescheidenheit ob einer komplexen Materie. Es handelt sich schlicht um Interessenspolitik!
Doch liegen die Differenzen zwischen Wissenschaft und der ökonomisch basierten Realpolitik zuletzt noch tiefer. Sie betreffen eine grundlegende Frage, bei er es um so etwas wie „intellektuelle Redlichkeit“ geht, also darum, wie sich in unseren kognitiven Bemühungen, möglichst frei von Emotionen oder Interessen, die bestmögliche Übereinstimmung zwischen Wissen und Meinung erreichen lässt. Erst mit der Freiheit, „sich nicht mehr in die Tasche zu lügen“ (wie es der Philosoph Thomas Metzinger formuliert), ist moralisches Handeln letztlich überhaupt erst möglich. In etwas altmodischer Formulierung sagt uns der Philosoph Immanuel Kant, worum es geht: um „die Lauterkeit der Absicht, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein“. Wir brauchen nicht lange um zu erkennen, wo wir dieses Ideal stärker verwirklicht sehen: in der langfristigen Suche nach Wissen für ein angemessenes rationales Handeln oder in der kurzfristigen Optimierung ökonomischer oder politischer Partikularinteressen?