Wirtschaftsnobelpreis 2018 – Die wirtschaftliche Bedeutung von technologischer Innovation und der Umwelt
Mit der Bekanntgabe der Gewinner des diesjährigen Wirtschafts-Nobelpreises ist der Prozess der alljährlichen und immer wieder mit Spannung erwarteten Nobelpreis-Verkündigungen zu Ende gegangen. Der Wirtschaftspreis ist der einzige, der für eine Sozialwissenschaft vergeben wird anstatt für eine Naturwissenschaft. Bei dieser Disziplin geht es um Prozesse, in denen sehr viele Faktoren eine nicht immer im Einzelnen erfassbare Rolle spielen. So kann eine gegebene – und ggfs. sogar mit einem Nobelpreis ausgezeichnete – Theorie sich als völlig falsch herausstellen, wenn sich die Voraussetzungen oder Annahmen für sie ändern. Daher streiten sich die Ökonomen immer wieder über die Qualität und Richtigkeit ihrer Modelle. Eine umfassende empirische Überprüfbarkeit von ökonomischen Modellen ist in der Regel kaum möglich.
So behaupten manche, dass dies der Grund dafür ist, dass der Wirtschaftsnobelpreis gar kein richtiger Nobelpreis ist. Tatsächlich taucht eine solche Ehrung für das Gebiet der Ökonomie nirgendwo im Testament des schwedischen Industriellen Alfred Nobel auf. Der Preis wurde erst 1968 von der schwedischen Riksbank anlässlich ihres 300-jährigen Bestehens im Gedanken an Nobel gestiftet. Sein korrekter Name lautet „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis“. So kommt es vor, dass ein solcher Nobelpreis für eine Wirtschaftstheorie verliehen wird, die einer anderen Theorie explizit widerspricht, welche in der Vergangenheit bereits mit einem Preis ausgestattet wurde. So gingen beispielsweise die frühen Nobelpreise vielfach an Ökonomen, die der Theorie des rationalen Nutzenmaximierens auf der Ebene der ökonomischen Agenten (sprich: den Menschen) ausgingen. In den letzten Jahren gab es dagegen immer mehr Preisträger, die sich stark gegen diese Annahme aussprachen und ein Gebiet begründeten, das heute „Verhaltensökonomie“ heisst. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen hier die vielen kognitiven Verzerrungen und Irrationalitäten, die wir Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen an den Tag legen. Man stelle sich dies einmal für die Physik vor: Einmal werden Forscher ausgezeichnet, die der klassischen Mechanik folgen, dann mal wieder solche, die die Quantenmechanik vertreten. Das ist schlicht unvorstellbar.
Auch dieses Jahr wird ein Preisträger ausgezeichnet, der einem Model wiederspricht, für das bereits ein Nobelpreis ausgesprochen wurde. Der Amerikaner Paul M. Romer erhält den Nobelpreis 2018 für seine Arbeiten rund um technologische Innovationen und ihre Bedeutung für das wirtschaftliche Wachstum. Die Frage nach Faktoren des Wirtschaftswachstums ist für Ökonomen von enormer Bedeutung. So erhielt bereits 1987 der amerikanische Ökonom Robert Solow den Nobelpreis für seine Theorie des Wirtschaftswachstums auf der Basis des technologischen Fortschritts, welche er in den 1950er Jahren entwickelt hatte. Anders als Romer allerdings war Solow der Auffassung, dass die bestimmende Kraft des wirtschaftlichen Wachstums, der technologische Fortschritt, ausserhalb der Wirtschaft und der in ihr operierenden Akteuren, z.B. Unternehmen oder staatlichen Einrichtungen, liegt. Der technologische Fortschritt sollte sich unabhängig von der Wirtschaft entwickeln und damit von extern auf sie wirken (Wirtschaftswissenschaftler sprechen von exogenen Faktoren). Das endogene Wachstumsmodel, welches auf Romer zurückgeht, behauptet dagegen, dass das wirtschaftliche Wachstum das Resultat von endogen wirkenden Faktoren ist, also Faktoren, die innerhalb des Einflusses der Firmen und anderer Entitäten innerhalb der Wirtschaft liegen. Auch Romer beschreibt den technologischen Fortschritt als Treiber des wirtschaftlichen Wachstums, erkennt jedoch, dass dieser Fortschritt von den Aktivitäten der Marktteilnehmer selbst abhängig ist. So betont er beispielsweise die Notwendigkeit, dass starke Institutionen des öffentlichen und privaten Sektors Innovationen explizit fördern und Anreize für Einzelpersonen und Unternehmen schaffen, innovativ zu sein. Die Politik einer Regierung hat gemäss seinen Modellen einen bedeutenden Einfluss auf das Wirtschaftswachstum eines Landes, indem es Innovation und Wettbewerb fördert. Vor allem in den Bereichen Infrastruktur und bei Investitionen in Bildung, Gesundheit und Telekommunikation ergeben sich hohe Skalenerträge, so Romer. Genauso sind Investitionen von Firmen in Forschung und Entwicklung ein zentraler Treiber des technologischen Fortschrittes und damit des Wirtschaftswachstums, zudem Investitionen in die Menschen („Humankapital“), z.B. durch Bildung und Weiterbildung. Romers Ergebnisse ermöglichen es uns, allgemein besser zu verstehen, welche Marktbedingungen die Entstehung von Ideen für neue profitable Technologien begünstigen: Im Allgemeinen wächst eine Wirtschaft gut, wenn seine Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft Offenheit, Wettbewerb, Veränderung und Innovation fördern.
In dieser Theorie liegt eine klare politische Botschaft an autokratische Regierungen: Die Wirtschaft wächst am besten in offenen Gesellschaften! Es mag erstaunen, dass sich für diese sehr intuitive Einsicht ein Nobelpreis verdienen lässt. Doch gab es 1994 auch schon einen Wirtschaftsnobelpreis für die Aussage „Wie Du mir, so ich Dir!“. Hinter beiden steckte eine weitaus komplexere Argumentation, bzw. im Fall der Spieltheorie eine sehr abstrakte Mathematik, als die Einfachheit der Aussage vermuten liesse. Und wer sagt, dass einfache, intuitive Einsichten in der Ökonomie immer ganz einfach verstanden und modelliert werden können?
Auch der zweite Nobelpreis geht dieses Jahr an einen US-Amerikaner. Und auch dieser birgt aktuellen politischen Zündstoff, der insbesondere Donald Trump zu denken geben sollte. William D. Nordhaus hat sich sehr ausführlich mit der Ökonomie des Klimawandels auseinandergesetzt und dabei gezeigt, „wie die wirtschaftliche Aktivität mit chemischen und physikalischen Vorgägen zusammenwirkt, um den Klimawandel hervorzurufen“. Es gelang ihm, in den Worten des Nobelkomitees, „den Klimawandel in langfristige ökonomische Modell zu integrieren“. Besonders seine DICE- und RICE- Modelle (Dynamic Integrated Climate-Economy model und Regional Integrated Climate-Economy model) beschreiben ein hochaggregierten Modell, das Ökonomie, Kohlenstoffkreislauf, Klimabedingungen und ihre Auswirkungen integriert, wobei Theorien und empirische Resultate aus der Physik, Chemie und Ökonomie verbunden werden. Diese Art der Umweltkostenrechnung ermöglicht unter anderem eine Abwägung der Kosten und Vorteile von expliziten politischen und regulatorischen Massnahmen zur Verlangsamung des Treibhauseffekts, wie beispielsweise die Einführung einer CO2-Steuer. Die Ergebnisse seiner Arbeiten liessen Nordhaus zu einem lautstarken Verfechter eines langfristig nachhaltigen Wachstums in der globalen Wirtschaft und der Einführung staatlicher Massnahmen gegen den Klimawandel werden. Die Bekanntgabe seiner Auszeichnung nahm er daher zum Anlass, deutliche Kritik an der US-Regierung und ihrer verantwortungslosen Klimapolitik zu üben.
Zur Begründung ihrer Wahl der diesjährigen Nobelpreisträger für die Wirtschaftswissenschaften schreibt das Nobelkomitee konkret:
Die Untersuchung, wie die Menschheit mit begrenzten Ressourcen umgeht, steht im Mittelpunkt der Wirtschaftswissenschaften. Seit ihrem Dasein als Wissenschaft hat sie erkannt, dass die wichtigsten Begrenzungen von Ressourcen Natur und Wissen sind. Die Natur diktiert die Bedingungen, in denen wir leben, und Wissen definiert unsere Fähigkeit, mit diesen Bedingungen umzugehen. Trotz ihrer zentralen Rolle haben Ökonomen kaum untersucht, wie Natur und Wissen durch Märkte und das Verhalten seiner Agenten beeinflusst werden. Die Preisträger Paul M. Romer und William D. Nordhaus haben den Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse erweitert, indem sie Werkzeuge geschaffen haben um zu prüfen, welchen Einfluss die Marktwirtschaft langfristig auf die Natur und das Wissen hat.
Es wurde aber auch Zeit, kann man da nur sagen.