Wie wir uns ernähren werden – Die Zukunft ist vegetarisch mit Fleisch aus dem Labor
Nicht nur in Deutschland, dem Vorreiterland der Energiewende (wenn auch unterdessen in dieser Rolle zurückgefallen), haben sich sowohl der Energiemarkt als auch der politische Wille in den letzten Jahren stark verändert. In vielen Ländern der Welt werden die Karten des Energiemixes neu gemischt. Das jüngste Beispiel ist China, wo Präsident Xi Jinping vor einigen Tagen bekanntgab, dass sein Land bis 2060 CO2-neutral zu sein anstrebt. Die politischen Entscheidungsträger haben sich endlich der Aufgabe zugewandt, den Klimawandel zu stoppen. Doch reicht es aus, wenn die Politiker Lippenbekenntnisse abgeben? Wie steht es mit unserer individuellen Verantwortung für die Emission von Treibhausgasen? Was haben wir bisher persönlich geleistet, um diese einzudämmen? Viele Bewohner der Industrieländer fahren immer noch wie selbstverständlich mit grossen Autos umher, verzehren grosse Mengen an Fleisch, essen Avocados aus Thailand und tragen T-Shirts aus Bangladesch. Daran, dass wir nicht nur in die Sommerferien fliegen wollen, sondern zunehmend auch in den Frühjahrs- und Herbsturlaub, hat selbst die Corona-Krise kaum etwas geändert.
Auch unsere Ernährung verursacht eine signifikante Menge an Treibhausgasen. Was wir essen wird angebaut, geerntet, transportiert, gelagert, weiterverarbeitet, bevor es schliesslich im Verkauf landet und dann, erneut nach Lagerung, Kühlung und Zubereitung, von uns konsumiert wird. Die Tierhaltung macht dabei einen besonders grossen Teil der Emissionen aus. Gemäss der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) macht weltweit die Haltung und Verarbeitung von Tieren fast 15 Prozent der Treibhausgasausstösse aus; in Deutschland sind es ca. 12,5 Prozent. Schätzungen für die gesamte Nahrungsmittelproduktion gehen bis zu 30%.
- Für die Produktion eines Kilos Rindfleisch (ca. 2.500 kcal Nährwert) wird das Treibhaus-effektive Äquivalent von ca. 13 Kilogramm CO2 emittiert,
- ein Kilo Butter (ca. 7.000 kcal Nährwert) kommt sogar auf 24 Kilogramm CO2,
- ein Kilo Lammfleisch (ca. 3.000 kcal Nährwert) auf sage und schreibe 39 kg CO2,
- während ein Kilo Käse (ca. 3.000 kcal Nährwert) durchschnittlich 8,5 Kilogramm CO2 benötigt.
- Bei Kartoffeln (ca. 860 kcal Nährwert) beträgt dieser Wert gerade einmal 0,4 Kilo CO2, und
- bei der Produktion von einem Kilo frischem Gemüse (ca. 400 kcal Nährwert) fallen im Schnitt nur 0,15 Kilo CO2 an. Gemüse hat damit unter den Grundnahrungsmitteln die beste CO2-Bilanz.
Hier könnten Methoden der Gentechnik, wenn diese in Europa auch umstritten sind, weitere Verbesserungen bringen. Es gibt zum Beispiel gentechnisch veränderten Reis, dessen Produktion insgesamt weniger Treibhausgase freisetzt und der zugleich mehr Ertrag bringt. Voraussetzung dafür ist, dass hinter diesen Methoden nicht nur die Profitgier der Unternehmen steckt, sondern dass diese auch von Ernährungswissenschaftlern einwandfrei als für unserer Gesundheit zuträglich sowie von Umweltexperten als nicht schädlich für die Biosphäre erwiesen werden.
Transport und Verpackung der fertigen Nahrungsmittel spielen eine eher nebensächliche Rolle für die Umwelt (solange sie nicht per Flugzeug transportiert werden). Allein auf regionale Produkte zu setzen, verbessert den Fussabdruck der Ernährung nur um etwa 4 Prozent (manche Produkte können in Übersee sogar CO2-günstiger produziert werden). Wichtiger ist es, auf saisonale Nahrungsmittel zu achten: Äpfel, die monatelang in Kühlhäusern gelagert werden, sind in ihrer Klimabilanz bei weitem nicht so gut wie frische Äpfel. So beträgt die für das Kühlen benötigte Energie nach sechs Monaten schon 22 Prozent des gesamten Energieeinsatzes.
Laut WWF reduziert sich der CO2-Fussabdruck der Ernährung eines Mitteleuropäers um ca. 25 Prozent, wenn sie oder er auf vegetarische Ernährung umstellt. Bei veganer Ernährung sind es sogar 40 Prozent. Kein Wunder, dass der Weltklimarat in seinem „Sonderbericht zu Klimawandel und Landsysteme“ vom August 2019 eine Kehrtwende beim menschlichen Fleischkonsum fordert. Um die steigende Weltbevölkerung satt zu machen, brauchen wir weiter verbesserte Methoden der Nahrungsgewinnung. Tierhaltung können wir uns für 10 Milliarden Menschen einfach nicht mehr leisten.
Dazu kommt: Seit längerem ist bekannt, dass Fleischkonsum, insbesondere der von verarbeitetem Fleisch, nicht unbedingt gesundheitsfördernd ist. Er erhöht signifikant das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken (da sich im Mikrobiom, der bakteriellen Darmflora potenziell aggressive Bakterien vermehren, die Entzündungen und mit der Zeit mutierende Zellen verursachen), ebenso wie das von Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs. Weitere Folge starken Fleischverzehrs sind Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Niereninsuffizienz, chronische Entzündungen, Arthrose und Rheuma, Ärzte raten daher zu einem reduzierten Fleischkonsum.
Müssen wir also in Zukunft auf unser Steak oder Kotelett ganz oder teilweise verzichten? Nein, denn auch im Bereich der Nahrungsmittelproduktion werden wir dramatische technologische Veränderungen erleben. Sie ermöglichen uns, gesünderes und ökologischeres Essen – und dieses wird dazu auch noch schmackhafter sein als das, was wir heute kennen.
Seit es den Menschen gibt, sammelt oder jagt er seine Nahrung oder erzeugt sie im Stall und auf dem Feld. Daran hat auch der Einsatz modernster landwirtschaftlicher Methoden und die Gentechnik nichts geändert. Doch in Zukunft werden wir auf ganz anderen Wegen zu einem grossen Teil unserer fleischlichen Nahrung kommen. Dabei wird der 3D-Druck eine grosse Rolle spielen. Denn mit ihm lässt sich neben Gegenständen des täglichen Gebrauchs auch Essbares herstellen, und dies in gesünderer, kostengünstigerer, schmackhafterer und klimafreundlicherer Form.
Nahrung ist eigentlich nur eine Zusammenstellung von Eiweiss, Fett und Kohlenhydraten plus Vitaminen und Spurenelementen. Diese lassen sich mit geeigneten Verfahren auch technisch zusammenstellen, und dies sogar noch viel effizienter und ernährungsphysiologisch wertvoller als die Natur dies tut. Zudem eignet sich die Herstellung in sterilen Zellkulturen viel besser zur industriellen Fleischherstellung, denn hier ist die Kontrolle von Krankheitserregern und Giftstoffen einfacher. Zudem entfällt das aufwendige und appetitraubende Entfernen von Innereien, Haaren und Knochen. Auch lässt sich der Fettgehalt des Fleisches steuern. Und nicht zuletzt: Die Herstellung künstlichen Fleisches im Labor reduziert die Treibhausgasemissionen um bis zu 95 Prozent.
Schon 2013 stellten Wissenschaftler der Universität Maastricht eine künstliche Frikadelle her. Dafür entnahmen sie Muskelstammzellen von Rindern, versetzten sie mit Nährstoffen, Salzen, pH-Puffern und Wachstumsfaktoren und überliessen sie der Vermehrung. Aus den Zellen wurden Zellstränge, rund 20.000 von ihnen waren für eine 140-Gramm-Frikadelle nötig. „Fast wie Fleisch, nicht ganz so saftig, aber die Konsistenz ist perfekt“, meinten Testesser dazu. Der Aufwand für diesen Prototyp war jedoch immens, die Frikadelle kostete 250.000 Euro.
Sieben Jahre später steht das In-vitro-Fleisch kurz vor der Marktreife. Entsprechende 3D-Bio-Drucker setzen die gezüchteten Zellstränge serienmässig zu Muskelgewebe zusammen. Die Preise lagen im Jahr 2020 um die 8 bis 10 Euro pro Burger (ca. 140 Gramm). Eine Reihe von Start-ups strebt heute an, ihre Produkte schon bald zu wettbewerbsfähigen Preisen auf den Markt zu bringen. Hier sind einige Beispiele:
- 2018 gründete die Firma „byflow“ in Kooperation mit dem 3-Sterne-Koch Jan Smink in der holländischen Stadt Wolvega das erste 3D-Druck-Restaurant.
- Das Designstudio „Dovetailed“ entwickelte einen 3D-Drucker für Obst, der jeden Fruchttyp in jeder Form und Grösse sekundenschnell drucken kann. Die jeweiligen Aromen erzeugen die Forscher mit Fruchtsaft, die Textur aus pulverisiertem Natriumalginat.
- Das in Kalifornien ansässige Unternehmen „Memphis Meats“ baut derzeit eine Pilotanlage zur Herstellung seiner Rind-, Hühner- und Entenkulturen in grösserem Massstab.
- In Israel hat die Firma „Redefine Meat“ das gleiche Ziel und setzt dabei auf 3D-Bio-Drucker.
- Die finnische Firma „Solar Foods“ hat sogar einen Weg gefunden, Eiweiße fast nur aus Luft herzustellen. Dazu „füttern“ sie Bodenbakterien mit CO2 und Stickstoff aus der Luft sowie Wasserstoff und Mineralien. Das damit produzierte Protein ist sogar klimaschonender als herkömmliche pflanzliche Lebensmittel, da seine Herrstellung kaum Platz braucht und sein Wasser- und Enegeverbrauch erheblich geringer ist.
Diese Firmen sind nicht die einzigen. Dutzende andere haben das gleiche Ziel. Und für dieses Ziel steht unterdessen auch eine Menge Investitionskapital bereit.
Wer meint, dass künstlich hergestelltes In-Vitro-Fleisch wenig appetitvoll oder eine Ernährung mit künstlich hergestelltem Fleisch würde den Menschen zu weit weg von der Natur führen, sollte mal einige Stunden in einer Grossschlachtanlage verbringen oder bei einem grossen Agrarproduzenten zuschauen. Im Sommer 2020 wurden wir mit der Tönnies-Krise unfreiwillige Zeugen der furchtbaren Bedingungen der heutigen industriellen Fleischproduktion. Die Massentierhaltung bei den Grossbauern ist kaum appetitlicher. Neben Wildtieren sind im Übrigen auch Bauernhöfe bedeutende Virenschleudern. Und die Monokulturen der heutigen pflanzlichen Nahrungsmittelproduktion, inklusive der für Tierfutter, gehen mit derart massiven Schädigungen der Natur (Bodenverdichtung, Bodenerosion, Dünger und Pestizide im Grundwasser, Bienensterben aufgrund Pflanzenschutzmitteln) einher, dass der Ruf nach einer „Agrarwende“ immer lauter wird. Anstatt ein Schritt weg von der Natur stellt die künstliche Fleischproduktion einen mächtigen Schritt zum ihrem Schutz dar, also eine Schritt hin zur Natur!
Und was die Schmackhaftigkeit angeht, zuletzt wohl neben der Gesundheit das wichtigste Kriterium für das was wir essen, so arbeiten die alternativen Fleischproduzenten mit Gourmet-Köchen und Metzgern zusammen, aber auch mit Lebensmitteltechnikern, Geschmacksexperten und Herstellern von Aromen und Duftstoffen, um Saftigkeit, Textur und Mundgefühl zu optimieren. Ihr Ziel ist es, den Geschmack des Steaks täuschend echt zu simulieren und durch entsprechende Aromazugaben sogar noch zu verbessern. Erste Tester attestieren einhellig, dass die gedruckten Steaks wie echtes Fleisch schmecken, geschmackvoll, bissfest und faserig wie das Original.
Dem Lebensmittelmarkt steht eine Revolution bevor. Pflanzliche Ernährung ist klimabilanztechnisch recht günstig, anders das Fleisch aus tierischer Produktion. Aus Zellen gezüchtetes und mit 3D Druckern ausgeedrucktes Fleisch und Meeresfrüchte werden die industrielle Tierhaltung dramatisch reduzieren und dabei unsere Essgenuss sogar noch erhöhen. Es wird geschätzt, dass bis 2040 35 Prozent des gesamten Fleisches derart produziert wird. Der Populärphilosoph Richard David Precht zeichnet schon das Bild einer Gesellschaft ohne Nutztierhaltung, aber mit Fleisch, das nicht von der Weide kommt, sondern das wir selber ausdrucken. So können wir die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung sicherstellen und den ökologischen Fussabdruck unserer Ernährung reduzieren. Dabei wird unsere Ernährung zugleich gesünder, ohne dass wir auf Geschmack verzichten müssen.