Widersprüche zwischen den zwei grossen theoretischen Gebäuden der heutigen Physik – Zur Phänomenologie schwarzer Löcher
Von den zahlreichen bizarren Dingen, mit denen uns die theoretische Physik in den letzten 100 Jahren konfrontiert hat, gehören „schwarze Löcher“ sicherlich zu den eigenartigsten. Nachdem Albert Einstein im November 1915 die Grundgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie formuliert hatte, dauerte es weniger als ein Jahr, bis die Physiker begriffen, welch dramatische Konsequenzen für unsere Welt aus ihnen folgen. Eine davon konnte der deutsche Astronom Karl Schwarzschild bereits zu Beginn des Jahres 1916 aufzeigen, als es ihm gelang, eine Lösung der Einstein-Gleichungen in Form einer Raum-Zeit-Metrik angeben, die dem Gravitationsfeld einer punktförmigen Masse beim Nullpunkt (r=0) entspricht. Hier wird die Krümmung der Raum-Zeit bzw. die Gravitationskraft derartig gross, dass selbst Licht nicht mehr entweichen kann. Die Raum-Zeit in diesem Punkt besitzt das, was Physiker eine ‚Singularität‘ nennen. Das bedeutet nichts anderes, als dass an dieser Stelle Raum und die Zeit zu existieren aufhören. Allerdings ist die notwendige Materiedichte eines solchen Gebildes so gross (sie entspricht der Masse der Erde in einer Kugel mit einem Radius von 9 mm), dass Einstein und Schwarzschild mit einer solchen Lösung nichts anzufangen wussten. Erst Jahre später erkannten die Physiker, dass im Universum tatsächlich ausreichend hohe Massedichten für grössere Radien vorkommen können (so entstand der Begriff „Schwarzes Loch“ für ein solches Gebilde erst ca. 50 Jahre später).
Nun könnte man schwarze Löcher für eine für unser Leben belanglose Kuriosität einer bereits bizarren Theorie halten, die ausserhalb der Kosmologie und Astrophysik keine allzu grosse Rolle spielen sollte. Lange war sie das auch, bis die Physiker merkten, dass sich gerade in der theoretischen Beschreibung schwarzer Löcher fundamentale Unterschiede zwischen den beiden Theorien ergeben, die das Fundament der heutigen Physik bilden: der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantentheorie. Bis dahin hatten sie ungestört voneinander koexistieren können, die Quantentheorie die atomare Welt des Mikrokosmos beschreibend, die allgemeine Relativitätstheorie den Makrokosmos der Galaxien und das Universum als Ganzem. Beide Theorien in eine einzige Theorie mit Geltungsbereich über sämtliche Skalen hinweg zusammenzubringen, erwies sich mit zunehmenden Bemühungen gar als theoretisch unmöglich. So ist aus Sicht der Quantentheorie die allgemeine Relativitätstheorie immer noch eine „klassische Theorie“, die ohne Quantensprünge und Wahrscheinlichkeitswellen auskommt, während aus der Sicht der allgemeinen Relativitätstheorie die Quantentheorie nach wie vor eine „hintergrundunabhängige Theorie“ darstellt, d.h. sie kennt keinen Einfluss von Materie auf die Struktur von Raum und Zeit (da die Gravitation an die Materie gekoppelt ist, welche wiederum quantentheoretisch beschrieben wird, entsteht eine physikalische Inkonsistenz: Die Raum-Zeit kann nicht zugleich statisch absolut und dynamisch sein). Schwarze Löcher, fallen nun aber in den Geltungsbereich von allgemeine Relativitätstheorie und Quantentheorie zugleich und stellen daher einen Testfall für beide dar.
Gemäss der Einstein’schen Theorie kann nichts und gar nichts jemals aus einem schwarzen Loch entkommen. Alles, was in ein solches hineinfällt, verliert seine Struktur und Form. Das schwarze Loch selbst lässt sich alleine durch seine Masse, Spin (Eigendrehimpuls) und Ladung eindeutig charakterisieren. Oder, wie es der bekannte theoretische Physiker John Wheeler einmal formulierte: „Schwarze Löcher haben keine Haare“. Dieses „klassische“ Bild schwarzer Löcher brachte der heute wie ein Popstar verehrte Physiker Stephen Hawking in den 1970er Jahren ins Wanken (was ihm schliesslich den Ruf des Genies einbrachte – wozu allerdings sicher auch seine tragische Erkrankung beitrug). Unter Verwendung quantenfeldtheoretischer Überlegungen kam Hawkings zu dem Schluss, dass aus einen schwarzen Loch durchaus etwas herauskommen kann, und zwar in Form der heute so genannten „Hawking-Strahlung“. Damit könnte ein (isoliertes) schwarzes Loch zum Schrumpfen gebracht werden, was wiederum bedeuten würde, dass es früher oder später verschwinden würde, mitsamt allem, inklusive jeglicher Information, was es je verschluckt hat. Das wiederum widerspricht den Gesetzen der Quantentheorie, weshalb Hawkins forderte, diese entsprechend abzuändern (um solchen Informationsverlust zu erlauben).
Die Sache führt uns in tief in die Problemstruktur der heutigen theoretischen Physik. Tatsächlich kommen wir, um schwarze Löcher zu beschreiben, nicht darum herum, eine dritte wesentliche Theorie der heutigen Physik herbeizuziehen, die Thermodynamik. In ihr verfügt jedes physikalische System über ein so genannte „Entropie“, ein Mass für die darin enthalten Unordnung (oder äquivalent seine Information). Gemäss Hawkins sollte sich auch einem schwarzen Loch ein solches Mass zuordnen lassen (was die Relativitätstheorie aufgrund ihrer „Haarlosigkeit“ nicht zulässt). Lässt sich aber einem schwarzen Loch Entropie zuordnen, so müsst es dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gehorchen, nachdem in einem (geschlossenen) System die Entropie niemals sinken kann. Gemäss der klassischen Sicht wäre ein schwarzes Loch jedoch ein „Entropie-(oder analog „Informations-) Vernichter“. Das Dilemma, vor welchem die theoretischen Physiker stehen, lässt sich also wie folgt formulieren:: Entweder sie lassen den Verlust der Information (oder Entropie) zu und müssen die Quantentheorie (und die Thermodynamik) entsprechend modifizieren, oder sie lassen Information aus schwarzen Löchern entkommen, was einer Ergänzung der allgemeinen Relativitätstheorie bedarf.
Die Lösung liegt wahrscheinlich in einer Abpassung an beide Theorien. Und theoretische Physiker wären keine theoretischen Physiker, wenn sie sich auch hier nicht schon etwas einfallen hätten lassen. Die dafür notwendige Mathematik ist allerdings noch einmal um vieles abstrakter und komplizierter ist als es die mathematische Struktur der Relativitäts- und Quantentheorie ist (die es bekannterweise schon in sich hat). Mit Hilfe der so genannten ‚Stringtheorie‘, welche anstelle von Elementarteilchen, die keine räumliche Ausdehnung haben (also null-dimensional sind), sogenannte Strings (englisch für „Fäden“ oder „Saiten“) mit eindimensionaler räumlicher Ausdehnung als die fundamentalen Objekte in der Natur ansieht, gelang den Quantentheoretikern Donald Marolf und Juan Maldacena 2004 der Beweis, dass mit der Hawking-Strahlung schwarzen Löchern tatsächlich Information entzogen werden kann (woraufhin zuletzt auch Hawkins seine Meinung änderte und zugleich entsprechende Wettschulden einlöste). Dies kann aber nur geschehen, wenn die Kodierung der Information etwas mit einem weiteren bizarren Quantenphänomen zu tun hat, mit der so genannten „Verschränkung“ von Quantenteilchen. Mit diesem Effekt bleiben gemeinsam entstehende Teilchen, wie sie der Hawkins-Strahlung zugrunde liegen, selbst auf grosse Entfernungen hinweg miteinander verbunden („verschränkt“, wie es in der Fachsprache heisst).
Erst kürzlich konnte der theoretische Physiker Joseph Polchinski zeigen, dass die Hawking-Strahlung die Information nur dann aus dem Inneren nach aussen tragen kann, wenn die Verschränkung der Teilchenpaare zerstört wird. Dieser setzt allerdings eine grosse Menge an Energie frei, so dass der Eingangsbereich des Schwarzen Loches (auch „Ereignishorizont“ genannt) sich in eine Wand aus Feuer verwandelt. Dies wiederum widerspricht der allgeneinen Relativitätstheorie, gemäss welcher einfallende Teilchen den Ereignishorizont gar nicht bemerken sollten.
Die Debatte um Schwarze Löcher ist also keineswegs beendet. Man könnte sogar sagen, sie beginnt er jetzt so richtig. An ihrem Ende, d.h. mit einer vollständigen, physikalisch widerspruchsfreien Beschreibung Schwarzer Löcher, muss die von den Physiker so sehnsüchtig herbeigewünschte, Quantenfeldtheorie und Relativitätstheorie verbindende „endgültige Theorie“ stehen, eine letzte Grundtheorie der Natur, die so genannte „Theory of Everything“ (TOE).
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Die Lösung der Einsteingleichungen