Suche nach nicht-menschlicher Intelligenz – Von „SETI“ zur „Super-Intelligenz“
In den 80er Jahren faszinierte der Science-Fiction Roman „Contact“ ein Millionen-Lesepublikum, und der darauf basierende Film wurde im Jahr 1997 zu einem Kino-Hit. Das Thema von Carl Sagans fiktivem Werk ist der Menschheit Erstkontakt mit Außerirdischen: Nachdem den Menschen über elektromagnetische Signale von einer ausserirdischen Intelligenz zunächst eine Kontaktnachricht und dann die Anweisung für den Bau einer Maschine zum Zweck von Raum-Zeit-Reisen zugekommen war, erlebt die Protagonistin, was es bedeutet, dass wir Menschen nur eine unbedeutende und noch nicht einmal stark entwickelte Intelligenz sind in einem Kosmos, der voll von Intelligenz ist. Zuletzt findet sie in der Kreiszahl Pi eine verschlüsselte Botschaft, die auf eine höhere Macht hindeutet, also letztlich auf einen Gott. Mögen viele SETI („Search for extraterrestrial intelligence“: „Suche nach ausserirdischer Intelligenz“)-Anhänger vom etwas kritischen religiösen Finale der „Story“ enttäuscht gewesen sein, so illustriert Carl Sagan nichtsdestotrotz auf nahezu poetisch schöne Art und Weise , dass eine Kontaktaufnahme durch Ausserirdische wahrscheinlich das bedeutendste Ereignis in der menschlichen Geschichte darstellen würde. Ein echter „Game changer“, wie sich sagen liesse.
Bis heute haben Buch und Film nichts an ihrer Faszination eingebüsst. Schon immer war die Fantasie der Science-Fiction Autoren (Carl Sagen war zudem ein ernstzunehmender Astronom und Astrophysiker) ein Indiz, welche technologischen Möglichkeiten die Vorstellung der Menschen zu ihrer Zeit bewegt. Nimmt man die Romane und Filme der jüngeren Vergangenheit zum Massstab, so liesse sich darin ein mit SETI verwandtes Thema finden, welches unsere Gemüter bewegt: die Entwicklung einer höheren künstlichen Intelligenz („KI“).
Bereits in den 1950er-Jahren trieb die Computerpioniere und -forscher eine fast grenzenlose Erwartung in Bezug auf die Fähigkeiten von Computern und einer möglichen KI. Sie glaubten schon damals, dass innerhalb von zehn Jahren ein Computer Schachweltmeister schlagen und einen wichtigen mathematischen Satz beweisen würde (ersteres gelang erst 1997; letztere Erwartung dagegen erfüllte sich bereits 1976, als mit dem Vier-Farben-Satz das erste bedeutendere mathematische Theorem mit Hilfe eines Computers bewiesen werden konnte). Im Jahre 1993 veröffentlichte der Mathematiker und Informatiker Vernor Vinge die Prognose, dass wir „innerhalb von 30 Jahren über die technologischen Mittel verfügen werden, um übermenschliche Intelligenz zu schaffen. Wenig später ist die Ära der Menschen beendet.“ Uns bleiben also gemäss Vinge noch acht Jahre und vielleicht ein wenig mehr. Prognosen wie diese, ähnlich der von Ray Kurzweil von einer „technologischen Singularität“, erhalten schnell grössere öffentliche Aufmerksamkeit (und denen, die sie aufstellen, oft lukrative Stellen – Ray Kurzweil beispielsweise ist seit 2012 Leiter der technischen Entwicklung bei Google).
Eine derartig hohe, der menschlichen kognitiven Leistungsfähigkeit in nahezu allen Belangen (und nicht nur beim Schachspielen) hochgradig überlegene künstliche Intelligenz bezeichnet man als eine „Superintelligenz“. Aufgrund ihrer Fähigkeiten könnte eine solche Intelligenz wiederum Wissenschaft und Technologie noch schneller vorantreiben, den technischen Fortschritt noch massiver beschleunigen und ihrerseits weitere künstliche Systeme schaffen, die dann noch intelligenter sind. Es käme zu einer Rückkopplung und einem derart rasanten (exponentiellen) technischen Fortschritt, dass die Menschen mit ihren limitierten kognitiven Fähigkeiten höchstwahrscheinlich nicht mehr mithalten könnten.
Die Logik, welche der These einer technologischen Singularität zugrunde liegt, erscheint einfach: Gemäss dem „Moore’schen Gesetz“ verdoppelt sich alle 18 Monate die Rechenleistung von Computern. Es ist somit nur eine Frage der Zeit, bis ihre Rechenleistung die des menschlichen Gehirns überflügelt, welche auf bis zu 20 Petaflops geschätzt wird (1 Petaflop entspricht 1015 – das ist eine 1 mit 15 Nullen – Operationen pro Sekunde). Im Mai 2008 durchbrach die Firma IBM mit dem Computer „Roadrunner“ als erstes die Petaflop-Schranke. Seit Juni 2013 hält der chinesische Computer „Tianhe-2“ mit 33,9 Petaflops den Rekord als schnellste Maschine der Welt. Das Ziel der an diesem technologischen Wettrüsten beteiligten Firmen ist es, bis zum Ende des Jahrzehntes einen Exaflop-Computer (1018 Operationen pro Sekunde) zu bauen. Dieser wäre rund 50- bis 100-mal so schnell wie unser Gehirn.
Doch reicht für echte Superintelligenz Hardware allein nicht aus. Jeder Computer benötigt eine Software. Für eine technologische Singularität in Form von Superintelligenz müsste eine KI geschaffen werden, welche kreativ über Probleme nachdenken und diese gegebenenfalls autonom lösen kann. Möglicherweise benötigen wir dafür eine ganz neue Computer Technologie, eventuell eine, die in ihrer Funktionalität näher an unserem Gehirn liegt (massive Parallelverarbeitung von Information) anstatt gemäss der klassischen “von-Neumann”-Computer-Architektur (sequentielle Informationsverarbeitung „single instruction, single data“) aufgebaut zu sein. Bereits in der 1960er Jahren beschrieb der amerikanische Informatik-Pionier Joseph Licklider die Vision einer massiven Vernetzung von menschlichem Gehirn und Computer, sowie die eines globalen Computer-Netzwerke (welches dem heutigen Internet überraschend nahe kommt). Unter dem Begriff „cognitive computing“ (zu Deutsch „kognitives Rechnen“) wird heute eine mögliche zukünftige Generation von Computern beschrieben, die über menschliche Fähigkeiten wie adaptives Lernen auf der Basis von Feedback-Schlaufen, flexible Reaktionen auf äussere sensorische Inputs, sowie soziale Interaktion mit anderen Systemen verfügen, allesamt Dinge, die heutigen Computern noch sehr schwer fallen. Computeringenieure sehen hier die nächste grosse technologische Evolutionsstufe. Ihre Anwendungsfelder wären vielfältig. So verlangt der Umgang mit unübersichtlich vielen und komplex miteinander in Beziehung stehenden Daten, sei dies in der Medizin bei der Wechselwirkung von Medikamenten mit unserem Stoffwechsel, bei der Analyse der Riesenmenge an Daten am LHC am CERN, für die Verkehrs- oder Städteplanung oder für das Verständnis der Dynamik globaler Kapitalmärkte, immer mächtigere Rechenkünste, womit die gängige Computertechnologie ständig an ihre Grenzen stösst.
Wir kennen den Weg zukünftiger Technologien natürlich nicht. Neben „echter KI“ lassen sich verschiedene andere Wege zu einer Superintelligenz aufzeichnen, wie genetische Manipulation der für unsere Intelligenz verantwortlichen Erbanlagen, leistungsstarke Schnittstellen zwischen Gehirn und Computern oder gar eine komplette Integration der neuronalen Architektur unseres Gehirns mit Computern, bis hin zu einer kollektive Netzwerkintelligenz (Stichwort „intelligentes Internet“). Die ersten technologischen Ansätze zu solchen Entwicklungen liegen heute bereits vor. So ist es basierend auf den gegenwärtigen Möglichkeiten der Computer- Bio und Neurotechnologien und ihrer Entwicklungsdynamik keineswegs absurd anzunehmen, dass die Schaffung einer Superintelligenz in diesem Jahrhundert Wirklichkeit wird. Es ist eher davon auszugehen. Eine solche wäre möglicherweise unvorstellbar mächtig und würde uns Menschen vor enorme Kontroll- und Steuerungsprobleme stellen, gegen die unsere gegenwärtigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme geradezu vernachlässigbar wären.
Reflektieren wir über eine solche Entwicklung, so treffen wir schnell auf Fragen, die wir heute noch gar nicht beantworten können. Wäre eine Superintelligenz mit einem Bewusstsein seiner selbst ausgestattet (womit wir interessante Anknüpfungspunkte zu einem alten philosophischen Rätsel fänden)? Wäre sie leidensfähig? Würde sie über einen ethischen und moralischen Rahmen verfügen? Die Antworten auf diese und viele andere Fragen aber wären entscheidend, um die Wirkungsmacht einer Superintelligenz auf die menschliche Zivilisation zu beurteilen. Aber auch ohne solche Antworten können wir ohne weiteres behaupten, dass die Erschaffung einer Superintelligenz für die Menschheit ein mindestens ebenso bedeutender (und bedrohlicher), vielleicht gar wirkungsmächtigerer (und unheimlicherer) „game changer“ wäre wie der Erstkontakt mit einer ausserirdischen Intelligenz. Anders als ein solcher können wir unterdessen einen sehr realistischen Weg zu einer Superintelligenz aufzeichnen. Wir wären gut beraten, uns damit frühzeitig auseinanderzusetzen und vielleicht ein Programm ähnlich dem der verschiedenen SETI-Projekte zu starten, um den Keim einer solchen Superintelligenz früh genug aufzuspüren. Denn ist sie einmal da, kann ihre Entwicklungsdynamik atemberaubend schnell verlaufen.