Re-Design des Menschen – Was sind wir: Molekular-genetische Maschinen oder autonome Individuen?

In Anbetracht der bahnbrechenden Entwicklungen in der Gentechnologie der letzten Jahre ist es nur allzu verwunderlich, dass die Möglichkeiten, die sich den Bio-Ingenieuren unterdessen auftun, nicht eine viel breitere öffentliche Diskussion hervorrufen. Konkret stehen wir als Menschheit vor dem wohl wichtigsten Scheidepunkt der letzten 2‘000 Jahre: Zur Vereinnahmung der Natur durch den Menschen, welche seit Jahrtausenden unsere Kultur- und Technikgeschichte ausgezeichnet hat und die sich seit 300 Jahre durch die Wissenschaft und den aus ihr entstandenen Technologien noch dramatisch beschleunigt und erweitert hat, gesellt sich nun ein zweites grandioses Projekt: die genetische, biologische, medizinische, neurologische und bewusstseinstechnologische Um- und Neugestaltung des Menschen selbst mitsamt seiner körperlichen und geistigen Anlagen und Fähigkeiten.

Nirgendwo wird dies so deutlich wie auf dem Gebiet der Gentechnologie. Obwohl die Biologen bereits seit den 1970er Jahren Manipulationen an der DNA diverser Organismen vornehmen, glich ihr Vorgehen bisher eher dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip als der zielgenauen Veränderung einzelner Gene oder Genabschnitte. Im Jahr 2012 fanden Genforscher dann aber eine ganz neue mächtige Technik, die es ihnen erlaubt, genau dies zu tun: auf einzelne Gene zuzugreifen und diese zu verändern. Ihr Name ist unterdessen in aller Munde: CRISPR (genauer: „CRISPR/Cas9“, das steht für „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“ und beschreibt zunächst nur Abschnitte sich wiederholender DNA im Erbgut von Bakterien). CRISPR ermöglicht einen ausserordentlich präzisen, schnellen und kostengünstigen Eingriff in das Erbgut von Lebewesen. Zwecks Veränderung des Erbgutes von Pflanzen wird diese Technologie bereits angewendet, während die Gentechnologen bei Tieren und Menschen noch am Anfang stehen. Doch sie arbeiten bereits mit Hochdruck an radikal neuen Anwendungen. Denn das Potential von CRISPR ist immens. Und darunter befindet sich auch sehr Bedrohliches: Wird die Technologie auf menschliche embryonale Zellen, Ei- oder Spermazellen angewendet, dann wird nicht nur der jeweilige einzelne Mensch manipuliert, sondern auch alle seine Nachkommen. So sorgt CRISPR einerseits für gewaltige Opportunitäten in der Behandlung und Prävention von erblich bedingten Krankheiten, gibt andererseits aber Gentechnologen die Möglichkeit an die Hand, spezifische menschliche Eigenschaften zu verändern, nicht zuletzt vielleicht sogar Intelligenz oder äusserliche Attraktivität. Mit einem Satz: CRISP ermöglicht Menschenzüchtung! Könnten schon bald gentechnisch optimierte Menschen „normalen Menschen“ kognitiv und körperlich überlegen sein?

Es ist daher kein Wunder, dass Philosophen, Theologen und Ethiker in diversen Zusammensetzungen bereits heftig über die Macht der neuen Methode diskutieren. Die einflussreichste Gruppierung dieser Art in Deutschland ist der Deutsche Ethikrat. Und dieser hat unter dem Titel „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“ nun eine umfangreiche Stellungnahme zu den neuen gentechnologischen Möglichkeiten publiziert. Ihr Ziel ist es insbesondere, zu einer breiteren öffentlichen Diskussion beizutragen. Nur drei Wochen darauf hat auch der Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft ein eigenes Diskussionspapier zum Genediting veröffentlicht. Die Wissenschaftler formulierten darin das gleiche Ziel wie ihre Philosophen-, Theologen- und Ethiker-Kollegen. Dabei gehen sie über die Frage nach der Rechtmässigkeit des Editierens des menschlichen Genoms hinaus und diskutieren auch Fragen wie den Nutzen und die Risiken von Genom‐editierten pflanzlichen und tierischen Organismen und der neuen Methode des Gene Drives, in dem es um die effiziente Verbreitung geneditierter Varianten in ganzen Populationen einer Art geht. „Die Stellungnahme soll die Diskussion über eine Reihe forschungsrelevanter Themen anregen. Die Max-Planck-Gesellschaft möchte ihre Expertise in den öffentlichen Diskurs einbringen, damit die Politik informierte Entscheidungen in einem gesellschaftlich wichtigen, aber auch sehr komplexen Themengebiet treffen kann“, so Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.

Dass beide dies bisher noch kaum erreicht haben, ist bedauerlich. Denn tatsächlich bieten diese Stellungnahmen reichlich Stoff und Anregungen zum Nachdenken und Diskutieren. Doch schon die Bundespressekonferenz zum Anlass der Stellungnahme des Deutschen Ethikrats war schlecht besucht. Entsprechend spärlich fielen die nachfolgenden Berichte in den Nachrichtenorganen aus. Dabei hat es der Bericht des Ethikrates durchaus in sich: Noch seien Keimbahneingriffe unverantwortlich, so heisst es dort, doch ist es absehbar, dass sich die Techniken weiterentwickeln. Und dann, so die Stellungnahme, könnte ein Eingriff in die menschliche Keimbahn z.B. zur Vermeidung schwerer Krankheiten möglicherweise nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten sein.

In einer sehr ausführlichen Beschreibung fasst der Bericht auch für Laien verständlich zunächst den Stand der Forschung zusammen. Dabei wird klar: Vor allem das Zusammenfügen der veränderten Erbgutstränge ist noch immer sehr fehleranfällig. So können DNA-Abschnitte verloren gehen oder falsch verknüpft werden. Die klinischen Konsequenzen solcher unbeabsichtigter Veränderungen sind gerade beim Genome-Editing von Keimbahnzellen schwer vorherzusagen (so wird unterdessen auch vermutet dass die chinesischen, durch CRISPR immun gegen AIDS gemachten Babys weitaus grössere Anfälligkeiten gegen andere Krankheiten haben). Daher müssen unerwünschte Nebenwirkungen weitgehend ausgeschlossen werden und gleichzeitig die gewünschten Genveränderungen gleichwohl präzise erreicht werden, bevor mit Hilfe einer solchen Technologie Keimbahneingriffe beim Menschen auch nur erwogen werden können. So fordert der Deutsche Ethikrat auch konkret ein internationales Moratorium für die klinische Anwendung von Keimbahneingriffen beim Menschen. Sind diese Probleme aber einmal gelöst und die Technik des Gen-Editing beim Menschen ausgereift, so sind gemäss den Ethikern drei verschiedene Ziele einer Keimbahn-Intervention zu unterscheiden: Vermeidung genetisch bedingter Erkrankungen, die Reduzierung von Krankheitsrisiken sowie zuletzt die Optimierung bestimmter Eigenschaften oder Fähigkeiten, wie beispielsweise sportliche Leistungsfähigkeit oder Intelligenz.

Die Stellungnahme des Ethikrates gibt einen detaillierten Überblick über die internationale Rechtslage, „von einem ausdrücklichen Verbot von Eingriffen in das Erbgut menschlicher Keimzellen und Embryonen in der Schweizer Bundesverfassung, über die Regelung der Zulässigkeit bestimmter Forschungsvorhaben an embryonalen Stammzellen in Israel, ein strenges Lizenzierungsverfahren für Forschung an menschlichen Embryonen in Grossbritannien bis zu den Versuchen in den USA, die Forschung über die Vergabe von Forschungsmitteln zu regulieren, und zur punktuellen staatlichen Steuerung in China“. In Deutschland stammt das dafür zuständige Embryonenschutzgesetz aus dem Jahre 1990. Es verbietet Keimbahnveränderungen mit dem Ziel der Fortpflanzung, macht darüber hinaus aber keine expliziten Vorgaben zur Keimbahnintervention.

Der lesenswerteste (und bei weitem längste) Teil der Stellungnahme aber ist der vierte Abschnitt „Skizze und Anwendung ethischer Orientierungsmassstäbe“. In ethisch-philosophischer Hinsicht werden darin mit einer erfrischenden Differenzierung und anhand einiger guter Beispiele acht relevante Kriterien differenziert: Menschenwürde, Lebens- und Integritätsschutz, Freiheit, Natürlichkeit, Schädigungsvermeidung und Wohltätigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung. Nach der Feststellung, dass eine rein numerische Chancen-Risiken-Abwägungen schnell an ihre ethischen Grenzen stösst, steigt der Bericht gleich mit der wohl am heftigsten diskutierten Frage ein: die „Bestimmung derjenigen Entitäten, denen Menschenwürde zukommen könnte“. Als Kandidaten werden genannt: imprägnierte Eizellen, Embryonen und geborene Menschen. Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, kommt man zu sehr verschiedenen Schlüssen. Der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl sagte unlängst, „die menschliche Keimbahn sei nicht sakrosankt, also im Unterschied etwa zum Embryo nicht Würde-Träger.“ Das sah wohl auch die überwiegende Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen im Rat so. Demnach ergeben sich bzgl. des Kriteriums der Menschenwürde keine prinzipiellen Hinderungsgründe, in die Keimbahn einzugreifen. Für die anderen genannten Dimensionen lassen sich sowohl befürwortende wie ablehnende Haltungen zur Keimbahnintervention ableiten, aber unter Voraussetzungen (der erwähnten methodologischen Sicherheit) auch kein grundlegendes Verbot einer solchen. Nichtsdestotrotz sind sie allesamt in einer zukünftigen gesetzlichen Gestaltung der Keimbahnintervention massgeblich zu berücksichtigen. Zum Beispiel müssen alle Menschen die Chance haben, von der Forschung und den Technologien mittel- oder langfristig gleichermassen zu profitieren. Mit dieser Haltung, Keimbahninterventionen unter bestimmten Bedingungen und bei ausreichender technologischer Reife in Erwägung zu ziehen und ethisch zu rechtfertigen, entfernt sich der Deutsche Ethikrat von der lange gehegten und gepflegten Position, Eingriffe in die Keimbahn kategorisch abzulehnen. Gemäss der Ethiker zeigt „die ethische Beurteilung von Keimbahninterventionen bei monogen vererbbaren Erkrankungen (die hinreichende Sicherheit und Wirksamkeit der Technik vorausgesetzt), dass sich aus der Anwendung der ethischen Orientierungsmassstäbe keine Gründe für ein kategorisches Verbot solcher Eingriffe ableiten lassen“. Vielmehr können der Lebens- und der Integritätsschutz gegebenenfalls sogar entsprechende Handlungen einfordern – etwa zur Abwehr von Krankheiten beziehungsweise Krankheitsrisiken sowie zur Förderung von Gesundheit. Die Vorenthaltung eines möglichen Keimbahneingriffs könne „als eine Verletzung des Würdestatus des zukünftigen Kindes gewertet werden, da es von einer wichtigen therapeutischen Möglichkeit ausgeschlossen wurde“. Und wenn sie schon einmal dabei sind, heilige Kühe zu schlachten, dann ist so gut nichts mehr sicher. So ist nach dem Ethikrat „die Weiterentwicklung der Technik durch Grundlagenforschung ohne Rückgriff auf menschliche Embryonen in vitro zu fördern“.

Und die Ethiker gehen sogar noch weiter beim Abräumen heiliger Kühe der deutschen Biopolitik: Selbst für Keimbahneingriffe zwecks Verbesserung des Menschen sehen manche irgendwann einmal die Zeit gekommen. Allerding fällt die Bewertung hier weniger eindeutig aus. Die Sorge vor negativen gesellschaftlichen Effekten von genetischen Enhancements wie eine mögliche Verschärfung von Gerechtigkeitsproblemen oder der Entstehung antisolidarischer gesellschaftlicher Haltungen gegenüber anderen Menschen halten zwar die meisten Mitglieder für wichtig. Manche sehen in ihr aber „keinen hinreichenden Grund für Verbote, sondern lediglich für eine Verpflichtung des Staates, solche Entwicklungen zu beobachten“. Die Deutsche Bischofskonferenz, bisher mächtiger Garant der biopolitischen Schublade, in der alles verschwand, was auch nur entfernt das deutsche Forschungsverbot im Embryonenschutzgesetz antasten wollte, wird sich bei solchen Sätzen die Augen reiben. Wird der Mensch nun selbst Gegenstand von Züchtungsphantasien, in dem unsere Nachkommen nur noch als zu optimierendes Produkt gesehen werden? Nein, natürlich nicht. Tatsächlich bietet der Bericht auch klare Grenzen: So dürfen Menschen beispielsweise nicht nach Vorstellungen anderer Menschen geschaffen werden. Der Begriff der Menschenwürde und die Freiheit und Autonome eines jeden einzelnen setzen hier eben doch klare Grenzen, wie die Ethiker nicht müde werden zu betonen. Konkret bietet der Bericht sogar ein ethisches Flussdiagramm, eine Art „Entscheidungsbaum“, mit dem sich abklären lässt, wann ein Keimbahneingriff im Einzelfall möglich sein könnte und wann nicht.

Dreierlei zeigt dieser Bericht nur allzu deutlich auf: 1. Die Erkenntnissprünge der biomedizinischen Wissenschaften dürfen nicht weiter von politischen Entscheidungsträgern ignoriert werden, die sich immer noch so gerne hinter den Fassaden der Biopolitik der 80er Jahre verstecken. 2. Spätestens mit dem ersten CRISPR-Baby im Herbst 2018 ist klar geworden: Eine kategorische Unantastbarkeit der menschlichen Keimbahn gibt es nicht mehr. 3. Die Frage nach der Berechtigung von Interventionen in die menschliche Keimbahn bedarf einer tiefen und vor allem unvoreingenommenen philosophischen und ethischen Diskussion. Auch wenn man sich an manchen seiner Positionen reiben mag, so trägt der Bericht des Deutschen Ethikrats zu einer solchen Diskussion auf erfreulich stimulierende wie umfassenden Art und Weise bei. Es lohnt sich nicht nur für Politiker, seine mehr als 200 Seiten zu lesen.

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