„Quantenwirtschaft“ – Ein Kommentar zu Anders Indsets neuem Buch “Quantum Economics”

„Quantenheilung“, „Quantenresonanz“, „Quantenbewusstsein“ – die Liste der Beteuerungen und Versprechungen, die mit dem Präfix „Quanten-“ daherkommen, ist lang. Die Beschäftigung mit Quanten hat sich in den letzten Jahren zu einem florierenden Geschäftszweig entwickelt. Hier werden große Versprechen abgegeben, von Wunderheilungen, der perfekten Liebesbeziehung, bis hin zur Erfassung der letzten Geheimnisse durch die Verbindung und Quantenphysik und Spiritualität. „Quanten“ ist unterdessen die perfekte Bezeichnung für so ziemlich alles ist, was sich eigentlich nicht bezeichnen lässt. Da sich die Protagonisten dieser Begriffe zumeist kaum mit der echten Quantenphysik auskennen, müssen sie sich selten für ihr Unwissen rechtfertigen. Das macht den „Eso-Mix für Denkfaule“ perfekt. Als intellektueller Pate der Quantenmystik dient dabei das Phänomen der Verschränkung: „Weit voneinander entfernte Quantenteilchen können physikalisch miteinander verbunden (verschränkt) sein.“ Daraus wird dann: „Alles hängt mit allem zusammen“. Es sind solche Sätze, die die nach Mystik lechzenden Herzen der Esoteriker höherschlagen lassen.

Um es deutlich zu sagen: Das ist irrsinniger Blödsinn und ein Paradebeispiel für einen Sprung von der Klarheit einer kohärenten und empirisch validierten Physik direkt ins Mystische, ganz ohne argumentative oder diskursive Verbindung. Hiess es früher, wenn man nicht mehr weiter wusste, „Die Wege des Herrn sind unergründlich“, so sagen die Quantenesoteriker heute: „Die Quantentheorie zeigt, dass …“. Dabei blickt die postphysikalische Quantenbewegung auf eine jahrzehntelange Tradition zurück. In den 1970er-Jahren verfasste der Physiker Fritjof Capra das Buch Das Tao der Physik, in dem er behauptete, dass der Mystik der alten Inder nichts Geringeres als die Erkenntnisse der modernen Quantentheorie zugrunde liegen – wenn auch verpackt in poetisch-metaphysischer Form. Die von Capra dargelegten Gedanken fielen auf fruchtbaren Boden, sein Buch wurde zu einer neuen Bibel all jener, die nichts sehnlicher wünschten, als die „durch wissenschaftliche Rationalität entzauberte Weltsicht“ (Max Weber) wieder spirituell aufzufüllen. Mithilfe von „Quanten“ wird die Sehnsucht vieler Menschen nach einem möglichst einfachen, fundamentalen, universalen und verbindlichen Weltbild gestillt, auf das man sich immer wieder berufen kann, ohne sich die Mühe geben zu müssen, die Zusammenhänge ganz genau zu untersuchen. Wohlwissend, dass die Quantenphysik bizarr klingende Aussagen macht, folgern die Quantenesoteriker munter, dass alles bizarr Klingende auch zwingend Quantenphysik sein muss. Dass die allermeisten Quanteneffekte fernab von unserem Alltagsleben stattfinden, auf winzig kleinen Distanzen und unvorstellbar kurzen Zeitskalen, und damit sicher nicht im Bereich erfahrbarer menschlicher Spiritualität und unserer alltäglichen Lebenserfahrung, stört die wenigsten von ihnen.

Dies stört auch nicht den selbsterklärten „weltweit führenden Wirtschaftsphilosophen“ und von den Medien auch als „Rock-n-Roll Plato“ bezeichneten Anders Indset. Ungeniert erweitert dieser die Quantenszene um eine neue Dimension: „Quantenwirtschaft“ heisst sein neues Buch, das sich unterdessen auf die Bestsellerlisten gearbeitet hat. „Was kommt nach der Digitalisierung?“ wird im Untertitel gefragt. Das macht neugierig. Erfährt der Leser oder die Leserin vielleicht, wie die zweite Quantenrevolution mit Nanotechnologien und Quantencomputern konkret eine neue industrielle Revolution auslöst, die der vierten, der digitalen folgt? Mitnichten. Quantencomputer und Nanotechnologien finden bei Indset zwar Erwähnung, aber wie sie funktionieren und wirken, darüber lässt uns der Autor im Dunklen. Stattdessen fordert er uns programmatisch auf, die „Quantenbrille“ aufzusetzen und damit zu erkennen, dass die Quantenwirtschaft, die uns bevorsteht „auf der Erkenntnis beruht, dass alles mit allem zusammenhängt und sich gegenseitig beeinflusst“. Wir sollten die Dinge doch endlich „ganzheitlich betrachten“. So wird bereits in der Einleitung klar, wo der Hase bzw. das Buch langläuft. Seine Grundthese lautet, wie im ersten Kapitel bereits formuliert, dass „unser Bewusstsein und unsere sozialen Prozesse durch quantenphysikalische Prinzipien wie Nichtlokalität und Verschränkung geprägt sind“. Bei solchen Sätzen könnte bei so manchem Leser oder so mancher Leserin, die sich tatsächlich mit Quantenphysik und/oder Wirtschaft auskennt, der Eindruck entstehen, das Buch mache sich zum Ziel, die quantenesoterischen Bewegung zu parodieren, und er oder sie freut sich auf weitere fast dreihundert unterhaltsame Seiten.

Doch die Ernüchterung folgt schon bald: Der Autor meint es tatsächlich ernst! Und es wird noch schlimmer: Was folgt sind mehr als 300 Seiten Geschwafel ohne jegliche sachliche Argumentation und logisches Schliessen. Die Begründungen, die Indset liefert, sind fast immer fehlerhaft, es werden Zusammenhänge suggeriert, die keine sind, Vermutungen und Meinungen werden als Tatsachen verkauft und durch das Verweisen auf irgendwelche dubiosen Experten gestützt (wie beispielsweise auf den „Schweizer Selfmade-Physikers“ Nassim Haramein). Dass der Autor dabei in teils abenteuerlicher Kürze argumentiert (Beispiel: „In der Quantenwirtschaft haben wir keine Energieprobleme mehr“, S. 246) macht es selbstredend nicht besser. Es fehlt auch nicht an ärgerlichen faktischen Falschaussagen. So hat der Ökonom Thomas Piketty nie einen Nobelpreis erhalten (S. 79); jemand der eine Million Bitcoins besitzt ist auch bei einem Kurs von 100’000 Euro pro Bitcoin kein Trilliardär und damit auch kein „Herrscher der Welt“, sondern mit 100 Milliarden „nur“ so reich wie der reichste Mann der Erde heute, S. 137; René Descartes war historisch gesehen kein „Aufklärer“ sondern starb bereits 1650, also vor dem Zeitalter der Aufklärung (S. 209); der Titel von Newtons Hauptwerk ist nicht korrekt zitiert, S. 210; und das lateinische Wort „obsoletus“ – mit „Homo obsoletus“ soll der durch künstliche Intelligenz „überflüssige Mensch“ beschrieben werden (S. 227) – übersetzt sich nicht mit „überflüssig“, sondern mit „abgenutzt“ (Indset sollte in diesem Zusammenhang von „Homo abundans“ sprechen). Die Liste liesse sich fortsetzen. Dazu kommen falsche Zitate (Beispiel: Weder Einstein noch Sokrates sagten je „Ich weiss, dass ich nichts weiss“, S. 169). All dies verstärkt den Eindruck fehlender Seriosität. Dem unbedarften Leser werden umfassend falsches Wissen vermittelt, Zusammenhänge suggeriert, die nicht existieren, und Fakten verkauft, die keine sind.

Dem Autor fehlt offensichtlich jegliche Sachkenntnis zur Quantenphysik und zu wirtschaftlichen Zusammenhängen, was er mit teils haarsträubenden Ausführungen zu beiden Themen immer wieder unter Beweis stellt. Beispiele: Die Gesetze der Quantenphysik und ihre Prinzipien seien „nicht rational“ und ähneln einer „Lotterie“, behauptet er auf S. 171/172; auf S. 174 findet sich gar die Aussage „das Fundament der Quantenmechanik ist die Unvorhersagbarkeit“ (tatsächlich verhalten sich die Zustände der Quantenwelt, die Wellenfunktionen, nach vollkommen deterministischen Gesetzen); auf S. 180 lässt er sich darüber aus, dass Quantenbits „doppelt so viele Informationen pro Zeiteinheit verarbeiten können wie klassische Bits“ (es ist völlig unklar, woher der Faktor zwei kommt). So ist es dann auch kaum überraschend, dass es bei Indset auch gleich von der Quantentheorie zu „kosmischen Energiefeldern“, einem „kollektivem Bewusstsein“ und anderen spirituellen Konzepten geht (S. 179). Zu Fragen der Wirtschaft ist es nicht viel besser: Bei ihm schaffen nicht die Zentralbanken das Geld, sondern die Geschäftsbanken (S. 282), und Cash und Geld sind das gleiche (S. 283).

Auch auf dem von ihm als so gefährlich dargestellten Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) fehlt es ihm offenbar an elementarem Grundlagenwissen. Nur so kann er die Google-Computer des Jahres 2030 Intelligenzquotienten von 3’200 haben lassen. Auch verwechselt er „starke KI“ mit „schwacher KI“ und bezeichnet Googles AlphaGo als letztere (S. 124), obwohl er später für die starke KI eine weitestgehend korrekte Definition bietet, die wohl direkt von Wikipedia übernommen wurde (S. 188).

Der leichtfertige Umgang mit Fakten, das fehlende Fachwissen, die vielen kaum abgesicherten Suggestionen – all dies wiegt umso schwerer, da einige der Schlussfolgerungen, zu denen Indset im Verlauf seiner wilden argumentativen Reise kommt, durchaus vernünftig (und sympathisch) sind: 1. Wir müssen die Entwicklung der KI genau und kritisch verfolgen; 2. Die kapitalistische Verwertungslogik wird uns bei der Bewältigung der Auswirkungen zukünftiger technologischer Entwicklung nicht weiterhelfen; 3. Wir werden über Dinge wie bedingungsloses Grundeinkommen und eine Maschinenbesteuerung nachdenken müssen; 4. Die „Share-Economy“ ist ein interessantes Paradigma für eine zukünftige Wirtschaft; 5. Kontemplative Achtsamkeitsmeditation hat beachtliches Potential zur Verbesserung unserer mentalen und körperlichen Gesundheit; 6. Wir brauchen nachhaltige Kreislaufwirtschaft anstatt Wegwerfkonsum. Leider werden aber gerade diese Schlussfolgerungen durch Indsets Buch angreifbar. Das ist der echte Schaden, für den der Autor persönlich verantwortlich gemacht werden muss.

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