Politik und Postfaktizität – Was Trump für die Wissenschaften bedeutet
Wer sich daran macht, Blogs wie diesen zu lesen und sich für den reichhaltigen und zuweilen auch freudvollen Diskurs der Wissenschaften interessiert, wird bei Bekanntwerden der Ergebnis der US-Wahlen in der letzten Woche mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ähnliche Mischung aus Schock, Angst, Trauer, Scham und Ekel empfunden haben wie der Autor dieser Zeilen (ggfs. in variationsreichen Gewichtungen davon). Dies betrifft wohl auch die allergrösste Mehrheit von Menschen, die sich ein Mindestmass an Ehrlichkeit und Reflexionsfähigkeit – oder um es mit einem wunderschönen, wenn auch etwas altmodischen Wort zu sagen: intellektuelle Redlichkeit – auf ihre eigenen Fahnen schreiben. So ist sich die Wissenschaft-Community in ihrer Gegnerschaft zum neuen Präsidenten denn auch unisono einig: Donald Trump steht in einem starken Gegensatz zu so ziemlich allem, was Wissenschaftler in ihrem Wertekanon und ihren Vorstellungen von Integrität vertreten.
Aus der Sicht der Wissenschaft ist dies in erster Hinsicht (im Idealfall) der kompromisslose Wille, Dinge und Zusammenhänge wirklich wissen zu wollen, kombiniert mit der unbedingten Aufrichtigkeit, dass wir vieles eben nicht wissen, bzw. mit dem Anerkennen der Möglichkeit, dass wir Dinge, die wir meinen zu wissen, vielleicht gar nicht richtig wissen. Wissenschaft enthält eine radikal-reflexive Einstellung zu dem, was sie denkt und glaubt, und schließlich ein vorbehaltslosen intellektuelles Erfassen der zu erwartenden Folgen eines bestimmten Glaubens. So beschrieb es auch Richard Feynman: „Religion ist eine Kultur des Glaubens, Wissenschaft ist eine Kultur des Zweifels“. Mit anderen Worten, (echte) Wissenschaftler treibt der ernsthafte und unkorrumpierte Wunsch nach Wahrheit im Wissen, dass sie diese kaum jemals endgültig erhalten werden (dies heisst natürlich nicht, dass sie dabei alleine ist; viele Geistestraditionen teilen diesen Motivationsrahmen).
Der Weg von intellektueller Unaufrichtigkeit, d.h. wider besseres Wissen zu denken (oder zu glauben), zu ethischer Korrumpierbarkeit, d.h. wider besseres Wissen zu handeln, ist selten weit. Denn Unkorrumpierbarkeit bedeutet nichts anderes als Aufrichtigkeit und Integrität, d.h. „in einem Ganzen“ zu sein, zu denken und zu handeln. Aber insbesondere besitzt diese Haltung auch eine bedeutende politische und gesellschaftlichen Dimension: das Bekenntnis zu maximaler Transparenz und unbedingter Offenheit.
Auf diese Haltung trifft nun ein US-Präsident, der sich um die Wahrheit, gelinde gesagt, einen feuchten Dreck schert. Dass Berufspolitiker im Allgemeinen ein höchst-opportunistisches Wahrheitsverständnis haben, war den meisten Beobachtern politischer Auseinandersetzungen sicher auch zuvor schon bekannt. Doch hier erleben wir noch einmal ganz neue Maßstäbe der systematischen Fehlinformation, skrupellosen Propaganda und der offenen, schamlosen Lüge. Wir müssten Innerhalb der Geschichte der westlichen Zivilgesellschaft mindestens 85 Jahre in die Vergangenheit gehen, um Vergleichbares zu erkennen. Dass sich hier gerade Wissenschaftler die Haare raufen, muss geradezu als selbstverständlich gelten.
So war Trumps Polemik gegen das “Establishment” und die “Eliten” auch kein Hetzen gegen Reichtum, erfolgreiche Geschäftsleute, oder sogar Politikerfahrene. Seine Propaganda richtete sich vielmehr gegen die amerikanische „Intelligenzija“, die in ihrem Wesen offen, reflektiert und liberal ist: die linksliberalen Professoren, Klimaforscher, Lehrer, Schriftsteller, Künstler, usw. mitsamt ihrer „politische Korrektheit“ und ihren „falschen Rezepten“ für die Gestaltung gesellschaftlichen Zusammenhalts in Zeichen stürmischer Globalisierung (und dass Trump dabei eine tiefe Unzufriedenheit gerade in traditionellem „linkem“ Arbeitermilieu gefunden hat, die seine politischen Gegner nicht sahen, muss man ihm sogar zugutehalten; hier lebte die Intelligenzija auf ihrer eigenen Informationsinsel). Stattdessen flösst Trump seinen Anhängern Bewunderung für den raubeinigen, aber schaffenskräftigen „Macher“ ein, für den Geschäftsmann, der die Dinge schon irgendwie hinbiegt. Besonders unheimlich ist, dass die Trump’sche Bewegung dabei genau dem Verständnis von „Elite“ und „Establishment“ der rechtspopulistischen Ikone Ayn Rand folgt.
Wissenschaftler sind per se Experte in bestimmten (wenn auch zumeist sehr beschränkten) Fachgebieten. Und genau diesen Experten soll man nun nicht mehr trauen, so die Stimmen der Populisten. Entsprechende Rhetorik trieb schon Abstimmungskampf im dem britischen Verbleiben in der EU im Sommer: Experten sind arrogante Besserwisser, die keine Ahnung vom „wahren Willen“ des Volkes haben. Solche Rhetorik sprechen Bände für die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft, wie sie sich die Populisten vorstellen. Sie streuen das Gift des Misstrauens. Und damit steuern wir in das, was das politische Feuilleton die „postfaktische Gesellschaft“ nennt (Oxford Dictionaries hat das Wort „post-truth“ gerade zum internationalen Wort des Jahres gewählt). Das betrifft nichts direkter als die Wissenschaft und ihre Methoden.
Dass dem Wort „postfaktisch“ dabei ein grobes semantisches Missverständnis zugrunde liegt, nämlich, dass sich „faktisch“ auf zweifelsfrei und objektiv Feststellbares, eben „Tatsachen“, beziehen soll, ändert nicht viel an der Dissonanz zwischen Trump und der Wissenschaft. Tatsächlich entstammt das Wort „factum“ dem lateinischen „facere“, was so viel heisst wie „machen“ oder „tun“. Fakten sind also wie die „Tatsachen“ etwas, was getan, oder noch besser geschaffen wird. In diesem Sinne sind politische Lügen eben auch „Fakten“, nämlich etwas (von Menschen) Geschaffenes. Nur sollte uns diese hermeneutische Feinadjustierung nicht weiter ablenken.
Es fällt nicht leicht, nachdem sich gefühlt so ziemlich jeder Intellektuelle, Politiker und Prominent zur Wahl des neuen US-Präsidenten geäussert hat, dem Kanon der Aussagen noch irgendetwas wirklich Neues hinzuzufügen. Aussenpolitik, Wirtschaft, Haushalt und Steuern, Handelspolitik, Immigration, Justizwesen, Gesundheit, Waffenrecht, Verteidigung, Klimaschutz, Sozialpolitik, innere Sicherheit – auf all diesen Themen bezogen sich in den letzten Tagen Hunderte und Tausende von Artikeln, Interviews und Talkshows. Doch was bedeutet Trump eigentlich für die Wissenschaft, die sich in intellektueller Hinsicht wohl in stärkster Gegnerschaft zu ihm wähnen muss?
Über seine konkrete Wissenschafts-Agenda ist (wie wohl zu ziemlich jedem politischen Feld) noch nicht viel bekannt. Aber Wissenschaftler machen sich bereits Sorgen. Die Ankündigung massiver fiskalische Expansion und Investition wird wohl in guter Tradition republikanischer Haushaltspolitik seit Ronald Reagan in erster Hinsicht der öffentlichen Infrastruktur und dem Militär zugutekommen. Gut möglich, dass dafür bei der Wissenschaft gekürzt wird. Konsistent mit Trumps Ablehnung faktischer und wissensbasierter Argumentation und Rhetorik wäre es durchaus (bei Reagan war dies allerdings nicht der Fall, denn Wissenschaft ist auch von grosser militärischer Bedeutung, wie er erkannt hatte). Dazu kommt eine möglicherweise striktere Einwanderungspolitik. Welche andere gesellschaftliche Kraft lebt so stark von der Offenheit im Austausch von Ideen und Theorien wie die Wissenschaft? Der chinesisch-stämmige Professor am MIT hängt davon ab, sich mit seinem indischen Kollegen in Delhi oder einer Expertin aus Brasilien austauschen zu können. Nicht zuletzt aufgrund ihrer offenen und liberalen Einwanderungspolitik sind die USA über die Jahrzehnte zur bedeutendsten Wissenschaftsmacht der Welt aufgestiegen.
Am deutlichsten wird die Haltung des neuen US-Präsidenten zur Wissenschaft allerdings in dessen sich anbahnender „Klimapolitik“. Auf der Grundlage empirischer „Fakten“ und modelltheoretische Kohärenz bekennen sich die Wissenschaftler unterdessen nahezu einstimmig zu einem klaren Bild. Die wissenschaftliche Faktenlage liegt längst jenseits aller vernunftbasierten Bezweifelbarkeit. Auch wenn die Komplexität der zugrundeliegenden Zusammenhänge komplett unbezweifelbare Prognosen oder Formulierungen von 100% eindeutigen Kausalzusammenhängen von Seiten derjenigen, die am meisten davon verstehen, nach wie vor verbietet und es zudem in der Natur und beruflichen Ethik der forschenden Protagonisten liegt, ihre Aussagen und Modelle immer wieder mit dem Prädikat des Unfertigen zu versehen, so zeichnet sich nichtsdestotrotz unterdessen eine so erdrückende wie unangenehme Indizienlage ab: Unser Klima verändert sich auf dramatische Art und Weise. Und alle Indizien zeigen dahin, dass diese Veränderungen von uns ausgehen.
Doch mit einer unangenehmen Mischung aus Arroganz und Ignoranz lautet der Kanon der politischen Akteure Trump’scher Prägung: „Wir lehnen den Klimawandel ab“. Dass die Wortwahl eine entblössende Ironie enthält, entgeht den Protagonisten dabei vermutlich. Sie sollten sich vielleicht mal überlegen, was ihnen passiert, wenn sie mal das Gravitationsgesetz ablehnen (immerhin wären sie dann auf dem Stand vieler Zeitgenossen Isaac Newtons): Vielleicht könnten sie dann fliegen? Es wäre nicht verwunderlich, wenn auch diese Aussage Eingang in die Rhetorik eines US-Präsidenten Donald Trump finden würde.