Nun ist es wohl passiert – das erste CRISPR-Baby ist da

Irgendwann musste es passieren. Um die baldige Geburt des ersten CRISPR-Babys vorherzusagen, musste man kein Prophet sein. Bereits vor mehr als zwei Jahren, im Mai 2015, stellte das Wissenschafts-Fachmagazin Nature in einem Artikel unter dem gleichnamigen Titel die Frage: „Wo in der Welt könnte das erste CRISPR-Baby geboren werden?“ Mit Blick auf die jeweilige Gesetzeslage war die Antwort: Japan, China, Indien oder Argentinien. Es scheint, dass wir jetzt eine Antwort auf diese Frage erhalten haben. Auch wenn viele Fachleute noch skeptisch und zurückhaltend reagieren und es bis zu einer unabhängigen Untersuchung der Babys noch viele Spekulationen geben wird, so ist klar, dass die Ankündigung des Forschers Jiankui He von der South University of Science and Technology im chinesischen Shenzhen einen dramatischen Einschnitt in den Biowissenschaften darstellt: Der chinesische Forscher behauptet, die ersten genetisch editierten Menschen erschaffen zu haben. Konkret will er ihr Genom derartig verändert haben, dass sie lebenslang immun gegen eine Ansteckung mit HIV sind.

Zur Erinnerung: Mit CRISPR, mit vollem Namen „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“, lassen sich Gensequenzen in Lebewesen punktgenau ersetzen, verändern oder entfernen, und dies schnell, präzise und sehr billig. Das hat seit der Entdeckung dieser Methode vor ca. fünf Jahren unter Wissenschaftlern, Ethikern und Patienten – leider weniger unter Politikern – zu breiter Besorgnis und heftigen Diskussionen geführt. Hier stehen sich einerseits die gewaltigen Möglichkeiten in der klinischen Arbeit und Behandlung bzw. Prävention von Krankheiten und andererseits die Aussicht, dass es unweigerlich dazu kommen wird, dass diese Technologie auch dazu verwendet wird, menschliche Eigenschaften aus nicht-medizinischen Gründen zu verändern (z.B. die Intelligenz oder äusserlicheren Attraktivität eines Menschen), gegenüber. Es wäre sowohl ein wissenschaftlicher als insbesondere auch ein ethischer Dammbruch, wenn sich bewahrheiten sollte, was He behauptet.

Auch wenn bisher völlig unklar ist, ob die CRISPR-Babys Nana und Lulu wirklich existieren, so wissen die Biologen schon länger, dass eine solche „Produktion“ rein technisch möglich ist. Schliesslich ist die Methode schon seit einigen Jahren bei Affen erfolgreich, und so viel unterscheidet uns Menschen genetisch nicht von Affen. Auch längst bekannt ist, dass, während im Westen Genmanipulationen am menschlichen Embryo und das Einpflanzen manipulierter Embryos in den Uterus der Mutter strikt verboten und die Bedenken gegen solche Formen der Eugenetik generell sehr gross sind, man in China eugenischen Bemühungen gegenüber sehr viel offener ist. Doch selbst unter chinesischen Wissenschaftlern ist der Aufschrei nach Hes Mitteilung gross. So teilte Hes Universität in Shenzhen mit, nichts von den Versuchen gewusst zu haben. „Wir sind zutiefst schockiert“, wurde auf der Webseite der Hochschule mitgeteilt. Auch von anderen chinesischen Forschern kam massive Kritik: „Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschrieben werden“, wie es in einem Schreiben heisst, das 122 Forscher unterzeichneten. Die Versuche seien ein „schwerer Schlag für die weltweite Reputation der chinesischen Wissenschaft“. Unklar ist, ob die Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) überhaupt von den Versuchen wusste.

Handelt es sich hier also nur um einen PR-Stunt eines Einzelgängers? Bei allem Aufschrei von Wissenschaftsethikern, gerade aus China, und aller Empörung müssen wir uns klar machen, dass kein globales Verbot von Interventionen in die menschliche Keimbahn existiert. China und andere Länder kennen kein Gesetz, dass dies verbietet. Zudem fand die Bekanntgabe Hes nur einen Tag vor einer grossen internationalen Konferenz über das Editieren des menschlichen Genoms in Hong Kong statt. Die CAS war vor drei Jahren gemeinsam mit der britischen und der US-Nationalakademie angetreten, um einen globalen Konsens über die ethischen Konsequenzen und die Zulässigkeit des Gene-Editierens im menschlichen Genom zu erreichen. Zwischen der von dieser Allianz organisierten Konferenz in Hong Kong und der Bekanntgabe Hes sehen Fachleute einen klaren Zusammenhang. Und wie wir unterdessen wissen, hat sich die Chinesische Akademie der Wissenschaften schon vor einer Weile aus der Allianz zurückgezogen. Ihr war die öffentliche Diskussion um Gen-Editierung im menschlichen Genom wohl dann doch zu brisant.

Dennoch gibt es auch für chinesische Wissenschaftler und die Regierung Chinas durchaus Anreize, sich auf international akzeptierte Weise zu verhalten. Es muss auch ihnen klar sein, dass das Einsetzen eines mit CRISPR behandelten Embryos in den mütterlichen Uterus den internationalen wissenschaftlichen ethischen Konsens verletzen und in der übrigen Welt auf heftigen Widerspruch stossen wird. Und als gewissensloser Schurkenstaat dazustehen und ihren internationalen wissenschaftlichen Ruf zu schädigen, das wollen die Chinesen partout vermeiden.

Doch nicht nur zwischen der chinesischen und westlichen Wissenschaft könnte sich durch die nun hergestellten CRISPR-Babys, sollten diese sich tatsächlich als solche herausstellen, ein Graben auftun. Sie könnten auch die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft global gefährden, was die Entwicklung wahrhaftig wertvoller Therapien um Jahre zurückwerfen könnte. Denn gute Wissenschaft bedeutet nicht nur Wissen in einem Vakuum zu erzeugen. Vielmehr sind ihr Kontext und ihre Wirkungen von entscheidender Bedeutung für die Gesellschaft im Ganzen und müssen daher auch innerhalb dieser diskutiert werden. Zu einem konstruktiven Dialog haben die verantwortungslosen Experimente von He nicht gerade beigetragen.

So ist auch die Wahl des Genes, das geändert wurde, ungünstig: Das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, ist extrem niedrig, und es gibt auch andere Mittel zur Prävention. Zudem ist AIDS keine unheilbare Krankheit mehr. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass diese nun geborenen Kinder einem drastischen Risiko ausgesetzt wurden. Denn noch wissen die Experten gar nicht, ob ein solcher Eingriff nicht ganz andere, unerwünschte Konsequenzen hat. Wir wissen, dass CRISPR zahlreiche potentielle Editier-Fehler verursachen kann und dass die gewünschten DNA-Veränderungen möglicherweise nicht von allen Zellen eines Embryos aufgenommen werden. Diese Effekte, „off targeting“ und „mosaicism“ genannt, zeigen, dass die Modifikation der menschlichen Keimbahn eine nach wie vor sehr unsichere und riskante Angelegenheit ist. Aber He äussert sich voller Selbstbewusstsein, dass sich bis auf die eine beabsichtigte Modifikation nichts im Genom der Babys verändert hat, d.h. off-target-Effekte ausblieben. Woher kann er das wissen? Mit der Gesundheit von Kindern und den Hoffnungen der Familien zu spielen, um sie als Mittel für einen billigen Werbegag zu nutzen, ist nichts weniger als eine Schande.

Noch zieht die U.S. National Academy of Sciences eine rote Linie, wenn es um genetische Eingreife in die Keimbahn des Menschen zum Zwecke der Verbesserung menschlicher Eigenschaften und Fähigkeiten wie beispielsweise Intelligenz oder Attraktivität geht. Solche stehen allerdings auch nicht unmittelbar an, wie R. Alta Charo, Co-Vorsitzende des NAS-Studienkomitees und Professorin für Recht und Bioethik an der Universität von Wisconsin-Madison, sagt: „Es gibt in der Öffentlichkeit eine Faszination für die am wenigsten wahrscheinlichen Anwendungen von CRISPR, nämlich – Keimbahnbearbeitung zur Verbesserung von Aussehen, Kraft oder anderer Merkmale eines Menschen.“ Wie lange diese am wenigsten wahrscheinliche Anwendung tatsächlich unwahrscheinlich bleibt, werden wir in den nächsten Jahren sehen. Selbst Jennifer Doudna, eine Pionierin der CRISPR-Methode, die noch 2015 grosse Bedenken hinsichtlich der Bearbeitung der Keimbahn geäussert hat, glaubt nun, dass „wir uns auf eine Zeit zubewegen, in der die Menschen die Technologie der Genom-Bearbeitung in menschlichen Embryonen einsetzen werden“. Genau das macht ihrer Meinung nach internationale Richtlinien umso dringlicher. Leider ist der Hauptakteur, mit dem es eine Einigung zu erzielen gilt, auf der Konferenz, die genau dieses diskutieren will, nicht mehr dabei.

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