Neue Quantensprünge – Die zweite Generation von Quanten-Technologien
Noch immer, nahezu hundert Jahre nach ihrer Entstehung, bietet die Quantenphysik unter Nichtphysikern – und zuweilen auch Physikern – reichlich Stoff für Verwirrung. Es erweist sich als praktisch unmöglich, sie mit unserem gesunden Menschenverstand nachzuvollziehen. Das Wesen von Quantenobjekten mit ihren Eigenschaften wie Welle-Teilchen-Dualismus, Superpositionen von verschiedenen Zuständen, beobachterabhängigen Messergebnissen, zeitlosem Zerfall von Wellenfunktionen und der geisterhaften Verschränkung räumlich getrennter Teilchen lässt sich nur schwer mit unseren bestehenden anschaulichen Vorstellungen und den philosophischen Begriffen unseres Denkens vereinbaren.
So führt die eigenartige abstrakte Unanschaulichkeit der Quantenphysik auch dazu, dass sie heute für alle möglichen Formen esoterischer Quacksalberei missbraucht wird. Das geht es um „Quantenheilung“ (Wunderheilungen durch Seelenreinigung), „Quanten-Feng-Shui“ (spirituelle Wohnungseinrichtungen), „Quanten-Resonanz“ (universell-perfekte Liebesbeziehungen) und sonstigen Unsinn, den Esoteriker gerne mit „Quanten“ assoziieren, munter schlussfolgernd, dass, wenn die Quantenphysik bizarr klingende Aussagen macht, alles bizarr Klingende deshalb auch zur Quantenphysik gehören muss. Und immer mal wieder muss die Quantenphysik auch für das so sehnlichst erwünschte tiefere Zusammenspiel zwischen Geist und Materie herhalten (wie beispielsweise im neusten Buch des Enkels von Thomas Mann, dem Psychologie und Theologen Frido Mann, und seiner Frau Christine Mann, Tochter Werner Heisenbergs und ebenfalls Psychologin („Es werde Licht“, S. Fischer Verlag, 2017)).
Dabei ist die Quantenphysik längst konkreter Teil unseres Lebens. Jede Elektronik, alle Digitaltechnologien, Laser, Mobiltelefon, Satelliten, Fernseher, Radio, und auch die moderne Chemie und medizinische Diagnostik beruhen auf ihr. Wir vertrauen tagtäglich ihren Gesetzen, wenn wir in ein Auto steigen (und uns auf die Bordelektronik verlassen), den Computer hochfahren (der aus integrierten Schaltkreisen, d.h. einer nur auf Quantenphänomenen beruhender Elektronik, besteht), Musik hören (CDs werden durch Laser, einem reinen Quantenphänomen, ausgelesen), Röntgen- oder MRT-Aufnahmen machen oder mittels unseres Handys (ebenfalls voll mit Mikroelektronik) kommunizieren. Und nicht zuletzt die Nukleartechnologie beruht auf ihr. So war die allererste technische Anwendung der neuen Quantentheorie zugleich die furchtbarste Waffe, die jemals militärisch eingesetzt wurde, die Atombombe. Wir können ohne weiteres behaupten, dass die Quantentheorie die einflussreichste Theorie des 20. Jahrhunderts darstellt.
Und sie könnte auch das 21. Jahrhundert massgeblich prägen. Denn die Quantenphysik hat ihr technologisches Potential noch keineswegs ausgereizt. Im Gegenteil, bis heute werden wir immer wieder Zeugen von Überraschungen und Neuigkeiten auf ihrem Gebiet. Und in ebenso regelmässigen Abständen erfahren wir von technologischen Neuerungen, die auf Quanteneffekten beruhen. Beispiele sind die 1986 entdeckte Hochtemperatursupraleiter (Nobelpreis 1987), der ebenfalls in den 1980ern bzw. 1990ern entdeckte Quanten-Hall-Effekt (Nobelpreis 1987 und 1998), LED Licht (Nobelpreis 2014), die erst in den letzten Jahren entwickelte Technologie der Quanten-Kryptologie (Nobelpreis 2012) oder auch neue „Wunderstoffe“ wie „Graphen“ (Nobelpreis 2010), auf denen zukünftig eine noch viel leistungsfähigere Elektronik aufbauen könnte.
Neue Quantentechnologien könnten uns zuletzt aber auch den Weg zur Umsetzung zweier von niemandem geringeren als Richard Feynman ausgesprochenen technologischen Visionen eröffnen: Erstens, dass es technisch möglich sein sollte, individuelle Atome zu manipulieren (Feynman 1959). Wir bezeichnen diese Entwicklung heute als „Nano-Technologie“, von vielen Techno-Advokaten bereits als eine der aufregendsten Zukunftstechnologien deklariert. Zweitens, die vielleicht noch packendere Vision eines sogenannten „Quantencomputers“ (Feynman 1981). Dieser vermag auf zahlreichen Quantenzuständen, so genannten „Quantenbits“ (Qubits), parallel zu rechnen, anstatt wie klassische Computer Information Bit für Bit zu verarbeiten. Mit seiner Hilfe liessen sich Probleme lösen, die für die heute in Physik, Biologie, Wetterforschung und anderswo eingesetzten ‚Supercomputer‘ noch bei weitem zu komplex sind.
Konkret beruhen Quantencomputer auf dem Phänomen der Verschränkung, dem wohl bizarrsten Phänomen in der Quantenwelt: Eine Anzahl von Quantenteilchen lassen sich in einen Zustand bringen, in denen sie sich so verhalten, als wären sie mit einer Geisterhand aneinandergekoppelt, auch wenn sie räumlich weit voneinander entfernt sind. Jedes Teilchen „weiss“ dann sozusagen, was die anderen gerade treiben. Sie gehören allesamt einer gemeinsamen physikalischen Entität (die Physiker sagen: einer „Wellenfunktion“) an. Zwischen den Teilchen besteht dann eine Korrelation, die eine instantane Vorhersage darüber erlaubt, welcher Zustand bei dem einen Teilchen realisiert ist, wenn man das andere gemessen hat, auch dann, wenn viele Kilometer zwischen ihnen liegen. Es ist so, als wenn jemand in Deutschland instantan spüren würde, was seinem Zwilling in Australien gerade passiert.
Mit einem solchen Ensemble von verschränkten Qubits können die Physiker, so erhoffen sie sich, auf allen möglichen seiner Zustände simultan operieren. Während ein normaler Computer all die Bits, die er hintereinander in vielen, vielen Schritten bearbeiten, d.h. von jeweils 0 auf 1 bzw. von 1 auf 0 umlegen muss, kann ein Quantencomputer alle diese Schritte mit einem Mal verarbeiten. Diese hochgradige Parallelisierung der Operationen erhöht die Rechenleistung des Computers exponentiell mit der Anzahl der Qubits, im Gegensatz zu einem klassischen, sequentiell arbeitenden Computer, dessen Rechenleitung nur linear mit der Anzahl der verfügbaren Rechenbausteine ansteigt.
Eine weitere neue Quantentechnologie sorgt schliesslich für eine effiziente und störungsfreie Übertragung von Qubits: die ‚Quanten-Teleportation‘, d.h. der Transport von Qubits zwischen zwei Orten. Grundlage dieser Technologie ist, dass zwei Quantenteilchen (z.B. Photonen) zu einem gemeinsamen quantenphysikalischen Zustand verschränkt und anschließend räumlich getrennt werden, ohne dass dabei ihr gemeinsamer Zustand zerstört wird. Eines der Teilchen wird zum Empfänger gesendet, das andere wird beim Sender mit der zu teleportierenden (Quanten-)Information (Qubit) überlagert. Durch eine Messung am Sender bestimmt sich nach den Gesetzen der Quantenphysik automatisch und augenblicklich auch der Zustand des entfernten verschränkten Teilchens, ohne dass zwischen beiden irgendeine direkte Interaktion stattfindet. Das Ergebnis dieser Messung wird dann konventionell an den Empfänger übertragen. Mit dieser Information kann dessen Qubit dann so transformiert werden, dass es den gleichen Zustand wie das Sender-Qubit besitzt. Auf diese Weise wurde die gewünschte (Quanten-)Information vom Sender zum Empfänger gebracht, ohne dass das Teilchen dabei physisch transportiert wird. Mit Quanten-Teleportation scheint neben dem Quantencomputer auch das „Quanteninternet“ zum Greifen nah zu sein.
Hadern die meisten von uns noch mit den erkenntnistheoretischen und philosophischen Implikationen der Quantenphysik, so sollten wir zugleich gut auf ihr weiterhin beispiellos revolutionäres technologisches Zukunftspotenzial achten. Denn das Verständnis der neuen Quantentechnologien eröffnet uns einen Blick in die Ferne, in eine Zukunft, die uns schon sehr bald bevorsteht.