Löst Künstliche Intelligenz bald Kriege aus? – Gedanken zu Elon Musk
Der Milliardär und erklärte Tech-Visionär Elon Musk macht mal wieder mit einer scharfen Warnung zur Künstlichen Intelligenz (KI) von sich sprechen. In einer Twitter-Nachricht – wo sonst, muss man heutzutage fragen – warnte er vor einigen Tagen, dass diese Technologie ein grösseres Risiko für den Weltfrieden darstellt als der momentane Konflikt mit Nordkorea. Sein Tweet reiht sich nahtlos ein in ein Dauerfeuer an Warnungen zu KI von Seiten des Unternehmers, der nur einen Monat zuvor die KI als das „grösste Risiko, dem sich unsere Zivilisation ausgesetzt sieht“, bezeichnet hatte.
Nun beschäftigt sich Elon Musk ausgiebig mit allen möglichen Zukunftstechnologien, und wir müssen annehmen, dass er weiss, wovon er spricht. Schliesslich investiert er viel Geld in sie. Zudem verfügt er mit dem Projekt „Open AI“, das er selber gegründet hat und welches die „sichere“ Entwicklung und Anwendung von KI erforschen soll, über ausgiebigen Zugang zu Informationen aus erster Hand auf diesem Gebiet. Wir sollten ihn also ernst nehmen, auch wenn er sich mit seinen Aussagen diametral gegen den größten Teil seiner Kollegen im Silicon-Valley stellt, die in KI längst so etwas wie einen modernen Heiligen Gral technologischer Errungenschaft zum Wohle der Menschheit zu erkennen scheint (was sich bei näherem Hinblicken allerdings zumeist eher als ein goldenes Instrument für die Wert- und Profitschöpfung ihrer Unternehmen erweist).
Zu Musk gesellen sich zahlreiche weitere prominente Stimmen, die ähnliche Warnungen aussprechen. Stephen Hawking stimmt zwar durchaus der Einschätzung zu, dass KI der Menschheit grossen Nutzen bringt, aber er warnt auch, dass sie diese zerstören könnte. Bill Gates meinte schon vor zwei Jahren, dass „KI in nur wenigen Jahrzehnten stark genug sein, um uns Sorgen zu bereiten“. Und schon 1987 brachte Claude Shannon, einer der Pioniere des Informationszeitalters, die Sorgen vieler Menschen heute über KI zum Ausdruck: „Ich stelle mir eine Zeit vor, in der wir für Roboter sein werden, was Hunde für Menschen sind.“ Der Technologie-Philosoph Gray Scott glaubt zuletzt: „Es gibt keinen Grund und auch keine Chance, dass ein menschlicher Geist im Jahr 2035 mit einer künstlichen Intelligenzmaschine mithalten kann.“
Was die meisten Menschen noch gar nicht auf ihrem Radarschirm haben: KI ist längst Teil unseres Alltags. So ist z.B. die Anzahl der Programme innerhalb der Google-Softwaresuite, die KI verwenden, seit dem Jahr 2012 von 100 auf mehr als 3.000 nur vier Jahre später angewachsen. In Tokio sollen während der nächsten Olympischen Spiele KI-gesteuerte selbstfahrende Autos Sportler, Touristen und Einheimische durch die Metropole transportieren. Computer mit KI-Software optimieren heute den Energieverbrauch in Industrieanlagen, erstellen Krebsdiagnosen, schreiben auf Knopfdruck sekundenschnell journalistische Texte, beraten Bankkunden bei ihrer optimalen Anlagestrategie und helfen Juristen bei der Bearbeitung komplexer Rechtsfälle. Sie lesen Kundenbriefe und E-Mails von Verbrauchern und erkennen dabei den Grad der Verärgerung der Absender, und Computer unterhalten sich in Call-Centern am Telefon wie menschliche Mitarbeiter. Aber „Watson“ kann noch viel mehr: So hat der KI-Computer den Trailer für den Horrorfilm „Morgan“ erschaffen, wofür er Hunderte von Trailern anderer Horrorfilme und Thriller nach Zusammensetzung, Schnitt, Inhalt, Musik, Stimmen und Emotionen untersuchte. Ein anderes KI-System namens „Benjamin“ schrieb sogar den gesamten Plot für den Science-Fiction-Kurzfilm „Sunspring“.
Auch in der Medizin hat die KI längst Einzug gehalten: So schneiden KI-Algorithmen zur Mustererkennung bei der Diagnose von Hautkrebs bereits genauso gut ab wie Hautärzte (beide erreichten bei einer Studie eine Quote von rund 91 Prozent). Mit der entsprechenden App auf unserem Smartphone könnten wir damit unsere Haut auf gefährliche Melanome untersuchen, anstatt dafür alljährlich zum Hautarzt zu gehen. Und Maschinen helfen Medizinern und Gentechnikern längst nicht mehr nur bei der Bewältigung gigantischer Datenmengen. Sie sind auch die präziseren Operateure. Der OP-Roboter „Smart Tissue Autonomous Robot (STAR)“ übertrumpft bei chirurgischen Eingriffen an Schweinen in puncto Präzision schon menschliche Chirurgen.
Und wer immer noch immer meint, KI kann nicht kreativ sein, sollte sich mal ihre Musik anhören oder ihre Kunst anschauen. KI-Algorithmen komponieren bereits ganze Konzertstücke: Der amerikanische Komponist David Cope von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz entwickelte die Software EMI (Experiments in Musical Intelligence), die ganze Sinfonien und Opern schreibt. Besonders bekannt wurde sie mit Musik, die dem Stil der Kompositionen von Bach entspricht. In einer Art musikalischem Turing-Test konnten Zuhörer die Stücke nicht von echten Bach-Werken unterscheiden. Und an der Technischen Universität Delft trainierte man in dem Projekt The Next Rembrandt KI darauf, im Stile von Rembrandt zu malen. Mit beeindruckendem Resultat: Das resultierende Gemälde der KI war für Experten nicht von echten Werken des Meisters zu unterscheiden. Doch die Kreativität von KI geht noch weiter: Auf der IBM-Webseite ibmchefwatson.com kann man Kochrezepte erstellen lassen, die mit Hilfe von KI-Algorithmen auf den persönlichen Geschmack optimiert und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten sind. Werden wir damit schon bald alle so gut kochen wie Michelin-Sterne-Köche? „Kognitives Kochen“ könnte der nächste große kulinarische Trend werden.
In KI liegt das Potential einer so atemberaubenden wie unheimlichen technologischen Entwicklung. Das lässt sich auch an der Struktur der Software festmachen: Anders als die frühen Schachcomputer basiert heutige KI auf echt lernenden – man ist versucht zu sagen: lebendigen – neuronalen Netzen, die der Architektur des menschlichen Gehirnes nachempfunden sind. Diese werden dann trainiert, indem die Lern- und Denkprozesse ihrer menschlichen Vorbilder nachgeahmt werden, womit sie über die Zeit immer besser werden. Bezugnehmend auf die vielschichtigen Strukturen von neuronalen Netzen sprechen die Wissenschaftler von „Deep Learning“.
So waren die Profis des (sehr komplexen) asiatischen Go-Spiels unlängst schockierte, wie schnell der Computer „AlphaGo“ seine Spielfähigkeiten verbessern konnte. Beim Lernen mit Abermillionen von Zügen und Partien und dem monatelangen Spielen gegen sich selbst hatte der lernende Algorithmus Go-Taktiken entwickelt, gegen die der menschliche Weltmeister nicht nur machtlos war, sondern die auch ganz neue strategische Wege des Go-Spiels eröffneten. Die Go-Experten attestieren der Maschine sogar eine eigene Spielerpersönlichkeit, die sie sich offenbar im Verlaufe ihrer Lernphase angeeignet hatte. Die Nummer eins der Go-Weltrangliste sagte im Mai 2017: „Im letzten Jahr spielte AlphaGo nahezu wie ein menschlicher Spieler, doch mittlerweile denke ich spielt er wie ein Go-Gott.“
In Anbetracht dieser Entwicklungen, so harmlos sie im Einzelnen auch klingen mögen, sollten wir genau hinhören, wenn die KI-Experten selbst Warnungen aussprechen und Regulierung einfordern. So haben unlängst zahlreiche führende KI-Forscher an die Öffentlichkeit appelliert, dass sich diese doch endlich mit ihrer Forschung beschäftigt. Es sei „unumgänglich, dass die Gesellschaft jetzt beginnt darüber nachzudenken, wie sie den maximalen Nutzen aus der KI-Forschung zieht“. Maschinelles Lernen habe in den vergangenen beiden Jahrzehnten „dramatische Fortschritte gemacht“, weshalb die künstliche Intelligenz eine jener Technologien ist, die unser Leben einschneidend verändern werden. Der KI-Pionier Stuart Russel zeichnet gar das drastische Bild von uns Menschen in einem Auto, welches auf eine Klippe zufährt und wir dabei hoffen, dass der Benzintank leer ist, bevor wir in den Abgrund stürzen. Wie Elon Musk behauptet auch Russel, dass KI für den Menschen so gefährlich werden kann wie Nuklearwaffen.
Es mag erstaunlich erscheinen, dass ausgerechnet Vertreter von Unternehmen, die an den künftigen Entwicklungen der KI ein starkes kommerzielles Interesse haben (wie Musk und Gates), oder Wissenschaftler, deren Karriere stark vom Wachstum der KI abhängt (wie Russel), derart drastische Warnungen aussprechen und förmlich um staatliche Rahmengesetze und Regulierung betteln. Doch steckt dahinter die ernste Besorgnis sowohl auf Seiten der Unternehmer als auch der Forscher, dass politische Entscheidungsträger die technologischen Entwicklungen verschlafen, sie nicht ernst genug nehmen oder, wie in den allermeisten Fällten, sie überhaupt nicht verstehen. Technologien wie KI sind sehr komplex. Sie produzieren Ergebnisse, die selbst Experten möglicherweise nicht mehr in ihrer Gesamtheit verstehen. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der KI zeigen uns eine allgemeine Entwicklung auf, die uns zu denken gibt: Der wissenschaftlich-technologische Fortschritt besitzt unterdessen eine derart rasante und komplexe Entwicklungsdynamik, dass er sich nicht nur dem geistigen, sondern zunehmend auch dem ethischen Radar der meisten Menschen, sowie nicht zuletzt dem Vorstellungs- und Gestaltungsraum der allermeisten politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger entzieht.
Wir sollten es daher begrüssen und als einen Akt grossen gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins auf Seiten der KI-Protagonisten sehen, wenn sie sich in dieser Form an die Öffentlichkeit wenden. Da braucht es halt zuweilen eine gewisse Dramatik (und sicher Übertreibung), wie Elon Musk sie gerne an den Tag legt, um unserer aller Aufmerksamkeit für die wichtigen technologischen Entwicklungen zu erhalten, die unser Leben und unsere Gesellschaft massgeblich prägen werden. Denn dass KI sowie zahlreiche andere Technologien dies schon sehr bald tun werden, ist sicher. Hören wir jetzt nicht zu, so müssen wir uns fragen, was es denn überhaupt noch braucht, um ein Bewusstsein für die Dramatik des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts unserer Gegenwart zu entwickeln.