Künstliches Fleisch aus dem Labor – Update: Wo stehen wir, wo gehen wir hin?
Gerade ist die letzte Klimakonferenz (die 27., dieses Mal in Kairo) zu Ende gegangen. Wie in nahezu allen dieser Konferenzen ist auch dieses Jahr darin nichts Konkretes herausgekommen. Konnten wir denn etwas erwarten? Die politische Debatte darüber, wie wir den Klimawandel zu bekämpfen und einzuschränken haben, hat bisher kaum etwas gebracht, insbesondere in Anbetracht der doch sehr kurzen Zeit, die wir Menschen wohl noch haben, um die Struktur unsere Energieverbrauchts signifikant zu verändern und dadurch eine apokalyptische Klimaveränderung zu verhindern. Als «apokalyptisch» müssen wir eine globale Erhöhung der Durchschnittstemperatur von mehr als zwei Grad Celsius erachten. Was dann auf der Erde passiert, könnte aufgrund einsetzender nicht-linearer Effekte (also nicht mehr einem proportionalen Verhältnis zwischen CO2-Gehalt und globalen Temperaturen) und einer entsprechend massiven Temperaturerhöhung nicht nur massiv das menschliche Leben auf der Erde verändern, sondern dies auch unumkehrbar machen. Und genau das ist das Verheerende: Dass wir in dreissig bis vierzig Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit global mehr CO2-neutrale Energieformen verwenden werden (höhere Effizienz der Photovoltaik, mehr Erdwärme, evtl. nukleare Fusion, die das Problem der Energieversorgung insgesamt lösen könnten), könnte uns in dem Fall kaum helfen, wenn die Kipp-Punkte hin zu nicht-linearen Temperaturerhöhungen die Temperaturen bereits um ein Vielfaches erhöht haben. Wir müssen also jetzt sofort und nicht erst in der nächsten Generation die Energiegewinnung entsprechend umformen Und in ersten, immer noch bei weitem unzureichenden Ansätzen ist dies ja auch in Europa (nun, nahezu allein) schon geschehen. Dabei sind auch hier die grossen Schritte zum Schutz des globalen Klimas erst für nach 2030 angekündigt, also zu einer Zeit, in der die meisten Politiker, die die heutigen Pläne machen, grossspurige Reden halten und markante Sprüche klopfen, wohl gar nicht mehr im Amt sein werden.
Nun gibt es in der Umweltpolitik noch eine ganz andere Dimension, die oft sowohl in gesellschaftlichen wie auch politischen Diskussion zu wenig gewichtet wird: Unsere Ernährung (lange aufgrund unseres Reichtums nur die in Europa und Nordamerika, heute aber in weiten Teilen der Welt), genauer: die Tierhaltung zum Zweck der Fleischproduktion verursacht eine signifikante Menge an Treibhausgasen. Gemäss der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) bewirkt diese insgesamt fast 15 Prozent der gesamten CO2-Ausstösse weltweit (ca. fünf Mal so viel wie alle zivilen Flugzeuge). Und dieser Trend nimmt dramatisch zu, sowohl mit der wachsenden Weltbevölkerung per se, wie auch durch die Steigerung von Wirtschaftskraft und Wohlstand in Asien (und dann wohl auch in Afrika). Was heute für Europäer und Amerikaner selbstverständlich ist – der nahezu tägliche Konsum von Fleisch – würde global zu einer nicht mehr tragbaren Steigerung der Tierhaltung und damit des CO2 Ausstosses führen (genauer dem «CO2 entsprechenden» Ausstoss: das von Tieren ausgestossene Methan (CH4) hat einen 20-fachen Klimaeffekt wie CO2). Dazu kommt, dass Weideland für Tierfuttermittel ca. 17% der bewohnbaren Flächen der Erde einnimmt, und dass die gesamte Landwirtschaft, wo die Tiere ca. 33% ausmachen, 69%(!) des globalen Süsswassers verwendet, und dies bei all den schwerwiegenden Wasserproblemen. So forderte der Weltklimarat (IPCC) in seinem „Sonderbericht zu Klimawandel und Landsysteme 2020“ im August 2019 – von der Öffentlichkeit wie auch Politiker kaum wahrgenommen – auch eine Kehrtwende beim menschlichen Fleischkonsum.
Genau hier könnten sich hier nun aber, wie nahezu jegliche Hoffnung auf Lösung des Klimaeffektes, durch technologische Fortschritte schon bald massive Veränderungen ergeben, und zwar durch Fleisch, das aus 3D-Druckern kommt. Solche „Drucker“ verwenden Muskelstammzellen von Rindern, die künstlich herangewachsen und vermehrt, und dann mit Nährstoffen, Salzen, pH-Puffern, etc. versetzt werden. Das Ergebnis schmeckt wohl schon sehr bald köstlicher und ist zugleich gesünder als alles tierische Fleisch bisher und … wird nahezu ohne CO2-Ausstoss auskommen (99% dem von tiererzeugten Fleisch eingespart)! Wer daran zweifelt, dass solches künstlich hergestelltes In-Vitro-Fleisch appetitvoller oder dass die Ernährung damit auch gesünder ist, sollte mal einige Stunden in einer Grossschlachtanlage verbringen. Dann wird ihm oder ihr der Appetit auf das heutige Fleisch vermutlich schnell vergehen.
Es lohnt sich, die Geschichte des In-vitro Fleisches kurz dazulegen (was ich bereits in ausführlicher Weise in vorherigen Blogs sowie meinem Klimabuch von 2021 getan habe): Vor nun nahezu zehn Jahren stellten Wissenschaftler von der Universität Maastricht eine erste künstliche Frikadelle her, dies noch für einen Preis von 250.000 Euro. Sein Name variiert heute im Alltag mit sowohl positiven wie negativen Konnotationen: «gesundes Fleisch», «schlachtfreies Fleisch», «In-vitro-Fleisch», «Fleisch aus dem Bottich», «Fleisch aus dem Labor», «Fleisch auf Zellbasis, «sauberes Fleisch», «kultiviertes Fleisch» und «synthetisches Fleisch». Zur Produktion setzen besondere 3D-Bio-Drucker die gezüchteten Zellstränge serienmässig zu Muskelgewebe zusammen. Dabei arbeiten sie, was die Schmackhaftigkeit angeht, mit Gourmet-Köchen, mit dem Ziel, den jeweiligen Geschmack täuschend echt zu dem eines heutigen entsprechenden Steaks zu machen – und durch entsprechende Aromazugaben sogar noch zu verbessern. Heute befinden sich solches In-vitro-Fleisch bereits im Markt, am prominentesten in Singapur und Israel. In Europa sind sie seit diesem Jahr, im März 2022, zugelassen und werden wohl 2023 in den Markt kommen. Und auch in den USA ist dies im November 2022 geschehen. Das Laborfleisch ist »genauso sicher wie vergleichbare Lebensmittel, die mit anderen Methoden hergestellt wurden«, so heisst es in einem Statement der FDA .
Pflanzliche Imitationen von Fisch und Fleisch sind schon lange im Handel und schmecken immer besser. Nun fügt sich In-vitro-Fleisch aus künstlich vermehrten Hühner-, Rinder- oder Fischzellen als nächster Schritt hinzu. Die Tester attestieren unterdessen nahezu einhellig, dass die gedruckten Steaks nahezu wie echtes Fleisch schmecken und geschmackvoll, bissfest und faserig wie das Original sind, auch wenn einige davon sprechen, dass es noch etwas weicher ist als Tierfleisch. Und unterdessen ist auch die allgemeine Presse auf diesen neuen Tierfleisch-Ersatz aufgesprungen. Gibt es schon bald keine Nutztierhaltung mehr, dafür aber trotzdem noch Fleisch, das dann aber nicht mehr von der Weide kommt, sondern das wir einfach selber ausdrucken? Dies könnte die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung mit Fleisch sicherstellen, ihren ökologischen Fussabdruck stark reduzieren und sogar unser Wohlempfinden beim Essen noch einmal verbessern. Welch großartige Vision!
Nun, die traditionellen Fleischproduzenten kämpfen bereits dagegen an und nach wie vor kann sich eine überwiegende Anzahl von Menschen kaum vorstellen künstliches Fleisch zu essen. Grüne Wiesen und glückliche Rinder in der Werbung verleihen den heutigen Fleischprodukten einen Mythos von Natürlichkeit, auch wenn ihre Herstellung unappetitlich industriell abläuft. Es wird äusserst spannend sein zu sehen, wie die Fleischersatzprodukte mit den originalen Fleischprodukten schon bald in Konkurrenz treten werden. Betrachtet man die so dramatisch schnell gewachsene Beliebtheit der pflanzlichen Fleischersatze, so ist zu erwarten, dass sich die neuen Hightech-Fleischersatzprodukte mit der Zeit ebenfalls einer gewaltigen Beliebtheit erfreuen werden. Dies könnte schliesslich zu einer historischen Wende im globalen Fleischkonsum führen, der sich (neben dem Verzicht auf Fleisch) sehr positiv auf die CO2-Bilanz auswirkt. Vielleicht schaffen wir es ja zusammen mit der immer CO2-neutraleren Verwendung von Energien, die Klimakatastrophe abzuwenden. Dies scheint zur Zeit noch ein schwierig nachvollziehbarer Optimismus zu sein. Doch die massive Geschwindigkeit neuer technologischer Möglichkeiten ist für die meisten Menschen eben einfach nicht vorstellbar.
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Unvorstellbare Veränderungen in kürzester Zeit – und eine positive Vision. Vielen Dank für diese Überlegungen.
Ich hoffe, dass Massentierhaltungen und das unvorstellbare Tierleiden in Schlachthöfen irgendwann Vergangenheit sind.
Lieber Lars, diese Vision kann tatsächlich realisiert werden, aber wie auch bei der Energiewende gilt: rund eine Milliarde Menschen „westlicher Länder“ können sich dazu durchringen, aber sieben Milliarden müssen auch mitmachen!
Danke Lars für diesen sehr interessanten Artikel. Zwei Fragen. Erstens: Ist künstliches Fleisch denn nichts für Veganer, da aus Muskelstammzellen von Tieren produziert? Zweitens: Ich wünsche mir, dass solche neuen Produkte eine neue Bezeichnung hätten, die nichts mit „Ersatz“ oder „künstlich“ zu tun hat. Diese Produkte dürfen eine eigene Identität haben und eigenständig sein, mit neuem kreativen Namen. Im Restaurant, zum Beispiel, dürfte man sich somit in Zukunft für Fleisch, Fisch, vegetarisch oder XXX entscheiden.
Liebe Tanya – nun, ob das was für Veganer ist, ist eine individuelle Entscheidung. Ich als Vegetarier (aus ökologischen Gründen) würde es essen. Was den Namen angeht: Das sehe ich auch so, ist aber oft nur schwer zu kontrollieren. Liebe Grüsse Lars