Ein neues Zeitalter? – Zur endgültige Anerkennung menschlichen Wirkens auf das globale Klima
Der seit 1878 alle drei bis fünf Jahre stattfindende „Internationale Geologische Kongress“ ruft normalerweise keine grösseren öffentlichen Reaktionen hervor. In der Bedeutung für die Lebenswelt der allermeisten Zeitgenossen rangiert er irgendwo zwischen der alljährlichen Zusammenkunft des Deutschen-Ringer-Bundes und der Jahresversammlung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft. Doch dieses Jahr ist das anders: Wegen des gewaltigen menschlichen Einflusses auf unseren Planeten wollen die Erd-Forscher nun ein neues Erdzeitalter ausrufen, das so genannte „Anthropozän“. Sie raten dazu, das Zeitalter des „Holozän“ für beendet zu erklären und das Anthropozän als gegenwärtige Epoche innerhalb des erdgeschichtlichen Zeitabschnittes des Quartärs anzuerkennen.
Nun sind uns Geologen als Politaktivisten bisher kaum aufgefallen. Wie andere ihrer Wissenschaftlerkollegen gelten sie eher als nüchterne Zeitgenossen. Doch birgt die seitens einer grossen Mehrheit von ihnen gestützte Resolution keine geringe politische Brisanz. Die formale Übernahme eines solchen Begriffs könnte eine bedeutende Signalwirkung auf die bereits hitzige Diskussion über einen mensch-gemachten Klimawandel haben. Er würde den globalen Einfluss des Menschen auf die Bedingungen auf unserem Planeten begrifflich manifestieren. So vermuten erste Kritiker bereits, ein solches Ausrufen eines neuen Zeitalters sei vor allem ein politisches Statement zur Klimapolitik. Doch 34 von 35 abstimmenden Experten (bei einer Enthaltung) sehen „das Anthropozän als geographisch eindeutig real“ an.
Nun hat sich die politische und gesellschaftliche Diskussion um den menschlichen Einfluss auf unseren Planeten, insbesondere auf sein Klima, in manchen Kreisen unterdessen leider weit von jeglicher wissenschaftlichen Rationalität entfernt. Andernfalls wäre die Diskussion wohl auch längst beendet, denn die wissenschaftliche Faktenlage liegt längst jenseits aller vernunftbasierten Bezweifelbarkeit. Auch wenn die Komplexität der zugrundeliegenden Zusammenhänge unzweifelhafte Prognosen oder Formulierungen von eindeutigen Kausalzusammenhängen von Seiten derjenigen, die am meisten davon verstehen, nach wie vor verbietet und es zudem in der Natur und beruflichen Ethik der forschenden Protagonisten liegt, ihre Aussagen und Modelle immer wieder mit dem Prädikat des Unfertigen zu versehen, so zeichnet sich nichtsdestotrotz unterdessen eine erdrückende Indizienlage ab: Unser Klima verändert sich dramatisch schnell. Und alle einigermassen plausiblen Kausalzusammenhänge verweisen darauf, dass dieser Wandel menschengemacht ist. Und nicht nur das: Was die Geologen des Weiteren zu Veränderungen der ökologischen Struktur unseres Planeten durch den Menschen zählen, ist: die Verbreitung von Plastik, Aluminium, Beton-Partikeln, Verbrennungsrückstände von Holz und fossilen Brennstoffen, Blei aus Motoren, Radioisotope und Zerfallsprodukte von Atomtests, welche allesamt in sedimentären Ablagerungen weltweit deutlich zu erkennen sind, grossräumige Veränderungen der Kreisläufe etwa von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor, die beispiellose globale Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten und zugleich ein massives Artensterben.
Von nun an von einem neuen Zeitalter zu sprechen ist aber nicht nur ein nüchternes Ergebnis konsequenter wissenschaftlicher Forschung, sondern zielt auch auf eine unangenehme Wahrheit, gegen die sich viele Menschen nach wie vor verwehren. Unser nicht-nachhaltiger Verbrauch energetischer Ressourcen verursacht Veränderungen im Ökosystem unseres Planeten, welche massiv in die lokalen und globalen Lebensgrundlagen eingreifen und diese potential gar zerstören. So wäre die Aufrufung eines Anthropzäns ein bedeutender symbolischer Akt, der diese wichtige Erkenntnis in die Köpfe aller Menschen, bis hin zu politischen Meinungsmachern und Entscheidungsträgern, bringt. Denn letztere erwarten klare, einfache und beständige Antworten und Wahrheiten – und erschaffen in Anbetracht des Fehlens solcher gerne ihre eigenen. Dabei erkennen die meisten von ihnen leider nicht, dass sich die Eigenschaften des Klimas auf unserem Planeten mit seinen zahlreichen nicht-linearen Rückkopplungen völlig anders darstellen als die gewohnten linearen Trends, nach denen sich politische und gesellschaftliche Entwicklungen in ihren Augen doch normalerweise zu richten haben.
Doch mit einer unangenehmen Mischung aus Arroganz und Ignoranz geht eine lautstarke Minderheit politischer Akteure noch weiter: Ohne jegliche wissenschaftliche Basis bezweifeln sie einfach jeglichen menschlichen Einfluss auf die beobachteten Entwicklungen. Mit einer ebenso interessanten wie entblössenden Wortwahl „lehnen sie den Klimawandel ab“ (vielleicht sollten wir einfach mal das Gravitationsgesetz ablehnen, vielleicht können wir dann fliegen). Dabei ist der von einigen Wissenschaftlern angestrebte Versuch mit Hilfe von anderen, teils sehr komplexen Kausalketten Alternativmodelle zu dem eines menschgemachten Klimawandels anzubieten, durchaus legitim und sogar begrüssenswert. Dies entspricht dem Geist guter Wissenschaft. Nur sollten wir diese in der öffentlichen und politischen Diskussion nicht als mehr ansehen als das, was sie sind: Modelle, welche mit einer gewissen, zumeist jedoch sehr geringen Wahrscheinlichkeit die Klimadynamik treffend beschreiben. Keineswegs lassen diese Modelle jedoch eine derart gewaltige These zu, dass es einen menschenverursachten Klimawandel gar nicht gibt.
Jenseits einfacher risikoethischer Überlegungen ist an dieser Stelle sinnvoll, sich ein altes methodisches Prinzip der Wissenschaft in Erinnerung zu rufen: Gemäss dem „Ockham’schen“ Rasiermesser sollte man, liegen zwei Thesen vor, welche eine gegebene Beobachtung gleich gut erklären, zunächst diejenige wählen, die einfacher und plausibler ist (Zusammenhang zwischen unserem CO2-Ausstosss und globaler Klimaerwärmung), und nicht diejenige, die komplizierter, uns aber aus welchen Gründen auch immer als angenehmer erscheint (externe Faktoren, die über lange Kausalketten wirken). In solchen Situationen ist mit höherer Wahrscheinlichkeit erstere die zutreffendere.
Nun mag es ja sein, dass einige Wissenschaftler, wie von „Klimaskeptikern“ gerne behauptet, von einer „eigenen Agenda“ angetrieben sind, d.h. ihr Schaffen von niederen Motiven wie persönlichem Ehrgeiz, Gier nach Macht der Deutungshoheit oder Karrieregeilheit geprägt ist. Es wäre sogar unredlich, gerade Wissenschaftler von der Möglichkeit solcher Handlungsmotive auszunehmen. Doch verfügt der Wissenschaftsbetrieb als ganzer über einen mächtigen und intakten Mechanismus der Selbstkorrektur, welcher dergleichen nicht zu dominanten Einflüssen werden lässt. Dafür gibt es einfach zu viele, wissenschaftlich seriös wie redlich arbeitende, kritische Stimmen, die bereit sind, auch nur der kleinsten Unstimmigkeit in den veröffentlichten Daten und Inkonsistenz in den entworfenen Modellen hartnäckig und unerschütterlich auf den Grund zu gehen. Kritiker der Mainstream-Thesen vom menschenverursachten Klimawandel und Forscher, die Alternativmodelle aufwerfen, sind ein integraler und essentieller Bestandteil des Wissenschaftsbetriebs. Jeder der glaubt, dass solche konträre Auffassungen „unterdrückt werden“, kennt die Mechanismen der wissenschaftlichen Community nicht. Vielmehr müssen wir uns umgekehrt fragen, ob es redlich ist (und nicht vielleicht selbst Resultat einer eigenen Agenda – die Wahlkampf-Finanzierung entsprechender US-Politiker und selbsternannter Klimaskeptiker spricht da oft Bände), jede dieser Unstimmigkeiten und Alternativerklärungen sogleich als Gerüst einer derart vehementen Argumentation gegen einen etablierten und in sich durchaus kohärenten Konsens zu verwenden.
So ist es symbolpolitisch sehr zu begrüssen, dass die Geologen diese Deklaration eines neuen Erdzeitalters anstreben. Dabei haben sie sich zudem noch etwas Besonderes einfallen lassen. Die neue Epoche in der Geschichte unseres Planeten soll ihrer Ansicht nach mit einer gewaltigen Explosion begonnen haben: der Zündung der ersten Atombombe am 16. Juli 1945, deren radioaktive Folgen sich weltweit noch heute auf der Erdoberfläche nachweisen lassen.
Eine sachliche Kritik am Ausrufen des Anthropozäns ist, dass das davorliegenden Holozän mit 12‘000 Jahren doch recht kurz sei. Doch wer sagt eigentlich, dass das Anthropozän auch nur annähernd so lange währen wird? Einige Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz sprechen bereits von einer raschen Überwindung der menschlichen Herrschaft auf diesem Planeten. Kommt nach dem Anthropozän schon bald das „Robotozän?