Ein Hauch von Oscar-Nacht in den Wissenschaften – Kommentar zu den Nobelpreisen 2017
Diese Woche war es wieder so weit: Die Physiker-, Chemiker- und Mediziner-Zunft hielt inne und blickte gespannt nach Stockholm: Wer wird wohl dieses Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet und darf sich damit in eine Reihe mit den ganz Grossen der Wissenschaftsgeschichte stellen? Der ein oder andere – leider sind es auch in diesem Jahr mal wieder nur die Herren der Schöpfung, die geehrt wurden – verbrachte dabei vielleicht eine schlaflose Nacht in Erwartung des ersehnten Anrufes aus Stockholm, der nichts weniger als die Krönung einer in den meisten Fällen bereits aussergewöhnlichen wissenschaftlichen Laufbahn darstellt. Und wie bei den Filmstars und -Starlets folgen der Bekanntgabe die Diskussionen, wer den Preis verdient hat oder wer ihn alternativ verdient hätte.
In der Physik steht es dieses Jahr ausser Frage, dass der Preis für die Geehrten seine Berechtigung besitzt. Die Detektion von Gravitationswellen war ein „einmal-in-zwanzig-Jahren“-Ereignis in der Physik und stand dem 4.Juli 2012 und der Entdeckung des Higgs-Bosons (Nobelpreis 2015) um nicht viel nach. Tatsächlich bestehen in den Physik-Nobelpreisen 2015 und 2017 und dem, wofür sie ausgesprochen wurden, gewisse Parallelen. Ähnlich wie vor zwei Jahren bei den Higgs-Teilchen eröffnet sich der von Stifter Alfred Nobel verlangte „größte Nutzen für die Menschheit“ auch bei Gravitationswellen etwas weniger unmittelbar. Doch wie das Higgs-Teilchen das letzte experimentell noch nicht nachgewiesene Puzzle-Stück im Standardmodell der Elementarteilchen-Physik darstellte, so waren die Gravitationswellen die letzte ausstehende Bestätigung der allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins. Man könnte sagen, mit der Detektion der Gravitationswellen fand die Physik des 20. Jahrhunderts ihren Abschluss. Gleichzeitig öffnet sich mit ihnen ein aufregendes Forschungswerkzeug für die des 21. Jahrhunderts. Eine dritte Parallele zum Nobelpreis für das Higgs-Teilchen: Für die Nobelpreisträger 2017 vergingen weniger als zwei Jahre von der Entdeckung bis zur Auszeichnung, eine für den Nobelpreis unüblich kurze Zeit. Auch dies zeigt deutlich, dass es dieses Jahr wohl kaum geeignetere Empfänger hätte geben können.
Weniger eindeutig erwartet war der Preis für Medizin und Physiologie, der an Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young ging. Die US-Amerikaner wurden für die Erforschung des inneren zeitlichen Rhythmus von Lebewesen geehrt. Hier hätten viele die Entdeckerinnen der Geneditierungsmethode CRISPR, Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, erwartet. So müssen sich die beiden Shootingstars der Biotechnologie wohl noch etwas gedulden. Dies mussten auch die diesjährigen Laureaten: Ihre Arbeiten gehen in die 1980er Jahre zurück. Doch herauszufinden, wie unser Körper tickt, verdient allemal einen Nobelpreis. Die drei Preisträger erkannten, dass unsere innere Uhr äußerst präzise arbeitet und dabei unseren Schlaf steuert, aber auch unser Verhalten, unseren Hormonlevel, unsere Körpertemperatur und unseren Stoffwechsel. Es gelang ihnen sogar, unsere biologische Uhr bis auf die Ebene der Gene und Proteine zu bestimmen.
Und auch die diesjährigen Träger des Chemie-Nobelpreises mussten einige Zeit warten, bis ihnen die höchste Auszeichnung der Wissenschaften zuteilwurde. Der gebürtigen Deutsche (nun auch Amerikaner) Joachim Frank, der Schweizer Jacques Dubochet und der Schotte Richard Henderson entwickelten in den 1980er Jahren eine Methode, um komplexe Biomoleküle sichtbar zu machen, womit diese besser erforschen werden konnten, die so genannte Kryo-Elektronenmikroskopie. Den Anfang hatte Frank gemacht, indem er eine Methode entwickelte, in der zweidimensionale Aufnahmen mit dem Elektronenmikroskop so zusammengefügt werden, dass sich ihre dreidimensionale Struktur offenbart. Dem Schweizer wiederum gelang es dann, Biomolekülen unter dem Elektronenmikroskop zu untersuchen. Er benutze dazu besonders schnell gekühltes Wasser, so dass dieses in flüssiger Form um eine Probe von biologischem Material herum erstarrte (daher der Name Kryo-Elektronenmikroskopie). So blieb die natürliche Form der Biomoleküle erhalten. Es ist als ob das Molekül in Glas eingeschmolzen wird, damit es dann problemlos betrachten werden kann Zuletzt gelang es dem Schotten, die dreidimensionale Struktur eines Proteins in atomarer Auflösung darstellen. Dass diese Pionierleistungen ganz im Sinne von Nobels Testament geehrt wurden, machten die Worte des Nobelkomitees deutlich: „Wissenschaftler können heute Biomoleküle mitten in einer Bewegung einfrieren und sie in atomarer Auflösung portraitieren. Dies ist bedeutend für das Grundverständnis der Chemie des menschlichen Lebens, sowie für die Entwicklung von Medikamenten. Diese Technologie hat die Biochemie in eine neue Ära befördert.“ Die Forscher können mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie heute die unterschiedlichsten Proteine in ihrer Struktur und Funktion bestimmen, von Viren, die uns attackieren, über Biosensoren in unserem Körper, bis zu denjenigen Proteinen, die für die Wirksamkeit bestimmter Medikamente besonders wichtig sind. So kam diese Technik auch zum Einsatz, als vor zwei Jahren das Zika-Virus in Verdacht geriet, für die Epidemie von Neugeborenen mit Hirnschäden verantwortlich zu sein. Um mögliche medikamentöse Therapien zu finden, fertigten die Biochemiker damals mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie monatelang dreidimensionale Bilder des Virus in immer höherer Auflösung an.
Wie schön, dass wir zumindest einmal im Jahr daran erinnert werden, wie aufregend und spannend Wissenschaft sein kann. Genauso ist das alljährliche Hollywoodspektakel im März auch für diejenigen, die sich nicht allwöchentlich über die filmischen Neuerscheinungen informieren, von Interesse, wenn sie sich an einem Sonntagabend darüber Gedanken machen, welchen Film sie sich im Kino anschauen wollen. Dabei zeichnet sich die Entwicklung in den Naturwissenschaften oft durch eine Dramatik aus, die so manchen Thriller in den Schatten stellt.