Kürzlich gab die japanische Bank Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ bekannt, dass sie versuchsweise einen humanoiden Roboter im Kundenservice einsetzen wird, um den zu erwartenden Ansturm ausländischer Kunden für die Olympiade in fünf Jahren meistern zu können. Fast zeitgleich beschrieb der Computer-Unternehmer Bill Gates seine Beunruhigung über die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz. Computer würden in den nächsten Jahren Probleme wie Spracherkennungen und Übersetzungen komplett lösen. „Zunächst werden die Maschinen zahlreiche Aufgaben für uns lösen und dabei noch nicht super-intelligent sein. Das sollte positiv für uns sein, wenn wir es geeignet steuern. Wenige Dekaden danach wird die künstliche Intelligenz dann stark genug sein, um uns Sorgen zu bereiten“, so Gates.
Aussagen wie die von Bill Gates und spektakuläre – wenn auch etwas verspielte – Ankündigungen wie die der japanischen Bank lassen uns zuweilen aufhorchen. Sie rufen uns ins Bewusstsein, welch aufregender (und oft gleichermassen bedenklicher) technologischer Entwicklungen wir Zeitzeugen sind. Doch stellen sie nur die berühmte Spitze des Eisberges dar. Wer bereit ist, jenseits der Tages- und Wochenzeitungen zu blicken und etwas tiefer in die Welt der Wissenschaft und Technologie einzutauchen, wird sein Staunen nie verlieren. Nahezu in jedem ihrer Bereiche und Forschungsgebiete lassen sich bahnbrechende Entwicklungen beobachten, welche jede für sich Faszination, Ehrfurcht und Erstaunen über das Zukunftsmögliche auszulösen vermag. Betrachten wir drei Beispiele, die es in den letzten Monaten nicht wie Philae und Rosetta, Google und selbstfahrende Autos oder In-vitro-Fertilisation und Drei-Eltern-Babys in die (allerdings zumeist hinteren Seiten der) Tagesspresse geschafft haben.
Das erste Beispiel betrifft die Möglichkeit einer leistungsfähigeren Photosynthese. Vor kurzem gelang es Forschern, ein bestimmtes funktionstüchtiges Enzym in eine höhere Pflanze einzubauen, mit Hilfe dessen dieser ermöglicht wird, mehr CO2 zu binden und somit seine Photosynthese effizienter zu machen. Das Enzym „RuBisCO“ (kurz für Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/oxygenase) ist eins der wichtigsten Enzyme der Welt. Es befindet sich in den Chloroplasten der Pflanzen und ist ein Schlüsselenzym der Photosynthese. Es nimmt das CO2 aus der Umgebungsluft auf, damit dieses weiterverarbeitet wird, was zuletzt in die fotosynthetische Herstellung von Kohlenhydraten führt. Doch neigt Rubisco auch dazu, Sauerstoff zu fixieren und damit die Ausbeute der Fotosyntheserate zu schmälern – was in Urzeiten, zu Beginn der Geschichte des Lebens auf unserem Planeten, kein Problem war, da kaum Sauerstoff in der Luft war, mit zunehmendem Sauerstoffanteil die Photosynthese jedoch immer mehr behinderte. Einen Ausweg aus diesem Dilemma entwickelten bereits frühzeitig die so genannten Zyanobakterien. Sie entwickelten Proteinhüllen, so genannten Carboxysomen, welche sie in der Lage versetzten, Kohlendioxid und Sauerstoff zu unterscheiden. Bereits seit einiger Zeit fragen sich deshalb die Bio-Ingenieure: Lässt sich vielleicht mit Hilfe der Gentechnologie und ihren Werkzeugen die DNA des Zyanobakteriums auf die Pflanzen-DNA übertragen? Und tatsächlich, genau dies ist nun mit der Tabakpflanze gelungen, dessen entsprechend genetisch veränderte Varianten „cyanobakterielle Rubisco“ und damit Carboxysom herzustellen vermögen. Damit konnten die Forscher zeigen, dass Rubisco der Zyanobakterien in einer transgenen höheren Pflanze funktionieren kann. Nun muss dies noch für eine bedeutende Kulturpflanze wie beispielsweise den Reis gelingen, und es winkt ein bis zu 30% höherer Ernteertrag, was wiederum enorme Auswirkungen auf die Welternährung hätte, von möglichen ökologischen Folgen einmal abgesehen (für welche es insbesondere einer breiteren öffentlichen Diskussion bedürfte).
Das zweite Beispiel ist die Gentherapie. Nachdem viele Mediziner in den 1990er Jahren grosse Hoffnungen in diese Methode setzten, stürzten tragische Fehlschläge sie um die Jahrtausendwende in eine tiefe Krise. In ihrem Wesen zielt die Gentherapie darauf ab, den aus einem defekten körpereigenen Gen resultierenden Funktionsverlust zu kompensieren, indem ein Virus mit einem therapeutischen Gen in den Körper gebracht wird. Im Inneren der Zellen schleust sich das modifizierte Virus dann in die DNA des Empfängers ein, womit die Zelle beginnt, das gewünschte im therapeutischen Gen kodifizierte Protein herzustellen. Problemen treten allerdings auf, wenn sich das therapeutische Gen an der falschen Stelle im Genom des Empfängers einschleust, was dazu führen kann, dass die betroffene Zelle zu einer Krebszelle umprogrammiert wird, oder wenn das Immunsystem zu stark auf die künstliche Virusinfektion reagiert. Diese „Kinderkrankheiten“ der Gentherapie lassen sich unterdessen, 15 Jahre später, sehr viel besser kontrollieren, womit dieser einstige Hoffnungsträger der Medizin in den letzten Jahren tatsächlich Anlass zu grossem Optimismus in der Behandlung schwerer, bisher hoffnungslos unheilbarer Krankheiten gibt.
Ein drittes Beispiel liefert die Nanoforschung. Vor kurzem haben Forscher das erste elektronische Bauteil aus so genannte „Silicen“ konstruiert: einen Transistor aus einem Stoff, bei dem, wie beim bekannteren „Graphen“, Atome in Schichten von Wabenmustern angeordnet sind. Doch während Graphen aus Kohlenstoff besteht, ist Silicen eine Folie aus elementarem Silizium, bekannterweise ein Halbleiter. Damit ist es zumindest für elektronischen Anwendungen bedeutend aufregender als die bisherige „Wunderfolie“ Graphen. Auch wenn die Produktion und Verarbeitung von Silicen noch mit grossen technischen Schwierigkeiten einhergeht (so zerfällt es beispielsweise unter Sauerstoffeinwirkung), besteht grosse Hoffnung, dass mit diesem Material eines Tages die Leistungsfähigkeit von Computerchips, einem zentralen Bestimmungsstück zukünftigem Fortschritts in der Informationstechnologie, bedeutend erhöht werden kann.
Dies sind nur drei kurze Beispiele, von denen aufmerksame Leserinnen und Leser von Wissenschaftszeitungen allein in den letzten Wochen und Monaten erfahren konnten. Sie und viele andere bergen gewaltige Fortschrittspotenziale, die sich der breiten Öffentlichkeit erst in einigen Jahren und Jahrzehnten offenbaren werden. So mancher, der sich dem Geschehen der Wissenschaft bereits heute genauer widmet, vermag vielleicht schon einen Blick auf die Zukunft werfen.