Des Kaiser neue Kleider – Wehret den Lügen in der Klimadebatte

Das politische und wirtschaftliche Establishment ist besorgt. Was Klimaforscher, Umweltpolitiker und engagierte Bürger bisher nicht vermocht haben, schaffen jetzt ausgerechnet unsere Kinder: Die Gefahr der globalen Erwärmung drängt sich in den Vordergrund der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit. Liberal-konservative Politiker, Wirtschaftsverbände und Rechtsintellektuelle zeigen daraufhin ihre altbekannten Reaktionsmuster: Ableugnen, Schimpfen gegen Wissenschaftler, Beharren auf der Alternativlosigkeit unseres heutigen Wirtschaftens, stures Proklamieren einer eigenen Wahrheit bis hin zu schamlosen Lügen. So entgegnet der deutsche FDP-Vorsitzende Christian Linder, die Schüler sollen doch die Klimadebatte den Profis überlassen: „Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen.“ Prompt reagierte ein Klimaprofi. Stefan Rahmstorf, einer der weltweit führenden Ozeanographen und Leitautoren des Sachstandsberichtes des Weltklimarates (IPCC) schreibt: „Die Klima-Profis sind klar auf Seiten der Schüler! Die Schüler gehen auf die Straße, weil die Politiker trotz schöner Worte die Klimaziele verfehlen. Greta Thunberg versteht mehr vom knappen Emissionsbudget und den Kipppunkten des Klimas als Herr Lindner.“ Das ist peinlich für den Politiker Lindner, dessen Ausbildung (Politikwissenschaften und Staatsrecht) tatsächlich kaum eine differenzierte Sichtweise auf die komplexen, nichtlinearen Dynamiken innerhalb der globalen Klimaentwicklung vermuten lässt.

Ein besonders dreistes Beispiel für eine Reaktion von Seiten der politischen Rechten stellt ein kürzlich publiziertes Interview des Schweizerischen Rechtpopulisten und selbsterklärten Intellektuellen Roger Köppel von der Schweizerischen Volkpartei (SVP) dar (im Zürcher Tagesanzeiger vom 16. März 2019, https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/hoeren-sie-mit-dieser-co2verteufelung-auf/story/21155353). In der Schweiz mag man sich an Köppels Provokationen bereits gewöhnt haben, aber seine Argumentation folgt dem immer gleichen Muster von Klimaleugnern und muss daher in ihrer Einfältigkeit immer wieder neu entblösst werden. Selbstsicher erklärt Köppel seine Opposition zur Klimawissenschaft mit „unbestrittenen Fakten“. Seit 1860 habe sich die globale Temperatur „nur um knapp 1°C“ erhöht. Tatsächlich sind es 1.1°C, wobei sich die Erhöhung in den letzten Jahrzehnten dramatisch beschleunigt hat. Köppels Formulierung suggeriert, dass 1°C doch so viel nicht sei. Doch für das globale Klima ist eine 1°C Erwärmung sehr viel. Klimaforscher gehen davon aus, dass eine weitere Erwärmung um mehr als 1°C dramatische Auswirkungen auf die globalen Ökosysteme und damit auch auf das menschliche Leben haben werden. So warnt selbst das Weltwirtschaftsforum: „Das Wechselspiel zwischen der Belastung der wirtschaftlichen und ökologischen Systeme wird unvorhersehbare Herausforderungen für globale und nationale Widerstandsfähigkeiten darstellen.“

Die Hälfte der bisherigen Erwärmung sei in den Jahren von 1910 bis 1940 passiert, behauptete Roger Köppel dann. Dies stellt eine erste direkte Lüge dar: Im Zeitraum 1910 bis in die 1940er Jahre hat die Temperatur um 0.35 °C zugenommen, seit den späten 1970er Jahren bis zur Gegenwart deutlich stärker um 0.6 °C. Dazwischen gab es eine leichte Abkühlung um 0.1 °C. Letztere erklärt sich daraus, dass durch die fortschreitende Verbrennung von fossilen Brennstoffen nicht nur Kohlendioxid, sondern auch Aerosole emittiert wurden, insbesondere Sulfat-Aerosole, die das Sonnenlicht wieder in den Weltraum reflektieren und so den Treibhauseffekt maskieren. Mittlerweile sind diese Emissionen in Nordamerika und Europa jedoch gesunken, so dass die Emission von Treibhausgasen nun eine deutlichere Wirkung zeigt. Auch die Phase relativ stagnierender Oberflächentemperaturen zwischen 1998 und 2013 wurde lange Zeit von Klimawandelleugnern als Beleg dafür angeführt, dass es keine menschenverursachte Erderwärmung gibt. Mit den neuen Temperaturrekorden ab 2014 fiel der Mythos der Klimawandel-Pause in sich zusammen. Tatsächlich war wohl kontinuierlich Wärme aufgenommen worden, doch diese wurde vorübergehend fast vollständig in den Ozeanen gespeichert, so dass sich diese Wärme nicht in messbaren Temperaturanstiegen auf dem Festland zeigte. Leider werden solche komplexen und in ihrer Natur nichtlinearen Wechselwirkungen vieler Bestimmungsfaktoren des globalen Klimas von selbsterstklärten Laien wie Köppel (der sich selber als „interessierter Laie“ charakterisiert) selten erfasst. Fakt ist, dass mehr als die Hälfte der Erderwärmung in den letzten eineinhalb Jahrhunderten sich in den letzten 30-40 Jahren ereignete. Dies zeigt auch die Statistik der Veränderung der globalen Mitteltemperatur 1880-2015 über dem Mittelwert des 20. Jahrhunderts. Hier liegen die Werte bis 1940 allesamt unter dem Mittel, und ab 1940 alle darüber. Die letzten Jahrzehnte waren in der nördlichen Hemisphäre ohne Zweifel die wärmste Zeitspanne innerhalb des vergangenen Jahrtausends. Und alle Daten verweisen auf eine dramatische Beschleunigung dieses Trends. Die Tendenz der globalen Erwärmung ist eindeutig, und sie ist mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit auf die Aktivitäten der Menschen zurückzuführen. Dies zu leugnen ist ein Zeichen von haltloser Ignoranz.

Das weiss der selberklärte Intellektuelle Köppel vermutlich auch. Was seine Aussagen umso schlimmer machen, denn damit bewegt er sich eindeutig auf dem Terrain der Lüge, und zwar der Lüge in ihrer schlimmsten Form, der Lüge als bewusst eingesetztes Propagandainstrument. Und da er gegen die geballte Last der wissenschaftlichen Faktenlage kaum ankämpfen kann, zündet Köppel nun die zweite Stufe seiner nebulösen Argumentationstaktik und verlässt damit endgültig die Bühne intellektueller Redlichkeit: die Verunglimpfung der gesamten Wissenschaft. Auch dies ist ein bekannter Zug der Klimawandelleugner. Die „Klima-Apokalyptiker sind bezahlt“, sagt er. Man fragt sich, was der Rechtspopulist damit wohl meint. Sollen die Forscher vielleicht umsonst arbeiten und sich ihr Brot anderswo durch „echte“ Arbeit verdienen? Was Köppel meint ist, dass die meisten Forschungsbetriebe staatliche Einrichtungen sind. Was sich also wie eine skandalträchtige Sache anhören soll, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine Trivialität. Die staatliche Förderung der Grundlagenforschung ist seit 300 Jahren eine Säule des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts und damit unseres gesellschaftlichen Wohlstandes. Köppel macht den Bock zum Gärtner: Wollen wir wirklich, dass Wissenschaft von interessegetriebenen privaten Unternehmen gemacht wird? Wohin das führen würde, zeigt uns das jahrzehntelange skandalöse Verhalten der Tabak- und Ölindustrie. Statt eines Beitrags von Seiten eines ernstzunehmenden Teilnehmers in einer zentralen gesellschaftlichen Diskussion liefert uns Köppel eine peinliche Scheindebatte mit haarsträubenden Begründungen, die bekannten und längst entlarvten Mustern folgt: Tausende von Wissenschaftlern irren sich halt, ob bewusst oder unbewusst muss Köppel offen lassen, denn sicher will er sich nicht komplett der Lächerlichkeit preisgeben.

Doch dann kommt eine wunderbare Wendung in der Köppel‘schen Logik, indem er den Spiess umzudrehen versucht: Er sei halt ein Skeptiker, und Skepsis sei doch die wichtigste wissenschaftliche Tugend. Zweifel an der wissenschaftlichen Redlichkeit von Klimaforschern säen, Verunsicherung erzeugen, die dann politisch instrumentalisiert wird, und sich dann als Träger wahrer wissenschaftlicher Tugend darzustellen – das ist der Gipfel der Unverfrorenheit. Sie muss entlarvt werden als das, was sie ist: plumper politischer Populismus.

Nun fragen sich die Anhänger Köppels vielleicht: Was macht eigentlich den Unterscheid wissenschaftlicher Wahrheit und populistische Wahrheit aus? Müssen wir den Wissenschaftlern uneingeschränkt glauben, oder steht hier vielleicht nicht einfach Aussage gegen Aussage, und wir können uns unsere eigene Wahrheit aussuchen? Der Unterschied liegt in der Motivation der Beteiligten. Wissenschaftler wollen in einer Welt voller Unsicherheiten ihr Wissen vergrößern – uneingeschränkt, aufrichtig, rational und methodisch. Dazu stehen ihnen einige „heilige“ Wesensmerkmale zur Verfügung:

• klare Kriterien, um Hypothesen bestätigen oder verwerfen zu können,
• das ehrliche Bekenntnis zu Fakten,
• eine kompromisslos reflexive Einstellung in einem offenen und transparenten Diskurs,
• das Bekenntnis dazu, dass unser Wissen nicht absolut und letztendlich ist,
• eine Demut angesichts komplexer Zusammenhänge und des zuweilen schwer Erklärlichen.

Dass Wissenschaftler dabei immer wieder auch Irrtümern ausgesetzt sind, ist Teil der wissenschaftlichen Methode. Es ist eine Funktion, kein Fehler dieser Methode! Und Falschheiten unterliegen darin immer wieder einem sehr starken Korrekturmechanismus. Wer einmal den Wissenschaftsbetrieb erlebt hat, weiss, wie hart hier um Wahrheiten gerungen wird, wie sich Wissenschaftler permanent gegenseitig herausfordern und in Frage stellen, wie ein bestehender Konsens immer wieder in Frage gestellt wird. Zu behaupten, dass Wissenschaftler als Gesamtheit interessegetrieben falsche Ergebnisse publizieren, entspricht entweder purem Unwissen oder bewusster Böswilligkeit. Den Populisten dagegen geht es nicht um Wissensvermehrung, sondern um Glaubensbestätigung. Sie setzen klare unumstössliche Wahrheiten voraus; was nicht „ihrer Wahrheit“ entspricht, wird mit Mitteln der Lüge, der Veruntreuung von Fakten, schlimmstenfalls mit politischer Macht bekämpft, nicht mit denen des wissenschaftlichen Austauschs.

Selbst wenn sich die heutigen wissenschaftliche Erkenntnis zum Klimawandel trotz all der Studien irgendwann mal als falsch herausstellen sollten, wofür bei wissenschaftlichen Ergebnissen immer eine gewisse – wenn auch in diesem Fall sehr geringe – Wahrscheinlichkeit besteht, so gebietet es die Risikoethik bis dahin, das Augenmerk auf die Möglichkeit sehr schädlicher Entwicklungen zu richten, die die globale Erwärmung mit sich bringt. Stattdessen sagt Köppel, „dank dem CO2 wachsen seit dreissig Jahren die Grünflächen massiv auf der Erde“. Hier paart sich seine peinliche Ignoranz endgültig mit unerträglicher Arroganz und produziert ein widerliches Gemisch.

Auf diese Widerlichkeit weisen nun die Schülerinnen und Schüler mit dem feinen Gespür, dass sie wohl diejenige sind, die am meisten unter den Konsequenzen eines solchen Gemischs zu leiden haben werden, hin. So sind es zuletzt die jungen Menschen, die uns sagen, dass unsere Tatenlosigkeit in Anbetracht der Entwicklungen unseres Klimas verantwortungslos ist. Herr Köppel, wie der eitle Kaiser aus dem Märchen, müssen Ihnen erst Kinder sagen: Sie haben keine Kleider an.

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