Es waren zunächst nur Gerüchte, aber diese reichten bereits aus, um eine Reihe der profiliertesten Biochemiker der Welt zu einem Aufruf zusammenzuführen, dessen Art wir von Wissenschaftler nur selten erhalten: ein Aufruf zur Selbstbeschränkung (s. Blog vom 29.3.2015). Ähnlich dramatische Appelle gab es vielleicht nur in der 1950er Jahren von Seiten der Atomphysiker. Heute geht es, wie könnte es anders sein, um die Genforschung, auf deren Gebiet sich, von der öffentlichen Aufmerksamkeit weitestgehend abgelöst, in den letzten Jahren Dramatisches entwickelt hat, was Szenarien, die bisher als Science Fiction abgetan werden, unterdessen immer realistischer werden lässt. Speziell geht es um das „genome editing“, ein Verfahren, das Erbgut von tierischen und pflanzlichen Zellen durch Entfernung oder Einfügung von spezifisch gewünschter DNA gezielt zu verändern. Das wichtigste Werkzeug dabei ist ein neues Verfahren namens „CRISPR-Cas9”, welches ursprünglich in Mikroorganismen als effizientes Abwehrsystem gegen Viren entdeckt wurde und sich den letzten Jahren zum Fundament eines der wichtigen Forschungswerkzeuge der Gentechniker entwickelt hat. Es erlaubt, Gene gezielt und nach Wunsch aus dem Genom auszuschneiden, zu verändert oder auch zu ersetzen. Das alleine mag in der Ohren vieler schon gruselig klingen, doch all dies ist in der Gentechnik bereits gang und gäbe. In dieser Hinsicht geht es nur noch um die Entwicklung immer effizienteren Verfahren. Richtig unheimlich wird es aber, wenn diese Eingriffe im Erbgut menschlicher Keimzellen passiert. Die entsprechenden Veränderungen würden dann auf die nächste und damit alle zukünftigen Generationen übertragen. Der Mensch würde seine eigene Evolution bestimmen. Und tatsächlich bestätigte ein Team chinesischer Forscher in der letzten Woche, dass sie mittels dieser Methode mit der gezielten Veränderung von Genen in menschlichen Embryos experimentiert haben.
Doch gehen wir einen Schritt zurück. Vor ca. 40 Jahren fand der Schweizer Biologe Werner Arber heraus, dass Bakterien bei der Bekämpfung von Viren (so genannter Bakteriophagen) eine Waffe in Form eines bestimmten Enzyms einsetzen, mit deren Hilfe sie die DNA der Viren aufzuspalten vermögen. Arber beobachtete, dass diese nur bestimmte Stellen auf dem Virus-Chromosom angreift, und zwar solche, die eine spezifische Sequenz von Nukleotiden (DNA-Bausteinen) besitzen, welche wiederum charakteristisch für das feindliche Virus sind. Und noch etwas anderes beobachtete er: War das entsprechende Enzym nicht mehr vorhanden, so fanden die aufgetrennten Enden der Viren-DNA wieder zusammen, ganz so als ob ihre aufgetrennten Enden klebrig wären. Die Entdeckung dieser besonderen Enzyme, die DNA zerteilen und dabei „klebrige Enden“ hinterlassen, die es der DNA ermöglicht, sich wieder – gegebenenfalls auch in neuer Formation – miteinander zu verbinden, etablierte in der 70er Jahren die neue Disziplin der „Gentechnologie“. Schnell wurde es möglich, die DNA in ganz bestimmte Teile aufzuspalten, um sie dann in anderer Form wieder zu kombinieren. Dies sollte es schliesslich gestatten, Genkombinationen zur Synthese von bestimmten Proteinen herzustellen, mit denen sich beispielsweise die Eigenschaften von Pflanzen verbessern oder menschliche Krankheiten behandeln lassen.
Seitdem hat sich in der Genforschung viel getan, und so manches was ihr entstammt, ist in unserem Alltagsleben angekommen. Pflanzen werden genetisch verändert, in der Medizin versprechen gentherapeutische Verfahren gerade wieder einmal viel Neuland, und die so genannte „graue Gentechnik“ hat unterdessen auch in Industrieprozesse Eingang gefunden. Erst drei Jahre alt ist dabei das neuste und unterdessen bereits eines der mächtigsten Verfahren zur Manipulation von Genen. Und ironischerweise stand auch diesem Verfahren der Kampf von Bakterien gegen Bakteriophagen Pate. „CRISPR“ steht für “clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ und beschreibt bestimmte Abschnitte sich wiederholender DNA im Erbgut. Diese ermöglichen es Bakterien ebenfalls, sich Immunität gegen Viren zu verschaffen, und zwar, indem sie Teile der Fremd-DNA innerhalb ihrer CRISPR-Struktur integrieren, wodurch sie den gewünschten Schutz gegen die Viren erhalten.
Zusammen mit einem zu CRISPR assoziierten Enzym, dem so genannten „Cas9“, ist es nun auch möglich, die DNA eines Lebewesens an einer vorher bestimmten Stelle ihrer Sequenz zu modifizieren, beispielsweise indem an dieser Stelle andere DNA-Sequenzen eingefügt werden. Denn Cas9 kann eine bestimmte RNA-Sequenz binden (was den Enzymkomplex CRISPR-Cas9 ergibt), welche komplementär zu einer gewünschten DNA-Zielsequenz ist. Fügt man diesen Komplex der Zelle zu, so findet das Enzym die gewünschte Zielsequenz in der DNA, schneidet diese genau dort auf und ergänzt sie mit der mitgebrachten neuen Gensequenz. Mit anderen Worten, der Enzymkomplex kann darauf programmiert werden, sich an eine beliebige ausgewählte Stelle im Erbgut anzuheften, den DNA-Strang an dieser Stelle aufzutrennen und mit dem verabreichten Molekül zu ersetzen. Auf diese Art und Weise können Lebewesen um genetische Eigenschaften „ergänzt“ werden, die sie natürlicherweise nicht besitzen.
Innerhalb von nur wenigen Monaten nach seiner Entwicklung hat sich dieses (übrigens von zwei Wissenschaftlerinnen gefundene) Verfahren als Standardverfahren des „genome editing“ durchgesetzt und ist unterdessen in Anwendungen an adulten menschlichen Zellen und tierischen Embryonen gut untersucht. Damit ist es heute derart einfach geworden, Gene zu verändern, dass jeder, der gewisse Grundtechniken der Molekularbiologie kennt, diese Methode anwenden kann. Es war somit nur eine Frage der Zeit, bis sie auch bei menschlichen Embryonalzellen verwendet wird, mit der hehren Intention bestehende Schäden am Erbgut eines Menschen zu beheben. Ein derartiger Eingriff in menschliche Keimzellen könnte schwere genetische Erkrankungen noch vor der Geburt eines Kindes verhindern, so das Argument der Wissenschaftler. Und weniger schwere könnten nicht mehr vererbt werden. Die Frage jenseits aller ethischen Gesichtspunkt ist dabei: Bei welchen Genen soll sie verwendet werden? Am besten bei solchen, deren Wirkung allseits bekannt sind (bei vielen Krankheiten kennen wir das verantwortliche Gen noch gar nicht), z.B. ein Gen, dessen Fehlen zu einem schweren Mangel an roten Blutkörperchen führt, einer Krankheit die „Beta Thalassämie“ heisst.
Es mussten wohl chinesische Wissenschaftler sein, die eine solche Anwendung zuerst in Betracht ziehen, da gentechnische Manipulationen an menschliche Keimzellen im westlichen Kulturkreis aus ethischen Gründen verboten sind. Doch das Ergebnis, welches sie nun präsentierten, ist eher ernüchternd: Nur bei einem Bruchteil der ausgesuchten Zellen, welche die Wissenschaftler aus Befruchtungskliniken erhalten hatten, wurde die Reparatur des zu Thalassämie führenden Gendefekts erreicht. Bei vielen anderen agierte der CRISPR-Cas9-Komplex im Genom auf unerwartete Art und Weise, so dass die Mutationsrate signifikant höher war als bei entsprechenden Versuchen mit Mäusen oder adulten Zellen, was vermutlich darauf zurückzuführen war, dass das CRISPR-Cas9-System an unerwünschten Stellen im Genom ansetzte. Ob das an den ausgewählten Zellen selbst lag, ist noch nicht klar (aus „ethischen Gründen“ – ja, die gibt es auch in China – verwendeten die Wissenschaftler nur solche Zellen, die einen Extra-Satz Chromosomen besassen und damit keinen Organismus entwickeln liessen).
Man mag nun schlussfolgern, dass die chinesische Studie einen Fehlschlag darstellt. Aber das wäre verfrüht. Tatsächlich ist sie aus mindestens zwei Gründen ein Meilenstein. Erstens werden die Gentechniker aus ihr lernen und ihre Verfahren schnell weiterentwickeln. Bereits sind Wissenschaftler dabei, die Probleme und Unzulänglichkeiten der Methode zu verbessern. Erfolgreiche Eingriffe dieser Art in das menschliche Genom werden in der (nahen) Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit technisch möglich sein. Diese werden es dann ermöglichen, dass wir so manche bis heute verheerende Krankheiten behandeln können. Zweitens ist es kaum vorstellbar, dass dies nur ein China passiert, wo die ethischen Barrieren wesentlich niedriger sind als bei uns. Wir sollten uns darauf einrichten, dass Eingriffe in die menschliche Keimbahn, sobald technisch möglich und sicher, nahezu überall stattfinden werden (oder können wir uns wirklich vorstellen, dass die Ausmerzung der jeweiligen Krankheiten nur in China möglich sein wird?).
Krankheiten zu behandeln oder gar auszumerzen, ist ein hehres Ziel, für dass es sich lohnt ethische Diskussionen eingehender zu führen als nur mit dem pauschalen Verweisen, dass wir das nicht dürfen, oder Argumenten zu folgen, die ihre Kraft eher aus ideologischen Überzeugungen gewinnen als einem reflektierten ethischen Diskurs. Doch auch die grossen Versprechungen der Wissenschaftler von zukünftigen gesundheitlichen Paradieszuständen sollten nicht alles, was technisch möglich erscheint, auch ethisch machbar sein lassen. Es wäre gut, wenn diese Diskussion auch in einer breiteren Öffentlichkeit ausgetragen wird und wissenschaftliche Meldungen dieser Bedeutung eine weitaus grössere Aufmerksamkeit erlangen könnten als dies gegenwärtig der Fall ist. So sollten wir darüber diskutieren, wo die Grenzen unseres wissenschaftlichen und technischen Schaffens tatsächlich liegen sollen. Es wird sicher einen schnelleren Konsens darüber geben, künftige gentechnisch designte Babies mit Hyperintelligenz und übermenschlicher sportlicher Leistungsfähigkeit als Ergebnis elterlichen Egos oder andere unethische Genmanipulationstechniken zu vermeiden, als die Heilung leidvoller Krankheiten durch Genmanipulation. Aber wie das nun einmal mit der Wissenschaft – und jeglichem Schaffensfeld menschlicher Kreativität – ist: Man kann nicht wissen, was hinten herauskommt.