Ein Leben ohne moderne Medizin können sich heute selbst diejenigen, die den Errungenschaften der Naturwissenschaften und modernen Technologien eher skeptische gegenüberstehen, kaum mehr vorstellen. Ebenso wenig, dass noch vor 150 Jahren das Überleben so mancher Infektionen eine reine Glückssache war und viele der heute harmlos erscheinenden Kinderkrankheiten tödlich verliefen, da die Ärzte einfach kein Mittel gegen sie zu finden vermochten. So machte beispielsweise eine mütterliche Entzündung nach der Geburt, das so genannte „Wochenbettfieber“, viele Kindern schon bei ihrer Geburt zu Halbwaisen. Und eine Erkrankung an Tuberkulose bedeutete zumeist das Todesurteil für den Betroffenen.

Es waren die Arbeiten eines französischen Forschers, welche den Beginn einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Revolutionen einleiten sollten, deren direkten Auswirkungen auf das heutige menschliche Leben wohl kaum je durch eine andere übertroffen wurde. Vor genau 150 Jahren, im Frühjahr 1865, berichtete Louis Pasteur erstmals von seiner Entdeckung, dass Krankheiten durch externe Krankheitserregern in Form von Mikroorganismen ausgelöst werden können. Damit schuf er die Grundlagen der allermeisten modern-schulmedizinischen Heilverfahren und öffnete die Tür für den enormen medizinischen Fortschritt im folgenden Jahrhundert. Betrug die Lebenserwartung eines Menschen im Jahre 1865 in Europa noch rund 40 Jahre, so sollte sie im Jahr 1965 zirka doppelt so hoch sein.

Pasteur war Professor an der Universität Lille (er wechselte 1857 an die Ecole Normale nach Paris), als ihn Weinbauern und Bierfabrikanten um Hilfe baten, da ihre Produkte so schnell verdarben. Er fand heraus, dass der Wein nicht sauer wird, wenn man ihn erhitzt. Und er erkannte mikroskopisch kleine Organismen, die, wie er vermutete, für das Verderben der Getränke verantwortlich sein mussten. Er nannte sie „Spaltpilze“ (heute werden sie „Bakterien“ oder „Mikroben“ genannt) und schlug vor, die Flüssigkeit nur leicht zu erhitzen, um diese Schädlinge zu töten, ohne dass dabei der Geschmack verlorengeht. Der Erfolg dieses Verfahrens war überwältigend. Pasteur zu Ehren trägt es noch heute den Namen „Pasteurisierung“.

Einige Jahre später wurde Pasteur erneut um Rat gefragt, dieses Mal von den südfranzösischen Seidenanbauern. Eine unter ihren Raupen grassierende Krankheit drohte sie um ihre Existenz zu bringen. Auch hier identifizierte Pasteur einen Mikroorganismus, der für das Problem verantwortlich war. Er empfahl den Bauern, alle Raupen zu verbrennen und neu anzufangen. Die Bauern folgten seinem Rat und die Seidenindustrie war gerettet. Von seinen Erfolgen inspiriert, intensivierte Pasteur daraufhin seine Forschungsbemühungen und begann, die Natur der Bakterien und ihre Rolle bei Krankheiten systematischer zu untersuchen. Dabei kam er immer mehr zu der Überzeugung, dass auch viele Krankheiten des Menschen durch Mikroben hervorgerufen werden. Wie er in Feldstudien aufzeigen konnte, hatte seine „Mikroorganismen-Theorie“ direkte praktische Konsequenzen. Die Verbreitung der Bakterien lässt sich unterbrechen, indem man medizinische Werkzeuge und Verbandszeug „sterilisiert“, also ähnlich wie bei der „Pasteurisierung“ die Erreger durch Hitze abtötet. Damit liessen sich in Krankenhäusern, im Hausalltag, aber auch auf den Kriegsfeldern viele Leben retten.

Sein jüngerer deutscher Kollege Robert Koch verfolgte seine Arbeit weiter und entwickelte ein Verfahren, Reinkulturen der Erreger zu züchten, indem er sie in geeignete Nährlösungen brachte und sich darin vermehren liess. Nachdem er einem gesunden Tier eine solche Reinkultur injiziert hatte, wies dieses daraufhin die gleichen Krankheitssymptome (und Erreger im Blut) auf wie ein krankes Tier. Mit Hilfe dieser Methode konnten die Forscher zuletzt die Erreger verschiedener Krankheiten auffinden und eindeutig identifizieren. So entdeckte Koch die gefährlichen Cholera- und Tuberkuloseerreger.

Doch Pasteur ging noch weiter. Er glaubte, dass es möglich sein müsste, den Körper aktiv vor den Krankheitserregern zu schützen. Er entwickelte ein Verfahren zur Immunisierung gegen Krankheiten mit Hilfe von abgeschwächten Erregern – zunächst die der Hühnercholera – und erfand damit die Schutzimpfung. Als er sich mit der gleichen Methode an den „bacillus anthracis“, den Milzbranderreger, wandte, welcher immer wieder ganze Herden von Rinder, Ziegen und Schafe dahinraffte, aber auch den Menschen befallen kann, gelang ihm der endgültige Durchbruch. Im Labor schwächt er den mörderischen, nur 0,005 Millimeter grossen Erreger durch Erhitzung ab, produziert aus dem Sud den Impfstoff und spritze diesen gesunden Schafen ein. Nachdem diese Schafe dann mit dem Milzbranderreger infiziert worden waren, erwiesen sich alle 25 geimpften von ihnen als immun und überlebten die Infektion, während die unbehandelte andere Hälfte gestorben war. Zuletzt wendet Pasteur sein Verfahren erfolgreich bei einem mit Tollwut infizierten Jungen an. Seine Feldversuche waren die Geburtsstunde der wissenschaftlich fundierten Schutzimpfung. Die Auswirkungen der Theorie Pasteurs waren derart unmittelbar, dass er schon zu Lebzeiten zu einem Helden seiner Zeit wurde.

So hatten Pasteur, Koch und andere zuletzt durch ihre Keimtheorie aufgezeigt, wie viele Krankheiten entstehen und dabei erste Möglichkeiten gegeben, sie zu behandeln. Es war der Startpunkt einer rasanten und beindruckenden Entwicklung in der medizinischen Praxis, die nach und nach schlimme gesundheitliche Geisseln der Menschheit wie Syphilis, Hepatitis, Tetanus, Tuberkulose, bis zu der lange gefürchteten Grippe (Influenza) und viele mehr ihren Schrecken nehmen sollte. Natürlich ist die Menschheit auch heute nicht von jeder (Infektions-)Krankheit geheilt, und nahezu jährlich werden neue gefährliche Erreger entdeckt. Aber anders als bei früheren Krankheitsepidemien, die grossen Teilen der Bevölkerung den Tod brachten, ist der Weg zu ihrer systmatischen Behandlung heute vorgegeben (auch wenn dieser in manchen Fällen, wie beispielsweise bei AIDS, jahrzehntelanger Forschung bedarf). So werden sich selbst die lauten Skeptiker der heutigen Schulmedizin, Behandlungs- und Impfpraxis kaum in eine Zeit vor 150 Jahren zurückwünschen, wo eine einzige Infektion einen sicheren, qualvollen Tod bedeuten konnte.

Und versetzen wir uns einmal 150 Jahre in die Zukunft: Was ausser die Ergebnisse der heutigen und zukünftigen wissenschaftlichen Forschung könnte die Menschen des Jahres 2165 mit all den dann zur Verfügung stehenden medizinischen Möglichkeiten zu der – sehr wahrscheinlichen – Einschätzung führen, sich niemals in eine Zeit zurückzusehnen, in denen Menschen an Krankheiten wie Krebs, Parkinson, Alzheimer, multipler Sklerose oder genetisch verursachten Gebrechen litten und starben.

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