CRISPR/Cas9 – eine biologische Revolution zwischen Allheilmittel und Albtraum

Selbst als Herold eines sich immer weiter beschleunigenden wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts kann man zuweilen nur noch staunen, wie schnell Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Grundlagenforschung zuweilen Eingang in die gesellschaftliche und soziale Entwicklungsdynamik finden. Noch vor einem Jahr war die selbst erst drei Jahre alte biotechnologische Methode mit dem nur schwer zu vermittelnden Namen „CRISPR/Cas9“ nur unter Spezialisten der Biotechnologie bekannt (siehe hier). Sogar nach den umstrittenen Experimenten chinesischer Wissenschaftler im letzten Frühjahr (siehe hier), die mittels dieser Methode menschliche Keimzellen genetisch veränderten (was in westlichen Ländern illegal ist), fiel die öffentliche Reaktion eher verhalten aus. Dass wissenschaftliche Grossereignisse nicht annähernd den Grad des öffentlichen Interesses geniessen wie die Präsentation des neuen iPhones, eine Fussball-WM oder das alljährliche Stelldichein einer selbst ernannten Weltelite zum Weltwirtschaftsforum in Davos, daran sollten wir uns schon gewöhnt haben. Und wie typisch auch die Reaktion auf CRISPR/Cas9: Da entwickelte sich vor unserer aller Augen eine Technologie, welche wie kaum etwas anderes die Medizin des 21. Jahrhunderts, ja ggfs. sogar die Menschheit als Ganzes, verändern könnte, und wir diskutieren vorrangig über die Stumpfsinnigkeit in den Aussagen so mancher amerikanischer Präsidentschaftskandidaten (oder ihrer europäischen Pendants), oder die Unfassbarkeit der hiesigen Forderung, mit Schusswaffen Flüchtlinge von unseren Grenzen fernzuhalten.

Dabei hat diese besondere wissenschaftliche Entwicklung gerade kürzlich ein aussergewöhnliches Mass an – wenn auch kurzlebiger – öffentlicher Aufmerksamkeit erreicht: Mit der Entscheidung der britischen Behörden, Experimente an menschlichen Keimzellen mittels des neuen CISPR/Cas9-Verfahrens vorzunehmen (zunächst um zu untersuchen, „welche Gene es braucht, damit aus einem Embryo ein gesundes Baby wird“), scheinen nun auch die wissenschaftspolitischen Entscheidungsträger im Westen der chinesischen Bedenkenlosigkeit gegenüber diesen Eingriffen nicht mehr nachstehen zu wollen. „Ein Dammbruch“ sagen die einen, „eine notwendige Freiheit in der Entwicklung neuer gesundheitsfördernder Technologien“, die anderen, und der Laie sieht im argumentativen Dickicht um diese Frage vor lauter Bäumen kaum den Wald. Sicher ist nur, dass innerhalb einer erstaunlich geringen Zeit von weniger als einem Jahr eine massive Verschiebung in der bioethischen Diskussion stattgefunden zu haben scheint, und zwar in Richtung der chinesischen Linie, wie es scheint. So sprechen sich jüngst immer mehr Biologen für die Anwendung von CISPR/Cas9 in der Embryonenforschung aus (auch wenn die gentechnisch veränderten Zellklumpen nach Meinung der allermeisten Forscher nicht einer Frau eingesetzt werden sollen, um eine Schwangerschaft herbeizuführen). Das liegt zuletzt wohl auch an der schier unglaublichen Potenz dieser neuen Technologie. Schon jetzt erachtet die Forscherwelt CISPR als den wichtigsten medizinischen Durchbruch dieses Jahrhunderts. Ob in pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Zellen, mit Hilfe dieser neuen Technik lassen sich Gene punktgenau ersetzen, verändern oder entfernen, und dies schnell, präzise und sehr billig. Was früher Wochen, Monate oder Jahre gendauert hat und zudem sehr fehlerhaft war, lässt sich mit CISPR/Cas9 mit sehr hoher Genauigkeit in Stunden und Tagen erreichen (siehe hier für weitere Details). Für manche medizinische Anwendung ist die Technik bereits derartig weit entwickelt, dass schon in wenigen Jahren klinische Studien möglich erscheinen. Dies umfasst unter anderem zahlreiche Erbkrankheiten, aber auch Menschheitsplagen wie HIV oder Malaria.

Bedeutende neue Möglichkeiten ergeben sich auch auf dem Gebiet der Pflanzenzucht. Anders als bisherige gentechnische Methoden, wie die Herstellung transgener Pflanzen, liessen sich Organismen, die mit CISPR/Cas9 verändert werden, kaum von natürlichen Mutationen unterscheiden, da nur einzelne punktuelle und spezifische genetische Veränderungen vorgenommen werden, die (allerdings mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit) auch auf natürlichem Weg durch Mutationen entstehen könnten. Dadurch liessen sich beispielsweise ganz spezifische Resistenzen gegen Pilze oder andere Krankheitserreger in das Genom heutiger besonders ertragreicher aber gegen bestimmte Erreger empfindliche Reis- oder Weizensorten implantieren, die sich dann nur in dieser einen Eigenschaft, bzw. dem einem Gen, von den ursprünglichen Sorten unterscheiden. Diese Form der Gentechnik wäre für Konsumenten unter Umständen akzeptabler, da die Eingriffe punktgenau und damit viel kontrollierter verliefen und prinzipiell einer natürlich vorkommenden Punktmutation entsprechen. Derartige Resistenzen liessen sich auch durch konventionelle Züchtung, d.h. Kreuzung entsprechender Sorten, erreichen, aber es würde Jahr dauern, bis man die unterwünschten Eigenschaften, die dabei auftreten, wieder entfernt hätte. CISPR verspricht insbesondere in armen Ländern ganz neue Ertragsmöglichkeiten für Nutzpflanzen. So haben bereits einige europäische Länder, wie beispielweise Schweden, Feldversuche mit CISPR-modifizierten Pflanzen genehmigt, und dies genau mit dem Hinweis, dass sich diese nicht grundsätzlich von Züchtungen oder natürlichen Mutationen unterscheiden. Ggfs. werden solche CISPR-geneditierten Pflanzen gar nicht mehr als „genveränderte Pflanzen“ angesehen und unterstünden damit nicht entsprechenden Reglements.

Trotz (oder gerade wegen) ihres enormen technologischen Potentials wirft diese Methode allerdings auch einige sehr kritische Fragen auf. So ist die Hauptsorge der Bioethiker, dass es durch sie sehr viel einfacher wird, modifizierte DNA in die Keimbahn von Lebenswesen einzubringen und damit deren Eigenschaften dauerhaft zu beeinflussen. So bemühen sich die Biowissenschaftler bereits seit Jahren um Verfahren, durch gezielte genetische Beeinflussung der vererbbaren Eigenschaften in ganzen Populationen von Lebewesen spezifische Veränderungen zu erreichen, beispielsweise um in der Natur vorkommende krankheitserregende Insekten weniger gefährlich zu machen. Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von „gene-Drive“. Durch entsprechende genetische Mutationen geschieht „gene drive“ in der natürlichen Evolution seit Beginn des Lebens auf der Erde. Doch CISPR/Cas9 verleiht den Biotechnologen nun mit einem Mal neue, schier grenzenlose Möglichkeiten, diesen Prozess von aussen zu steuern. Denn normalerweise vermögen sich (vorteilhafte) Mutationen – ob zufällig entstanden oder mit Absicht erzeugt – erst im Verlaufe von vielen Generationen in einer freien Population auszubreiten, da sie gemäss der Mendel’schen Regeln jeweils nur an die Hälfte der Nachkommen vererbt werden. Doch im letzten Jahr ist es den Biologen mit Hilfe der CISPR-Technik Technik gelungen, eine Methode zu entwickeln, die genetische Veränderung auf einem Chromosom auf einfache Art und Weise auch auf das andere Chromosom in der jeweiligen Zelle zu kopieren. Damit ist es möglich, den natürlichen Wert der erblichen Übertragung von veränderten Genen von 50% auf 100% zu bringen. Innerhalb einer sehr kurzen Zeit könnte sich so die angestrebte genetische Veränderung in einer gesamten Population durchsetzen. Und all dies benötigt eine technologische Infrastruktur und ein Knowhow, das jedem Genlabor, ja bald sogar vielleicht gymnasialen Schulklassen, zur Verfügung stehen.

Die CRISP-Technik erscheint wie ein Flaschengeist, der den Biologen all ihre Wünsche zu erfüllen verspricht. Und die neue Gen-Drive-Methode wird als eine ihrer mächtigsten Anwendungen gesehen. Doch ist sie wohl auch die problematischste: Denn sie könnte ein gesamtes Ökosystem schlagartig verändern. Bei der Ausrottung von Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, wie Malaria oder des Zika-Virus, wäre diese Technik vielleicht sehr hilfreich und würde wohl von vielen begrüsst. Aber schon bei der Anwendung in der Agrartechnik muss uns die Macht dieser Methode sehr unheimlich erscheinen. Und eine Technologie, die potentiell ganze Spezies ausrotten kann, auch wenn dies zunächst Krankheitserreger sind, wirft ganz neue ethische Fragen auf, die Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger erst beginnen zu verstehen. Zugleich ist die mit CISPR verbundene Entwicklung derart rasant, dass das Reaktionsvermögen der gesellschaftlichen Entscheidungsträger – auch in Anbetracht des bei ihnen ohnehin schwach entwickelten Bewusstsein für den Entwicklungsstand der Wissenschaften – wohl bedeutend zu langsam ist, um bei Bedarf diesen Geist wieder in seine Flasche zu bringen. Somit scheint es zunächst an den Wissenschaftlern selbst zu liegen, den Flaschengeist unter Kontrolle zu halten. Dass dies in Anbetracht möglicher Milliarden-Geschäfte (oder gar militärischer Anwendungen), welche die neue Methode verspricht, nicht nur sehr schwierig, sondern als nahezu unmöglich erscheint, lehrt uns das Beispiel der Kernspaltung. Auch hier dauerte es weniger als sieben Jahre von der wissenschaftlichen Entdeckung bis zu den Atompilzen von Hiroshima und Nagasaki. Doch können wir es uns wirklich leisten, dass eine gesellschaftliche und demokratische Diskussion über die Anwendungen dieser neuen Technologie (wenn überhaupt) erst beim Eingriff in die menschliche Keimbahn aufkommt? Die Biologen sollen sich sehr genau überlegen, was sie sich vom Dschinni wünschen.

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