Klima-Laien fällt es zuweilen schwer, den Überblick über die Sachlage in der globalen Klimadiskussion zu behalten. So stiftet auch die letzte Meldung aus der Geowissenschaft wohl zunächst mehr Verwirrung als Klarheit: Die gemessene Verlangsamung der globalen Erwärmung seit 1998, welche die Klimaforscher und –modelle in den letzten 15 Jahren vor ein Rätsel gestellt hat, soll so gar nicht vorliegen. Eine genauere Auswertung der Daten, insbesondere der der ozeanischen Temperaturen, soll eine andere Schlussfolgerung zulassen: Die Erde erwärmt sich doch starker gemäss den Vorhersagen der Klimamodelle! Was sollen Laien, zu denen nahezu ausnahmelos leider auch Politiker gehören, nun damit anfangen?
Zur inhärenten Komplexität der wissenschaftlichen Realität in der Klimatologie gesellt sich leider nur allzu oft ein unsäglicher Interessenkonflikt auf Seiten so manchen Teilnehmers an dieser so enorm wichtigen, vielleicht gar überlebenswichtigen Debatte. Es mangelt nicht an Versuchen, die sogenannte „Klimaskepsis“ mit eher unwissenschaftlichen Darlegungen populär zu machen, wie erst unlängst durch die zwei Energiemanager Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning, die in ihrem Buch Die kalte Sonne behaupten, der Klimawandel werde nicht so schlimm, eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung dabei jedoch scheuen.
Nun ist die Trennung zwischen Meinungen und überprüfbaren Fakten eine spätestens seit der europäischen Aufklärung vorliegende zivilisatorische Errungenschaft. Mit ihr lässt sich ein rationaler Meinungsaustausch auf der Basis vorliegender Informationen zu Deutung und Konsequenzen derselbigen durchführen. Dabei hat „ein jeder ein Anrecht auf seine eigene Meinung. Doch niemand hat ein Anrecht auf seine eigenen Fakten“, so die Devise des früheren amerikanischen Politikers Daniel Patrick Moynihan. Diese trivial anmutende Einsicht scheint vielen Klimaskeptikern nicht einzuleuchten. Noch schlimmer: Mit finanzstarken Propagandafeldzügen machen sie sich daran, die Daten der umfangreichen globalen Klimaforschung selbst in Frage zu stellen und sie zur reinen Weltanschauungsfrage ähnlich einem Glaubensbekenntnis zu erklären, anstatt sie als das zu behandeln, was sie sind: wissenschaftliche Ergebnisse.
Nun steht die Wissenschaft allgemein unter einem immerwährenden Irrtumsvorbehalt, was die Klimaskeptiker gerne betonen, um ihre eigenen Positionen mit einem Wahrheitsanspruch zu versehen, welchen die Wissenschaft für sich qua ihrer Methodik niemals in Anspruch nehmen kann, und der in seiner Eigenart eher religiösen Dogmen nahesteht (und zuweilen auch mit entsprechenden Bezügen zur Göttlichkeit einhergehen). Was die Apologeten der Klimaskepsis jedoch nicht zu erfassen vermögen ist, dass die immer vorhandene Möglichkeit eines Irrtums nicht gegen die Aussagekraft der Wissenschaft an sich spricht. Tatsächlich gelten ihre Ergebnisse so lange uneingeschränkt, bis sie widerlegt werden. Jedem, dem die Fakten nicht passen, ist dazu aufgerufen, Belege für einen Gegenbeweis anzutreten. Und mit entsprechenden Daten und Ergebnissen ist es ihr oder ihm nahezu garantiert, von wissenschaftlicher Seite Gehör zu finden. Nur ist es zurzeit einfach so, dass die Fakten eine klare Sprache sprechen: Der Klimawandel ist höchst real und messbar. So ist die Klimadebatte unterdessen auch zu einer Wissenschaftsdebatte geworden, in der die Trennlinie der Klimabesorgten und der Klimaskeptiker in ziemlich guter Näherung die gleiche ist, welche Nichtwissenschaftler von Wissenschaftlern trennt. Womit zuletzt auch Wissenschaftler anderer Bereiche angesprochen sind.
Dass in der Wissenschaft nicht immer alles zusammenpasst, theoretische Modelle und praktische Messungen nicht immer zueinander kongruent sind, machen ihr nur diejenigen zum Vorwurf, die ihre Methode nie verstanden haben. Ein Beispiel ist die unterdessen seit mehr als 15 Jahren währende scheinbare Verlangsamung der globalen Erwärmung. Seit 1998 zeigen sie Messungen, dass sich die durchschnittliche Oberflächentemperatur auf der Erde merklich weniger stark verändert zu haben scheint als dies Klimamodelle vorhersagen, eine Beobachtung, die in der Klimaforschung mit dem Term „Hiatus“ bezeichnet wird (anzumerken ist hier, dass sich lokale Erwärmungen, sowie andere Parameter stark im Einklang der Modelle entwickelt haben). Der Hiatus stellt die Klimaforschung vor eine ernste Herausforderung und unterzieht ihre Modelle einer starken Bewährungsprobe. In Situation wie dieser reagieren Wissenschaftler nach einem etablierten Muster: Sie hinterfragen ihre Modelle (ohne sie sogleich über den Haufen zu werfen), fügen diesen neue Eigenschaften hinzu, um mit dem Gemessenen kompatibel zu sein, sie verfeinern und erweitern ihre Messungen und suchen zuletzt nach neuen Erklärungsmodellen. Dabei versuchen sie, den Problemen genau und feinfühlig auf den Grund zu gehen. Brachial anmutende und monokausale Alternativerklärungen (wie die von Varnholt und Lüning, dass all dies nur mit der Aktivität der Sonne zu tun hat) gehören für sie eher auf die Bühne der politischen Jahrmarktschreier als zum ernsthaften Bemühen um eine Lösung.
Nun gehört es zur integralen wissenschaftlichen Normalität, dass neue Messungen oder neue Analysen existierender Messungen auch neue Fakten an den Tag bringen. So erschien in der jüngsten Ausgabe der renommierten Zeitschrift Science ein Aufsatz von anerkannten Forschern des staatlichen Klimaforschungszentrums der USA, der NOAA, welcher ausführt, dass es die gemessene Pause der Erwärmung, wie eingangs erwähnt, gar nicht gebe, dass das Phänomen auf mangelhaften Daten und fehlerhaften Interpretationen der Messungen beruhe (Thomas R. Karl et al., Possible artifacts of data biases in the recent global surface warming hiatus, Science, 4 June 2015). Dies wäre, wenn die Studie denn zuträfe (sie wird von anderen Wissenschaftlern bereits angegriffen), eine überraschende Wendung: Die Klimamodelle, die eine globale Erwärmung auch für die letzten 15 Jahre beschrieben hatten, lägen so falsch also nicht. Doch bedeutet die neueste Studie wohl keinen Freispruch für die Computersimulationen des Klimas, da diese nach wie vor eine zu starke Erwärmung für die vergangenen Jahre vorhergesagt haben. Doch zeigt sie wohl – und das unabhängig davon, ob sie zutrifft oder nicht, dass sowohl Modelle als auch noch die wichtigsten Daten der Klimaforschung permanent auf den Prüfstand wissenschaftlicher Kritik gehören. Nichts anderes als diesen so üblichen Selbstkorrekturprozess zeichnet gute wissenschaftliche Forschung aus.
Für die Klimaskeptiker ist dies ein gefundenes Fressen und Ernüchterung zugleich. Der der Wissenschaft so inhärente Selbstkorrekturprozess lassen in einer offenen Gesellschaft mögliche Fehler und Irrtümer sogleich im öffentlichen Gewahrsein auftauchen, was ihren Gegnern eine Untergrabung der Glaubwürdigkeit wissenschaftlichen Arbeitens ermöglicht. Zugleich würde mit dem Hiatus aber auch ein wichtiger Argumentationsstrang der Klimaskeptiker wegfallen. Nun wären diese gut beraten, die Fähigkeit der Wissenschaft zur Fehler- und Datenkorrektur als eine ihrer bedeutendsten Stärken anzuerkennen, anstatt ihr den Vorwurf zu machen, uns nicht die einmalige, stabile und endgültige Wahrheit zu verschaffen, die Menschen ihres Schlages vielleicht benötigen. Die wissenschaftliche Erkenntnis entzieht sich nun einmal dem Prozess der politischen Meinungsmacherei, wie es der globalen Klimaentwicklung auch ziemlich gleichgültig sein dürfte, welche Meinung wir Menschen von ihr haben. Interpretieren wir in Moynihans bekanntem Ausspruch die „Meinungen“ als wissenschaftliche Theorien und die „Fakten“ als die Ergebnisse von Messungen, so erkennen wir, dass zwar niemand ein Anrecht auf seine eigenen Fakten, respektive Messergebnisse besitzt, diese sich aber durchaus und auf überraschende Art und Weise verändern können. Wir wären gut beraten, es guter Wissenschaft nachzutun und unsere Theorien entsprechend flexibel zu halten und uns mit unseren Meinungen an die Daten zu halten, anstatt an Glauben, oder schlimmer, an politischen oder ökonomischen Interessen.