Wofür Quanten so alles herhalten müssen
„Geheimnis Quanten-Heilung: Die praktische Anwendung der Quantenphysik in der Heilpraxis oder zur Selbstheilung“: Dieser Slogan ist nur einer von vielen Parolen, mit denen in der esoterischen Szene grosse Versprechen abgegeben werden. Endlich sei es möglich „spannenden Parallelen zwischen Spiritualität, Medizin und Quantenphysik einem breiteren Publikum weltweit bekannt zu machen“. Da ist dann von nicht weniger die Rede als von Wunderheilungen und anderen faszinierende Dingen, mit denen man, je nach Bedarf, die Seele reinigen, die Wohnung einrichten (mit Quanten-Feng-Shui) oder mit Hilfe der „Quanten-Resonanz“ sogar die perfekte Liebesbeziehung führen kann. Selbst in die Erforschung unseres Bewusstseins hat die Quantenphysik längst Einzug gehalten.
Werbungen wie diese sind ein wesentlicher Bestandteil dessen, was ich als „postphysikalische Quantenbewegung“ bezeichnen will. Und diese blickt auf eine gewisse Tradition zurück. Bereits in den 1970er Jahren verfasste der Physiker Fritjof Capra das Buch „Das Tao der Physik“, in welchem er behauptete, dass der Mystik der alten Inder nichts Geringeres als die Erkenntnisse der modernen Quantentheorie zugrunde liegt – wenn auch in poetisch-metaphysischer Form verpackt.
Nun findet, wer sich ernsthaft mit beispielsweise der buddhistischen Lehre beschäftigt, darin tatsächlich interessante Aussagen, die sich in mancher Hinsicht mit den Erkenntnissen der modernen Physik vergleichen lassen (siehe auch L. Jaeger, „Wissenschaft und Spiritualität“, Springer Spektrum (2017)). Eine gewissermassen ganzheitliche Verbindung eines Quantenteilchens mit seiner Umwelt, die Aufhebung der Subjekt-Objekt-Dualität und die Ablehnung jeglicher unabhängiger Substanz, das sind Einsichten, die sich mit den Jahrtausende alte Ideen aus der geistigen Tradition des Buddhismus vergleichen lassen, wie sie insbesondere in der Madhyamaka-Philosophie des indischen Denkers Nagarjuna im zweiten Jahrhundert n.u.Z. ausgearbeitet wurden.
Doch entwickelte sich aus den von Capra entwickelten Gedanken eine Eigendynamik, die sein Buch zu einer neuen Bibel all jener werden liess, die nichts sehnlicher wollen als die (gemäss Max Weber) „durch wissenschaftliche Rationalität entzauberte Weltsicht“ wieder spirituell aufzufüllen. So geistert das Wort „Quanten“ bis heute in der Alternativ- und Esoterik-Szene umher und muss für allerlei Unfug herhalten.
Denn wie sich zeigte, sind „Quanten“ die perfekte Bezeichnung für so ziemlich alles, was sich eigentlich nicht bezeichnen lässt. Kommt dazu, dass sich fast niemand damit so richtig auskennt und sich die Quanten-Protagonisten somit nur selten für ihr eigenes Unwissen rechtfertigen müssen. Das macht den Eso-Mix für Denkfaule perfekt. Wer wagt schon zu widersprechen, wenn sich jemand auf „Quantenphysik“ bezieht? Dann reichen Sätze wie „Alles hängt mit allem zusammen”, um die Herzen vieler höher schlagen zu lassen. Dabei wird immer wieder nach dem gleichen Schema vorgegangen: Eine in einem klar definierten Begriffs- und Bedeutungsrahmen physikalisch sinnvolle Aussage wird „quantenesoterisch“ ins Abstruse verzerrt. „Erst die Messung bestimmt den Zustand ein Quantenteilchen ist“ ist so ein Beispiel. Daraus wird dann: „Erst durch unser Beobachten bestimmt sich der Zustand der Welt“ (oder, je nachdem was man gerade will, der meiner Gesundheit, mein Schlafverhaltens oder das Empfinden meines Liebespartners). Dies ist ein Sprung von der Klarheit einer kohärenten und empirisch validierten Physik direkt ins Mystische, ganz ohne argumentative oder diskursive Verbindung. Oder: „Weit voneinander entfernte Quantenteilchen können physikalisch verbunden bleiben“ („verschränkt“ heisst der Fachbegriff). Daraus wird dann: „Wir sind alle miteinander verbunden, und dazu auch noch mit dem ganzen Universum.“ Das ist, um es direkt und in aller Deutlichkeit zu sagen, Blödsinn.
Nun ist die Frage nach der Natur unseres Geistes tatsächlich eine der wesentlichen philosophischen Grundfragen, die das menschliche Denken seit Jahrtausenden beschäftigt. Und das „Leib-Seele-Problem“, welches dieser Frage zugrunde liegt, ist bis heute ungelöst, obwohl die Neuroforscher sich einen immer klareren Blick darauf zu verschaffen suchen. Viel Philosophen folgen daher einer Auffassung, welche sie in einer der Komplexität der Frage nicht ganz entsprechenden Kürze als „Irreduzibilität des Subjekts“ bezeichnen. Das heisst, subjektive Erfahrungsmomente lassen sich nicht auf objektive (messbare) physikalische Umstände, z.B. Gehirnzustände, reduzieren. Man mag gute Gründe finden, dieser These zuzustimmen. Aber mit Quantenphysik haben sie allesamt wirklich nichts zu tun.
Diejenigen, die die Quantenphysik verstehen – von denen es seit Richard Feynmans bekanntem Spruch („Es gab eine Zeit, als Zeitungen sagten, nur zwölf Menschen verständen die Relativitätstheorie. Ich glaube nicht, dass es jemals eine solche Zeit gab […] Auf der anderen Seite denke ich, es ist sicher zu sagen, niemand versteht Quantenmechanik“, 1967) sicherlich einige mehr gibt – können über diese Art ihrer Verwendung nur den Kopf schütteln. Dass sich die Quantentheorie nichtdestotrotz sehr gut für unsinnige Esoterik-Ideen eignet, liegt auch daran, dass die Welt der Quantenteilchen immer wieder merkwürdige Überraschungen bereit hält und uns in mancher Hinsicht wirklich ungewöhnlich und seltsam erscheinen muss. Dies allerdings nur, wenn man sie mit den Anschauungsformen unseres Alltags betrachtet, deren evolutionäre Anpassungsprozesse von der Quantenphysik nie berührt wurden. Die allermeisten Quanteneffekte finden fernab von unserem Alltagsleben statt, auf winzig kleinen Distanzen und unvorstellbar kurzen Zeitskalen, und damit sicher nicht im Bereich von Gegenständen der Spiritualität.
Wohlwissend, dass die Quantenphysik bizarr klingende Aussagen macht, folgern die Quantenesoteriker munter, dass alles bizarr Klingende deshalb auch zwingend zur Quantenphysik gehören muss. Das ist ein Trugschluss, der sich jedoch wunderbar ausbeuten lässt. Kann es sein, dass hier ein gar nicht so neues Bedürfnis befriedigt werden soll: die Sehnsucht nach einem – möglichst einfachen – fundamentalen, universalen und verbindlichen Weltbild, auf das man sich immer wieder berufen kann, ohne sich die Mühe geben zu müssen, es ganz genau zu untersuchen?
So müssen wir uns wohl immer noch an die Tatsache gewöhnen, dass Bücher mit Titeln wie „Mit dem Tao zur Weisheit“ weit mehr Leser anziehen als solche, die „Einführung in die moderne Physik“ auf ihrem Cover tragen. Die meisten Menschen, die nach tieferem Wissen und Einsicht über das Geheimnisvolle der Welt suchen, stöbern eher in Büchern über Spiritualität als sich eine wissenschaftliche Abhandlung über Physik, Chemie oder Biologie zu Gemüte zu führen. Dabei entgeht ihnen leider, dass die tatsächlichen Einsichten der Quantenphysik zu den größten philosophischen Errungenschaften des an bedeutenden Einsichten alles andere als armen 20. Jahrhunderts zu zählen sind.