Eine europäische Wissenschaftlerin – Zum 150. Geburtstag von Marie Curie
Zwischen dem allseits gefeierten 500. Jahrestag der Reformation (der in Deutschland sogar mit einem von den Arbeitgebern bereitwillig zugestandenen Sonderfeiertag kam) und dem 28. des Falls der Berliner Mauer (dem das ZDF immerhin ein gesamtes Morgenmagazin widmete) fiel ein etwas weniger beachtetes Jubiläum: der 150. Geburtstag einer der bedeutendsten Wissenschaftspersönlichkeiten der Geschichte. „Eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen“ würde Marie Curie, geboren am 7. November 1867, bei weitem nicht gerecht werden, denn auch in der gesamten männlich bestimmten Domäne der Wissenschaft ragt sie hervor wie kaum eine andere Person.
Sie war nicht nur die erste Frau, die den Nobelpreis (1903 in Physik, der dritte überhaupt) verliehen bekam, sie war auch der erste Mensch, der die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung gleich zwei Mal gewann, und ist bis heute die einzige Person, die sie in zwei verschiedenen Wissenschaften erhielt (Physik und Chemie). Und sie ist die einzige Mutter, deren Kind (Tochter Irene 1935) ebenfalls den Nobelpreis verliehen bekam. Und damit nicht genug: Sie war auch die erste Frau, die für ihre Verdienste in der französischen Ruhmeshalle des Panthéon beigesetzt wurde.
Dabei waren ihr die Franzosen zu Lebzeiten gar nicht immer wohlgesonnen. In die ehrwürdige Académie des sciences wurde sie nie aufgenommen. Ihre Bewerbung wurde im Jahr 1911 mit frauen- und fremdenfeindlichen Parolen von Seiten der rechtsgerichteten Presse niedergestimmt worden (zu der auch Le Figaro gehörte, noch heute eine der führenden Tageszeitungen Frankreichs). Am schlimmsten traf sie allerdings eine Schmutzkampagne der französischen Rechts-Presse weniger als ein Jahr später. Der Anlass war eine Liebesaffäre der Witwe gewesen (ihr Mann Pierre war fünf Jahre zuvor durch einen Unfall gestorben). Curie hatte sich in den (verheirateten) Mathematiker Paul Langevin verliebt. Sie wurde auf das Übelste beschimpft, als (aus Polen stammende) „Ausländerin“, die ein französisches Heim zerstöre, und als „Jüdin“ (was sie, nicht dass dies ein Rolle gespielt hätte, nicht einmal war, doch das kümmerte das reaktionäre und antisemitischen Blatt L’Oeuvre wenig). Es dauerte viele Jahre, bis die Forscherin sich von den Anfeindungen einigermassen erholt hatte (so ganz gelang ihr dies nie). Nicht ohne Ironie traf mitten in diese Kampagne die Nachricht von der Ehrung Marie Curies mit zweiten Nobelpreis ein.
Marie Curies Leidenschaft war die Erforschung des Phänomens der Radioaktivität, dem sie auch seinen Namen gab. Dieser Leidenschaft widmete sie ihr im wörtlichen Sinne ihr Leben. Sie starb 1934 an Leukämie. Doch schon Anfang 1903 traten bei ihr und Pierre erste gesundheitliche Probleme auf. Immer wieder litt sie unter körperlichen Schwächen, die höchstwahrscheinlich auf Verstrahlung zurückzuführen waren (die sie u.a. daran hinderten, ihren ersten Nobelpreis persönlich entgegenzunehmen). Sie wurde nichtsdestotrotz erstaunliche 66 Jahre alt, denn noch heute ist ihr Nachlass – Aufzeichnungen, Kleider, Möbel, so ziemlich alles, was sie hinterlassen hat – derart verstrahlt, dass er nur mit Schutzkleidung angefasst werden darf. Zudem ist zu unterschreiben, keinen Schadenersatz für eventuelle Gesundheitsschäden zu stellen (ihre zweite Tochter Eve, die nie mit radioaktiven Substanzen hantierte, wurde 103 Jahre alt).
Dass sie überhaupt nach Paris gekommen war, „verdankte“ sie der Tatsache, dass in ihrem Geburtsland Polen (das damals in Personalunion an Russland gebunden, d.h. Teil des Russischen Reiches war) Frauen gar nicht zum Studium zugelassen waren. Dennoch blieb sie ihrem Geburtsland ihr Leben lang emotional tief verbunden und nannte das erste neue radioaktive Element, das sie entdeckte (und wofür sie 1911 ihren zweiten Nobelpreis erhielt), „Polonium“. Die wohl bekannteste Tochter Polens und zugleich bedeutendste Frau der französischen Wissenschaft verstand sich immer als Europäerin. Ist dies nicht vielleicht auch ein Zeichen an die heutige Regierung des Geburtslandes einer der größten Frauen und Europäerinnen des 20. Jahrhunderts, die in diesen Tagen wieder Umzüge von Rechtsfaschisten und Antisemiten begrüßt?