Eine Sternstunde der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts – Die Bestätigung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vor 100 Jahren
Ausgerüstet mit Daten und Analysen stand am Abend des 6. November 1919 ein Team von Astronomen um Sir Arthur Stanley Eddington in der Royal Society in London in einem stark überfüllten Raum und skizzierte seine Messergebnisse. Ca. ein halbes Jahr zuvor hatten seine Mitglieder auf der abgelegenen westafrikanischen Insel Príncipe eine totale Sonnenfinsternis beobachtet und fotografiert (eine zweite Gruppe war nach Brasilien gefahren, um dort in Sobral Aufnahmen vom gleichen Ereignis zu machen). Was heute von Millionen Menschen zum Anlass eines solchen Spektakels millionenfach mit dem Handy gemacht wird, war damals alles andere als einfach. Die Fotografietechnik war noch sehr primitiv und ganz allgemein waren nach dem Ersten Weltkrieg die wissenschaftlichen Ressourcen knapp. Doch die Forscher um Eddington hatten enorme Bemühungen auf sich genommen, denn sie glaubten, dass ihre Beobachtungen die revolutionärste wissenschaftliche Idee der modernen Wissenschaft beweisen oder widerlegen könnten: Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie.Im November 1915 hatte Einstein auf einer Sitzung der Preussischen Akademie der Wissenschaften seine «verallgemeinerte Gravitationstheorie» vorgestellt. Darin hatte er die Wirkung der Gravitationskraft mit der Struktur von Raum und Zeit verbunden und formuliert, dass Gravitation nichts anderem entspricht als einer Veränderung in der geometrischen Struktur eines vereinten vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums. Einstein hatte damit vereint, was in der klassischen Theorie Isaac Newtons noch scharf getrennt war: Raum und Kraft, Geometrie und Gravitation. Massen treten bei ihm nicht mehr wie noch bei Newton durch Kräfte in einem absoluten Raum und in einer absoluten Zeit miteinander in Verbindung, sondern sie verändern die Struktur der Raum-Zeit, indem sie diese verbiegen oder „krümmen“, was wiederum andere Massen „gravitativ“ beeinflusst. Die klassische flache, sogenannte „Euklidische Geometrie“ des Raums verliert in Einsteins Theorie ihre Gültigkeit und wird durch eine lokal gekrümmte Geometrie ersetzt, deren jeweilige Krümmung von der vorliegenden Massenverteilung abhängt. Der Raum ist also nicht mehr Behälter der physikalischen Welt, die Zeit nicht mehr innerer Parameter der Bewegung, sondern beide sind integrierter Gegenstand der Physik mit einer eigenen Dynamik.
Mithilfe einer Analogie lässt sich Einsteins abstrakte Theorie veranschaulichen: Eine Bleikugel auf einer Gummimatte bewirkt, dass sich an der Stelle, an der sie liegt, eine Verformung einstellt. Diese Wölbung wiederum beeinflusst die Bewegung anderer Kugeln auf der Matte. Eine zweite Bleikugel wird um das Zentrum der durch die erste Kugel hervorgerufenen Wölbung kreisen (unter der Annahme, dass keine Reibung wirkt). Die Kugeln auf der Gummimatte ziehen sich also nicht aufgrund irgendwelcher Kräfte an, die auf die wirken, sondern weil sie selbst die Form des Raums verändern, in dem sie sich befinden. Analog führt eine durch einen massiven Körper hervorgerufene Verformung der geometrischen Struktur des dreidimensionalen Raums zu einer Beeinflussung der Bewegung anderer Massekörper. Doch während klar ist, dass sich die zweidimensionale Matte in die dritte Dimension des Raumes hinein deformiert, ist unklar, wohin sich der Raum selbst verformen kann? Die Antwort lautet: in eine vierte Dimension. Anstatt nur die Geometrie eines dreidimensionalen Raums zu beschreiben, in welcher sich die Körper in einer davon unabhängigen eindimensionalen Zeit bewegen, müssen wir in Einsteins geometrischer Beschreibung der Gravitation Raum und Zeit als in einer vierdimensionalen Welt untrennbar miteinander verbunden betrachten. Und bei der Anwesenheit von Massen krümmt sich diese Raum-Zeit lokal. Dies bedeutet unter anderem, dass sich ein Lichtstrahl verbiegt, wenn er einen durch eine Masse gekrümmten Raum durchläuft.
Um seine Theorie zu untermauern, hatte Einstein bestehende astronomische Beobachtungen herangezogen, die Newtons klassischer Gravitationstheorie widersprachen, darunter eine schon damals lange bekannte Anomalie in der Umlaufbahn des Merkurs um die Sonne. Aber dies waren post hoc Rationalisierungen. Was er benötigte, um zu zeigen, dass seine Theorie richtig war, war die empirisch überprüfte Vorhersage eines noch unbekannten Phänomens. Die Lichtablenkung im Gravitationsfeld der Sonne war ein solches.
Die Sonnenfinsternis im Mai 1919 bot Eddington die perfekte Gelegenheit zu einer Vermessung dieses Phänomens. Denn während einer totalen Sonnenfinsternis verläuft die Mondscheibe exakt vor der Sonne. Dies blendet ihre hellen Strahlen aus und ermöglicht es Astronomen, das relativ schwache Licht der Hintergrundsterne zu erfassen. Durch den Vergleich vorhandener Fotografien einer bestimmten Sterngruppe (im konkreten Fall die Sterne des Hyaden-Clusters im Sternbild Stier) mit Bildern von ihnen, die während einer Sonnenfinsternis aufgenommen wurden, sollte es möglich sein festzustellen, ob sich die Position der Sterne verschoben hat, weil der Raum, durch den sie laufen, von der Sonne verbogen wird.
Die Verteidigung der Theorie des Deutschen Einstein durch den Engländer war damals eine politisch äusserst delikate Angelegenheit. Zum einen war die direkte Kommunikation zwischen den beiden Männern seit Jahren unmöglich. Deutschland hatte sich im Krieg mit Grossbritannien befunden, als die Allgemeine Relativitätstheorie veröffentlicht wurde, und Eddington nur eine geschmuggelte Kopie dieser Arbeit erhalten. Mitten im Ersten Weltkrieg hatte er mit seinen Kollegen heimlich geplant, die umstrittenen Ideen des Deutschen zu bestätigen, zu einer Zeit, in der die Zeitschrift Nature so weit gegangen war, die Unterlegenheit der gesamten deutschen Wissenschaft zu proklamieren.
Die von Einstein vorhergesagte Krümmung war aber auch sehr schwer zu messen. Denn bereits Newton hatte eine Ablenkung des Lichtes durch die Wirkung einer Schwerkraft vorhergesagt. Berechnungen der deutsche Astronom Johann Georg von Soldner von 1801 auf der Basis von Newtons Theorie hatten ergeben, dass Lichtstrahlen eines fernen Sterns, die am Sonnenrand vorbei streichen, um einen Winkel von 0.9 Bogensekunden abgelenkt werden sollten (eine Bogensekunde entspricht dem 1/3.600tel eines Grad). Liess sich der in einer konkreten Messung erhaltene Wert ausreichend stark von diesen 0,9 Bogensekunde abgrenzen, um den von Einstein vorhergesagten doppelten Wert von 1,8 Bogensekunden zu bestätigen?
Alle warteten gespannt auf Eddingtons Ergebnisse an diesem Novemberabend im Jahr 1919. Und tatsächlich: Der gemessene Wert entsprach exakt der Lichtablenkung, die Einstein berechnet hatte und widersprach damit klar dem sich aus Newtons Theorie ergebenen Wert. Das Publikum war fassungslos. Durch die Zusammenarbeit der unermüdlichen Ausdauer des Theoretikers Einstein, der die nur von Wenigen wahrgenommen Ungereimtheiten und minimalen Inkonsistenzen der bestehenden physikalischen Theorie der Gravitation nicht akzeptieren wollte, und der erstaunlichen Präzision der Messungen des Astronomen Eddingtons, der keine Mühen und Aufwand scheute, um Einsteins Theorie auf den Prüfstand zu stellen, waren mit einem Mal zweihundert Jahre Newtonscher Physik umgestürzt worden. Welch ein Triumph für die Wissenschaft des frühen 20. Jahrhundert in einer Zeit derart grosser Unsicherheit!
Wie die Wissenschaftler, so waren auch die Journalisten weltweit beeindruckt. «Revolution in der Wissenschaft: Neue Theorie des Universums. Newtonsche Ideen gestürzt», titelte die Londoner Times am nächsten Tag, während die New York Times schwelgte: «Alle Lichter sind schief am Himmel. Einsteins Theorie triumphiert.» Erst die Ergebnisse Eddingtons verwandelten Albert Einstein in eine globale Berühmtheit wie keinen anderen Physiker nach Isaac Newton, dessen Theorie er verdrängte.
Noch heute wartet Einsteins Theorie mit spektakulären Bestätigungen auf: Im Jahre 2016 die Messung von Gravitationswellen – Verformungen der Raumzeit, ebenfalls durch Massen hervorgerufen, die sich wellenartig ausbreiten – sowie die erst sehr kürzlich publizierte erste Fotografie eines Schwarzen Loches. Doch anders als zu Zeiten Eddingtons überrascht das die Wissenschaftler heute kaum mehr.
Equipped with data and analyses, a team of astronomers led by Sir Arthur Stanley Eddington stood in front of an overcrowded room at the Royal Society in London on the evening of November 6th, 1919 and outlined its measurement results. About half a year earlier their members had observed and photographed a total solar eclipse on the remote West African island of Príncipe (a second group had travelled to Brazil in order to take pictures of the same event in Sobral). What millions of people are doing today with their mobile phones on such an occurrence was at that time still very difficult. The photographic technology was still rather primitive, and scientific resources were generally scarce after World War I. But Eddington’s researchers had taken these efforts upon themselves, as they believed that their observations could prove or refute the most revolutionary scientific idea in modern science: Albert Einstein’s General Theory of Relativity.
At a meeting of the Prussian Academy of Sciences in November 1915, Einstein had presented his “general theory of gravity” in which he had connected the effect of gravitational forces with the structure of space and time. He had formulated that gravity corresponds to nothing else but to a change in the geometric structure of the unified four-dimensional space-time continuum. Einstein had thus united what remained sharply separated in Isaac Newton’s classical theory: space and force, geometry and gravitation. Masses are no longer solely connected with each other by forces in some absolute space and absolute time as in Newton’s theory, but they change the very structure of space-time by bending or „curving“ it, which in turn influences other masses „gravitatively“. The classical flat, so-called „Euclidean geometry“ of space loses its validity in Einstein’s theory and is replaced by a locally curved geometry the respective curvature of which depends on the prevalent mass distribution. Space is therefore no longer the container of the physical world, time no longer the internal parameter of motion, but both are integrated objects of physics with their own dynamics.
Einstein’s abstract theory can be illustrated with the help of an analogy: A lead ball on a rubber mat causes a deformation at the point where it lies. This curvature in turn influences the movement of other balls on the mat. A second lead ball will (assuming to friction) circle around the center of the curvature caused by the first ball. The balls on the rubber mat thus do not attract each other because of some forces acting between them, but because they themselves change the shape of the space they are in. Similarly, the deformation of the geometric structure of three-dimensional space by a massive body leads to a perceived force upon other massive bodies. But while it is clear that the two-dimensional mat is deformed into the third spatial dimension, where is space itself to be deformed into? The answer is: into a fourth dimension. Instead of describing only the geometry of a three-dimensional space, in which the bodies move within a one-dimensional time independent of that space, we must in Einstein’s geometric description of gravity regard space and time as inseparably connected with each other within a four-dimensional world. And in the presence of massive bodies this space-time continuum is (locally) bended. This means, for example, that a ray of light bends when it leaches through a space curved by a mass.
To support his theory, Einstein had used existing astronomical observations that contradicted Newton’s classical theory of gravitation, including the already back then long known anomalies in Mercury’s orbit around the sun. But these were post hoc rationalizations. What was needed to convince people that his theory was correct was a verified prediction of a previously unknown phenomenon. A bending of light through the gravitational force of the sun was such.
The solar eclipse in May 1919 offered Eddington the perfect opportunity for measuring such a phenomenon. Because during a total solar eclipse the moon disk runs right in front of the sun fading out the sun’s bright rays and allows astronomers to study the relatively weak light of the background stars. By comparing existing photographs of a particular group of stars (in this case the stars of the Hyades cluster in the constellation of Taurus) with images of them taken during a solar eclipse, it should be possible to determine whether the position of the stars has shifted due to space being bent by the sun.
An Englishman’s defense of the German Einstein’s theory was politically a very delicate matter. First, direct communication between the two men had been impossible for years, as Germany had been at war with Great Britain at the time the General Theory of Relativity was published. Eddington had received a smuggled copy and had secretly planned with his colleagues in the middle of World War I to confirm the controversial ideas of the German physicist, in a time in which the journal Nature had even gone as far as proclaiming the inferiority of all German science.
But the curvature predicted by Einstein was very difficult to measure, as Newton had also predicted a bending of light by the effect of gravity. Calculations based on Newton’s theory by the German astronomer Johann Georg von Soldner of 1801 had shown that light rays from a distant star passing by the edge of the sun should be deflected by an angle of 0.9 arc seconds (one arc second corresponds to 1/3,600 of a degree). Was the value obtained from the measurement going to be sufficiently precise to confirm the value of 1.8 arc seconds predicted by Einstein and distinguish it from Newton’s value?
Everybody was anxiously awaiting Eddington’s results on that November evening in 1919. And indeed, the value measured corresponded exactly the light deflection Einstein had calculated and thus clearly contradicted Newton’s theory. The audience was stunned. Suddenly, two hundred years of Newtonian physics had been overthrown by the collaboration of the tireless perseverance of the theorist Einstein, who was unwilling to accept some not widely perceived inconsistencies and minimal inconsistencies of the existing physical theory, and the amazing precision of the astronomer Eddington’s measurements, who spared no effort and expense to put Einstein’s theory to the test. What a triumph for the science of the early 20th century at the time of so much unrest!
Like the scientists, journalists from all over the world were impressed. „Revolution in science: New theory of the universe. Newtonian ideas overthrown,“ headlined the London Times the next day, while the New York Times reveled: „Lights all askew in the heavens: Einstein’s theory triumphs.“ It was these results by Eddington and bis colleagues that turned Albert Einstein into a global celebrity like no other physicist had been since Isaac Newton, whose theory he had overturned.
Even in our days, Einstein’s theory still experiences spectacular confirmations, such as the measurement of gravitational waves – deformations of space-time propagating in waves, also caused by massive bodies – in 2016 and the very recently published first photograph of a black hole. But other than at the time of Eddington scientists are no longer surprised and awed bus this today.