Wie steht es um die Kernfusion? – Immer wieder neue Presseschlagzeilen

In den letzten Monaten hören wir von der Presse immer wieder Neuigkeiten zu einem Thema, was über Jahrzehnte eher durch lange Schweigen charakterisiert war. Zeigt dies, dass wir schon bald den tatsächlichen Durchbruch bei der wohl aufregendsten Energieerzeugung überhaupt erleben werden, der kontrollierten Erzeugung der enormen Energie der Sonne hier auf Erden: Nuklearfusion? Fortschritte in der Nuklearfusion könnten uns eines Tages tatsächlich die Möglichkeit bieten, sichere und (nahezu) klimaneutrale Energie zu gewinnen – anders als die Kernfission, auf der die heutige, sehr umstrittene Kernkraftgewinnung beruht, die wir schon seit den 1950er Jahren kontrollieren können, um friedliche Energie zu erzeugen.

So hiess es diese Woche (12. Dezember 2022) in nahezu allen Presseorganen, dass Wissenschaftler einen weiteren wichtigen Meilenstein bei der Nutzung der Fusionsenergie erreicht haben. Es sei erstmals gelungen, mit einem experimentellen Fusionsreaktor mehr Energie zu erzeugen als während des Prozesses verbraucht wurde. Es sei ein »Nettoenergiegewinn« von 120 Prozent erreicht worden. Das hört sich tatsächlich revolutionär an: Schliesslich gibt es seit ca. 70 Jahren zahlreiche  Versuchsreaktoren dafür, doch ist es bislang nirgendwo gelungen, mehr Energie zu erzeugen als in die Reaktoren gegeben werden muss, um die Kernfusion zu erzeugen.

Dies hat es auch weit in die deutschsprachige Presse geschafft:

  • Der Spiegel betitelt seinen Beitrag dazu mit Ist das der Durchbruch bei der Kernfusion?
  • In der Neuen Zürcher Zeitung heisst es: Kernfusion: Ist in einem Experiment mehr Energie frei geworden, als die Forscher hineinsteckten? Das wäre ein Meilenstein
  • Die Süddeutsche Zeitung schreibt: Durchbruch bei Forschung zu Kernfusion.

Doch wie lässt sich diese Energie genau herstellen – auf der Sonne ist die Gravitationskraft gross genug, um die Kerne zusammenzubringen und fusionieren zu lassen? Bereits seit den späten 1930er Jahren wissen Physiker, dass unter sehr hohem Druck und hoher Temperatur Wasserstoffkerne zu Helium-Atomkernen verschmelzen. Die bei diesem Prozess freiwerdende Energiemenge ist weitaus höher als beim umgekehrten Vorgang, bei dem schwere Atomkerne gespalten werden. Das bereits damals erarbeitete Grundkonzept der Kernfusion ist bis heute die gleiche: Ein Deuterium-Tritium-Plasma wird in einer Art Mikrowelle auf mehrere Millionen Grad erhitzt und dann mithilfe eines Magnetfelds eingeschlossen und kontrolliert. Ab einer Temperatur von ca. 100 Millionen Grad zündet das Gemisch und setzt die Fusionsenergie frei – wobei die konkrete Zündungstemperatur von der Teilchendichte, d.h. Drucks  des Plasmas abhängig ist. Man kann auch weitere Kernfusionen mit anderen Kernen durchführen, wie z.B. Protonen mit Bor (11B), die allerdings weitaus höhere Tempertaturen (Energien)  benötigen.

In den neusten Schlagzeilen geht es (mal wieder) um die National Ignition Facility (NIF) des Lawrence Livermore National Laboratory in Nordkalifornien. Anstatt eines gewaltigen Magnetfelds, welches das Plasma einbehält, so dass die Teilchen bei ausreichender Temperatur fusionieren, wurde hier ein Hochleistungslaser verwendet, der die Deuterium und Tritium (beide positiv geladen und sich daher abstossend) nahe genug zusammenbringt, so dass sie fusionieren (aufgrund der starken Kernkraft, die allerdings nur  eine sehr kurze Reichweite hat). Diese Reaktion findet bei NIFs Technologie allerdings immer nur für einen (sehr) kurzen Moment statt. Nun hat die Energie durch die erreichte Kernfusion die Energie, die für die Erreichung der Nuklearreaktion erforderlich ist, überschritten – mit einem Nettogewinn von 120%, wie geschrieben wird. «Für die meisten von uns war dies nur eine Frage der Zeit», so hiess es in Nordkalifornien. Doch ist die permanente Kernenergiegewinnung auf die hier verwendete Weise noch sehr weit weg. Es ist sogar fraglich, ob diese Methode mit den kurzen Laserimpulsen, die zur Zeit nur einige wenige Male am Tag möglich sind, überhaupt skalierbar ist. Von den meisten Nuklearphysikern wird das Laserverfahren durch die kurze Zeitdauer des Vorgangs kaum als ein Weg zu kommerziellen Reaktoren gesehen. Und man sollte nicht vergessen: Das Hauptaugenmerk der NIF liege nicht auf der Erzeugung sauberer Energie, sondern auf militärischen Interessen.

Betrachten wir das NIF-Verfahren ein klein wenig mehr im Detail: Man ist dort auf einen Ansatz namens «Trägheitseinschluss-Fusion» (inertial confinement fusion, ICF) spezialisiert, wo hohe Temperaturen in sehr kleinen Räumen erzeugt werden, indem ein winziges Kügelchen mit den beiden Wasserstoff-Isotopen im Zentrum mit 192 Hochleistungslasern beschossen wird. Konkret wird dies durch eine sorgfältige Formgebung erreicht:  Zum einen für die Brennstoffkapsel – einer winzigen kugelförmigen Hülle aus Polycarbonat-Diamant, zum anderen mit einem «Hohlraum», in dem sich das Pellet befindet – ein kleiner Zylinder aus abgereichertem, also nicht sehr radioaktivem Uran, der mit Gold ausgekleidet ist. Innerhalb von 10 Milliardstel Sekunden(!) soll der Brennstoff dann auf einen minimalen Bruchteil seines ursprünglichen Volumens verringert werden, womit sein Kern eine Temperatur von 50 Millionen Grad Celsius erreicht, eine Temperatur, die unter den entsprechend hohen Druckverhältnissen ausreichend für die Kernfusion ist. Die Laser verbrauchen allerdings ihrerseits enorme Mengen an Energie und können bisher nur ein- bis zweimal am Tag gezündet werden. Diese Energie, die ein Vielfaches der gewonnenen Energiemengen darstellt, ist im Nettogewinn gar nicht berücksichtigt worden!

Die vom NIF verwendete Technologie ist nur eine von zahlreichen möglichen Methoden der Kernfusion. Auslöser einer ähnlichen Welle von Zeitungsartikeln vor etwas mehr als einem Jahr war das Bostoner Unternehmen Commonwealth Fusion Systems (CFS), eine Ausgründung des MIT, das, wie es kommuniziert, von Investoren wie Bill Gates und George Soros mehr als eine Milliarde Dollar erhalten hat. Die Funktionsweise dieser Kernfusion ist hier eine ganz andere als die des NIFs: Es handelt sich eher um einen traditionellen Fusionsansatz, in welchem man einen Donut-förmigen «Tokamak»-Reaktor baut, eine «große magnetische Flasche», wie es der CEO Bob Mumgaard formuliert, in der starke Magnetfelder Kugeln in einem ca. 100 Millionen Grad heissem Plasma des Wasserstoffs kontrollieren, was die gleiche Fusion von Wasserstoffisotop-Kerne hervorbringen soll wie im lasergetriebenen Reaktor (nur ist man bisher nicht ganz bei 100 Millionen Grad).

Es wird ziemlich sicher Platz für mehr als einen Fusionsgewinner geben. Zu den anderen Unternehmen gehört das in Kanada ansässige und von Jeff Bezos unterstützte Unternehmen General Fusion, das letztes Jahr von Investoren 130 Millionen Dollar erhielt. Wie beim magnetischen Einschluss bei CFS wird der Fusionsbrennstoff durch Magnetfelder zusammengehalten, während er zu einem Plasma erhitzt wird. Wie beim Trägheitseinschluss von NIF wird dann jedoch die für die Fusion erforderliche Dichte durch eine schnelle Kompression des Plasmas erreicht. Und schliesslich ist da noch TAE Energy aus Kalifornien, das wohl am weitesten mit der kommerziell erfolgreichen Kernfusion ist und bereits in den in den letzten zwanzig Jahren mit Kosten von einer Milliarde Dollar experimentiert hat und nun mit dem erfolgreichen Aufbringen weiteren Geldes innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre den ersten dauerhaft funktionsfähigen Kernfusionsreaktor bauen will, den sie schon heute als «Kopernikus» bezeichnen. Er soll zunächst auch mit Wasserstoffisotopen betrieben werden und bereit um das Jahr 2025 einen (permanenten) Nettoenergiegewinn erzielen. Dann wollen die Wissenschaftler in der Firma ihren Reaktor auf den bereits erwähnten Brennstoff p-11B umsteigen. Diese Reaktion besitzt den Vorteil, dass sie «aneutronisch» ist, d.h. sie erzeugt nicht die schwer zu kontrollierenden hochenergetischen Neutronen, die den grossen Teil der durch die Fusion der Wasserstoff-Isotopen erzeugten Energie tragen. TAEs Reaktor ist einer, der eine interessante Kombination aus einem Teilchenbeschleuniger und einem gewöhnlichen Plasmabehälter darstellt. Die ultrahohe Temperatur im Plasma wird dort erreicht, indem man Strahlen von Brennstoffteilchen beschleunigt und sie dann mit Plasmateilchen kollidieren lässt. Teilchenphysiker tun letzteres bereits seit Jahrzehnten. Die typischen magnetisch eingeschlossenen Plasmadonuts werden dabei durch eine langgestreckte Plasmaröhre in Form einer hohlen Zigarre ersetzt. Um die Stabilität zu verbessern, wird diese Röhre so um sich selbst gedreht, dass sie durch den gyroskopischen Effekt wesentlich stabiler wird. Theoretisch lässt sich mit diesem Ansatz auf viel höhere Temperaturen als die magischen 100 Mio. Grad kommen. TAE hat Belege dafür gefunden, dass die induzierte Stabilität und Ruhe im Plasma tatsächlich mit höherer Temperatur zunimmt! Es ist genau die Hypothese, dass diese vorteilhafte Skalierungseigenschaft bis zu 3 Milliarden Grad erhalten bleibt, auf der TAEs Ansatz beruht. Hier werden wir sehr wahrscheinlich in der nahen Zukunft einiges mehr erfahren.

Die Tatsache, dass Investoren zahlreiche Milliarden Dollar privates Kapital für die Entwicklung von Maschinen zur Kernfusionsenergie anzulegen bereit sind (mit einer entsprechend hohen Renditeerwartung), zeigt, dass sie sich in fünf oder nur wenig mehr Jahren eine kommerziell nutzbare Kernfusion versprechen. Kommerziell verfügbare Fusionstechnologie, stände sie uns eines Tages – und vielleicht schon bald – tatsächlich zur Verfügung, würde einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel bedeuten. Wären wir tatsächlich in der Lage, Energie wie die Sonne zu produzieren und uns damit Zugang zur effizientesten, sichersten und umweltfreundlichsten Energieform zu verschaffen, die die Natur zu bieten hat, so wäre dies sicher nicht nur ein weiterer grosser technologischer Fortschritt, sondern vielmehr ein zivilisatorischer Sprung, der gleichzusetzen wäre mit der Erfindung der Dampfmaschine, die uns vor 250 Jahren die Energie gab, unsere Gesellschaft komplett umzukrempeln. Die mit immer höheren Frequenz auftretenden Presseberichte über neue Ergebnisse in der Erzeugung kontrollierter Kernfusion könnte ein Zeichen sein, dass wir diesen bereits sehr bald erreicht haben könnten.

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Es ist spannend, diesen Wettlauf an Ideen und Ansätzen zu beobachten. Lasst uns hoffen, dass sich einige davon möglichst rasch als ökonomisch skalierbar und nettopositiv erweisen werden: wie schon von Dir im letzten Blog „Künstliches Fleisch“ beschrieben, müssen wir jede Chance nutzen, den Kipppunkt zu nicht-linearer Erwärmung zu vermeiden.
    Dabei erscheint mir der Ansatz von TAE – trotz grösserer Herausforderung beim Erreichen der ultrahohen Temperaturen – sehr vielversprechend zu sein, vor allem wenn die induzierte Stabilität dann auch tatsächlich mit steigenden Energien zunimmt.

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