Kommt die Klimakrise vielleicht noch viel früher und in weitaus dramatischer Form als bisher gedacht? – Zum ersten Teil des CMIP6-Reports des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)

Überall auf der Welt forschen Wissenschaftler zu Fragen des Klimas. Um die vielen verschiedenen Versionen der entwickelten Klimamodelle besser vergleichen zu können und die Forschungsbemühungen aufeinander abzustimmen, wurde Mitte der 1990er Jahre vom Weltklimaforschungsprogramm WCRP das internationale Coupled Model Intercomparison Project CMIP ins Leben gerufen. Die CMIP-Modelle wurden im Verlauf der letzten fast 30 Jahre mit immer weiter steigenden Komplexität und Qualität – also Genauigkeit – entwickelt. So wurde in den letzten Jahren die sechste Modellklasse (CMIP6) mit dem Bericht AR6 mit grösster Spannung erwartet (wobei aber schon viel davon vorab publiziert worden war). Dessen Publikation (die der ersten Gruppe, es folgt noch eine zweite) fand schliesslich am 9. August 2021 statt.

Einige Zusammenhänge, zum Beispiel die globale Wolkenbildung und die Wechselwirkung der Atmosphäre mit den Ozeanen, hatten sich lange nur unzureichend berechnen lassen. Immer wieder zeigten sich darin neue Rückkopplungen, deren Auswirkungen nun, mit AR6, etwas besser verstanden sind – wenn auch immer noch nicht perfekt. Mit der globalen Erwärmung und dem Abschmelzen von Eis ändert sich zum Beispiel der Salzwassergehalt in den Meeren. Diese Änderung beeinflusst die Meeresströmungen, doch wie sich dieser Effekt genau berechnen lässt und welche weiteren Temperatureffekte dies auslöst, weiss man zwar jetzt etwas besser, aber eben immer noch nicht sehr genau. Die Klimamodelle der CMIP6-Serie haben sich dieser Probleme weitaus intensiver angenommen, doch zukünftige CMIP-Serien werden sich ihnen noch detaillierter und weiteren offenen Probleme annehmen müssen.

Die CMIP6-Modelle sind in ihrem Anspruch an die Modellgenauigkeit noch einmal wesentlich ehrgeiziger als ihre Vorgänger-Modelle. Zum Beispiel wurde in einigen von ihnen die räumliche Auflösung der Gitter, auf denen das globale Klima modelliert wird, auf unter 100 Kilometer gebracht. Damit lassen sich die Effekte der Wolkenbildung auf das lokale und globale Klima besser erfassen. Zugleich steigt die zeitliche Dichte der Messungen deutlich an.

„Dieser Bericht ist unschätzbar für die künftigen Klimaverhandlungen und politischen Entscheidungsträger», sagte der Präsident des IPCC, der Süd-Koreaner Hoesung Lee. Etwas dramatischer drückte es Erich Fischer, Klimaforscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und einer der leitenden IPCC-Autoren, aus: „Der Klimazustand hat sich rasch weiterverändert, und das Zeitfenster, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, geht allmählich zu“. Was bezeichnend für den Bericht ist, dass sich im Vergleich zu den Verhandlungen über die AR5-Publikation vor fast acht Jahren die Debatten offensichtlich viel reibungsloser verliefen. Die IPCC-Autorenschaft setzte sich diesmal wohl klar gegen den bisher immer stattgefundenen Widerstand aus der Politik gegen klare Formulierungen durch. Zudem wurde die Wissenschaftlichkeit des Berichts nicht mehr angetastet. So wird nun auch die Verantwortlichkeit klar dargestellt: Der Mensch ist gemäss IPCC klar und deutlich für die gesamte beobachtete Erderwärmung seit der vorindustriellen Zeit verantwortlich (1,6 Grad auf dem Land, 0,9 Grad über dem Meer, 1,1 Grad im globalen Mittel)!

Ihr Ergebnis fällt insgesamt erschütternd aus als von den meisten Menschen erwartet. So könnte der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau, die ja gemäss dem Pariser Abkommen möglichst nicht überschritten werden sollte, bereits früher erreicht werden als bisher angenommen und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bereits in den frühen Dreißigerjahren erreicht werden, wenn der Ausstoss von Treibhausgasen nicht drastisch reduziert wird. Im IPCC-Sonderbericht von 2018 lag die Schätzung, wann die 1,5 Grad erreicht unter diesen Bedingungen wird, zwischen 2030 und 2052. Heute liegt die Schätzung des allerspätesten Zeitpunkts bei 2040. Die Weltgemeinschaft wird damit wohl die Pariser Ziele krachend verfehlen, wenn der Treibhausgasausstieg nicht schneller und drastischer sinkt, so die Aussage des Berichtes.

Die Veröffentlichung des Berichts fiel just in die katastrophalen Wochen mit Überschwemmung in Deutschland und der Schweiz, extreme Hitze in Kanada und dem Nordwesten der USA, Hitzerekorde in Nord- und Südeuropa, massive Feuer in der Türkei, und starke Überflutungen in China. All dies – und insbesondere die Gleichzeitigkeit all dieser Ereignisse – wäre ohne die Hitzerekorde nicht möglich gewesen, so der Konsens der Klimaforscher. In ausnahmslos allen Erdteilen werden extrem heiße Tage deutlich zunehmen. Zugleich wird es wahrscheinlicher, dass Hitzewellen und Dürren oder Starkregen und Stürme gleichzeitig auftreten. Klar ist für die Klimaforscher auch, dass wir die kritische Zwei-Grad-Grenze höchstwahrscheinlich überschreiten, wenn wir die Treibhausgasemmission nicht vor der Mitte des Jahrhunderts auf Null oder nahe Null senken. Dies erscheint vielen als eine zu polemische Aussage. Aber in den Wissenschaften ist es halt nicht erlaubt, die Welt so zu sehen, wie sie die Politiker, Ökonomen und viele andere gerne hätten. Vielmehr zeigen uns Wissenschaflter, wie sie wirklich ist. Und es ist wahrlich historisch bei weitem nicht das erste mal, dass sie damit auf öffentlichen Widerstand stossen.

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  • „Aber in den Wissenschaften ist es halt nicht erlaubt, die Welt so zu sehen, wie sie die Politiker, Ökonomen und viele andere gerne hätten. Vielmehr zeigen uns Wissenschaftler, wie sie wirklich ist.“

    Diese Aussage gilt leider nicht uneingeschränkt. Dazu zunächst folgende Fragen: Warum wird eigentlich nicht von der Vernunft einfach alles Mögliche gemacht, um den Klimawandel zu stoppen? Eine verwandte Frage in der aktuellen Pandemie: Warum gibt es so viele Impfgegner, da doch in dieser Krise die Fakten viel einsichtiger vorhanden sind als beim Klimaproblem? Wie wird das erst, wenn die Klimakrise wirkliche Einschränkungen erfordert, die denen eines Lockdowns in der Pandemie gleichkommen oder sogar weit übersteigen?

    Wer diesen Aspekt der Klimakrise beleuchten will, der wird früher oder später auf die Natur des Menschen stoßen. Die Wissenschaft, die dafür zuständig ist, ist die Evolutionsbiologie. Doch da gab es in den letzten Jahren ein außergewöhnliches Ereignis und infolgedessen einen handfesten Streit. Das außergewöhnliche Ereignis liegt darin, dass der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson, der in den 1970er Jahren das neue Paradigma der Soziobiologie mit ihrem Kern der Verwandtenselektion oder Gesamtfitness aus schon bestehenden Einzel-Theorien formuliert hatte, es seit dem Jahr 2010 aufgrund neuer empirisch gewonnener Erkenntnisse in aller Konsequenz falsifiziert hat. Wilson sagt nun: „Und doch war die Gesamtfitnesstheorie nicht nur falsch, sondern grundlegend falsch“ (Wilson 2015, „Der Sinn des menschlichen Lebens“, S. 75)

    Doch diesmal sind ihm seine Kollegen nicht begeistert gefolgt, ganz im Gegenteil, man setzt sich bis heute nicht einmal sachlich damit auseinander. Beispielhaft dafür steht die Reaktion des Evolutionsbiologen Richard Dawkins, die Wilson selbst so wiedergibt:
    „Als ich 2012 in meinem Buch Die soziale Eroberung der Erde (dt. 2013) Teile meiner Argumente wiederholte, reagierte Richard Dawkins mit der leidenschaftlichen Empörung des wahren Gläubigen. In seiner Rezension für das britische Magazin Prospect riet er, einfach nicht zu lesen, was ich geschrieben hatte, sondern das ganze Buch wegzuwerfen, und das «mit kräftigem Schwung».“ (Wilson 2015, „Der Sinn des menschlichen Lebens“, S. 78)

    Was hat dieser Streit mit der Klimakrise zu tun? Mit seinem neuen Ansatz zur Evolution des Menschen kommt der in der Evolutionsbiologie nun isoliert da stehende Wilson zu folgenden Aussagen:
    „Unterdessen leben wir auf schockierende Weise willenlos vor uns hin und haben kein anderes Ziel im Kopf als Wirtschaftswachstum, ungehemmten Konsum, Gesundheit und persönliches Glück. Die Umweltbilanz all dieser Aktivitäten ist freilich negativ, die Biosphäre wird labil und weniger freundlich, unsere langfristige Zukunft immer ungewisser“ (Wilson 2016, „Die Hälfte der Erde“, S. 10).
    „Um einmal zur Ruhe zu kommen, bevor wir den Planeten vollständig ruiniert haben, sollten wir zumindest lernen darüber nachzudenken, woher unsere Art wirklich kommt und was wir heute sind“ (Wilson 2016, „Die Hälfte der Erde“, S. 58).

    In der von Wilson so vernichtend kritisierten Soziobiologie dagegen spielen Probleme wie der Klimawandel überhaupt keine Rolle. Jetzt im August findet wieder die alljährliche Tagung der MVE-Liste (Menschliches Verhalten in evolutionärer Perspektive) statt, die sich ausdrücklich unter dem Punkt „Info“ ihrer Webseite auf das alte, soziobiologische Paradigma beruft. Kein einziger der geplanten Vorträge wird auf dieser Tagung etwas mit dem Klimawandel oder dem Artensterben zu tun haben (siehe https://www.tu-braunschweig.de/psychologie/methoden/mve-2021).

    Von der Evolutionsbiologie her lässt sich zur Klimakrise folgendes sagen: Wer hierbei die Natur des Menschen nicht berücksichtigt, der wird sich noch wundern, welche politischen und sozialen Auseinandersetzungen diese Krisen begleiten werden. Trumpismus und heutige Verschwörungsmythiker sind da noch harmlose Vorboten.

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