Von Mathematik und Genderpolitik II – Zum Tod der Mathematikerin Maryam Mirzakhani

Zuweilen überrascht die Aktualität des eigenen Schreibens den Autor selbst. Vor wenigen Tagen ging es an dieser Stelle um Emmy Noether, die grösste Mathematikerin des 20. Jahrhunderts. Dabei war die Rede auch von der bisher grössten Mathematikerin des 21. Jahrhunderts: Maryam Mirzakhani ist die bislang einzige weibliche Gewinnerin der höchsten Auszeichnung in der Mathematik, der Fields-Medaille, die oft auch als „Nobelpreis für Mathematik“ bezeichnet wird (aber nur alle vier Jahre verliehen wird und dies ausschliesslich an Personen unter 40 Jahren). Und nun erreichte uns an diesem Wochenende die traurige Nachricht, dass diese aussergewöhnliche Frau gerade einmal 40-jährig an einem Brustkrebsleiden gestorben ist. Sie hinterlässt ihren Mann, den Informatiker und angewandten Mathematiker Jan Vondrák, und eine sechsjährige Tochter.

Ihr Werdegang war geradezu märchenhaft und steht wie kaum ein anderer für die Möglichkeiten talentierter Frauen in der Mathematik heute, von denen Emmy Noether nur träumen konnte. Maryam Mirzakhani wurde 1977 in Teheran geboren, einem Staat, der im Allgemeinen nicht dafür bekannt ist, sich die Förderung der Frauen und geschlechtliche Gleichberechtigung auf die Fahnen geschrieben zu haben. Dennoch gibt es dort Spezialschulen des Staates für besonders talentierte Mädchen, die so genannten „Farzanegan Schulen“. Eine solche besuchte Maryam Mirzakhani. In den Jahren 1994 und 1995 gewann sie für ihr Heimatland bei der Internationalen Mathematikolympiade jeweils die Goldmedaille. Doch schon gleich nach ihrem Bachelor-Abschluss 1999 an der Sharif-Universität in Teheran zog es sie ins Ausland, wo sie 2004 an der Harvard Universität ihre Doktorarbeit einreichte, für die sie später den „Blumenthal Award der American Mathematical Society“ erhielt. Ihr Aufstieg war geradezu kometenhaft. Schon im Jahr 2008 wurde Mirzakhani auf eine Professur an der renommieren Stanford Universität berufen. Wenn das Emmy Noether nur noch erlebt hätte!

Und auch nach ihrer Berufung zur Professorin ging der Aufstieg Mirzakhanis steil weiter. Es gelang ihr in den folgenden Jahren, einige erstaunliche Sätze auf den Gebieten der Topologie und algebraischen Geometrie zu beweisen – was im Übrigen auch die Felder sind, auf denen Emmy Noether ihre bahnbrechendsten Arbeiten verfasste. So hat sich Mirzakhani insbesondere mit der Erforschung der Symmetrie von gekrümmten Flächen beschäftigt. Dabei hat sie bestimmte geschlossene Kurven auf hyperbolischen Flächen untersucht, deren Länge sich interessanterweise nicht ändert, wenn man sie verformt. Dies gilt zwar als „reine Mathematik“, gab aber wichtige Impulse auch für die theoretische Physik, insbesondere für die Quantenfeldtheorien (auch dies eine interessante Parallele zu Emmy Noether). Im Jahr 2014 wurde ihr die Fields-Medaille für „herausragende Beiträge zur Geometrie und Dynamik Riemannscher Flächen und ihrer Modulräume“ verliehen, wobei sie „Methoden verschiedener Gebiete wie algebraische Geometrie, Topologie und Wahrscheinlichkeitsrechnung zusammengebracht hat“. Eine Einführung in ihr Werk gibt es hier. Doch bereits bei ihrer Preisverteilung in Seoul, bei der sie den allergrössten Applaus von der anwesenden Mathematiker-Zunft erhielt, trug Maryam Mirzakhani schwer an der Diagnose ihrer Krankheit.

In ihrem Heimatland wurde der Tod Mirzakhanis mit Trauer, aber auch mit Stolz und Lobeshymnen auf ihre Leistungen aufgenommen. Zahlreiche Tageszeitungen führten ihr Bild auf der ersten Seite, und Präsident Hassan Rohani persönlich bezeichnete die Nachricht als „herzzerreissend“. Trotz ihres westlichen Lebensstils war sie im Iran eine populäre Figur, seitdem sie als erste Frau überhaupt den höchsten Berg der Mathematik erklommen hatte. Damals hatte sich Rohani unmittelbar nach der Verleihung der Fields-Medaille ebenfalls persönlich per Tweet gemeldet um ihr zu gratulieren und daraufhin eine Kopftuchdebatte ausgelöst. Denn mit dem Tweet veröffentlichte er zwei Bilder der Geehrten. Eines zeigte sie mit ihrer in der Öffentlichkeit bekannten Kurzhaarfrisur, das andere mit Kopftuch. Kleidungsvorschriften sind für Frauen in Iran sehr streng, und Verstosse gegen die Kopftuchpflicht werden bis heute mit Gefängnis und zuweilen sogar Peitschenhieben bestraft. Die nationalen iranischen Medien berichteten damals grösstenteils kritisch über Rohanis Nachricht und dem Bild der Mathematikerin ohne Kopftuch. Doch bekam der Präsident von vielen Seiten auch Zuspruch, dass er Mirzakhanis Leistung über ihr fehlendes Kopftuch gestellt hatte. Und so soll es auch sein: Im 21. Jahrhundert werden Frauen nach ihrer Leistung und nicht ihrer Bekleidung oder ihres Aussehens wegen beurteilt. Heldinnen wie Maryam Mirzakhani erinnern uns daran und inspirieren uns dazu, auch wenn wir heute in erster Hinsicht um sie trauern.

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