Eine wissenschaftliche Spitzenleistung in der Gentechnik – Von der Corona-Impfung bald auch zur Behandlung von Krebs?

Die Trump-Administration, grosse Teile des US Kongresses, der brasilianische Präsident, der grösste Teil der deutschen AfD und bedeutende Teile der schweizerischen SVP haben in der Covid-Krise aktiv wissenschaftsbasierte Schutzmaßnahmen für Gesundheit und Sicherheit untergraben, wissenschaftliche Erkenntnisse beiseitegeschoben und zu vielen Anlässen immer wieder die wissenschaftlichen Integrität an sich in Frage gestellt. Doch sind die kürzlich erzielten Erfolge bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Corona-Virus nichts weniger als einer grössten Triumphe der Wissenschaften der letzten Jahre. Die Entwickler des Impfstoffes BNT162b2 der deutschen Firma BioNTech, das deutsch-türkische Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci, wurden 2020 sogar zur «Financial Times Person des Jahres» gewählt. Es war nur das zweite Mal in der 50-jährigen Geschichte dieser Auszeichnung, dass diese an einen Wissenschaftler/eine Wissenschaftlerin ging (im Jahr 2000 ging sie an den amerikanischen Biotechnologen Craig Venter, und 1999 ging die Auszeichnung «Financial Times Person des Jahrhunderts» an den Mathematiker und Computer-Pionier John von Neumann). BioNTech arbeitete für die Entwicklung, Logistik, Finanzen, die Überwachung der klinischen Studien und für die Herstellung mit der US Firma Pfizer zusammen (in den US Medien wird fälschlicherweise oft vom «Pfizer-Impfstoff» gesprochen, doch Pfizer ist nur Lizenznehmer und in China gar nicht dabei, denn dort wurde die Lizenz für Vertrieb und Herstellung von der chinesischen Firma Fosun erworben). Nichtsdestotrotz herrscht in der Bevölkerung eine breite Skepsis gegenüber dem Impfstoff, was Anlass sein soll, diesen Impfstoff einmal genauer zu betrachten.

Die Impfung gegen Virus- und Bakterienkrankheiten ist eine der grössten Erfolgsgeschichten der modernen Medizin. Sie hat die Häufigkeit von Infektionskrankheiten wie Masern, Mumps, Diphtherie und Röteln stark reduziert und andere, wie die Pocken, ausgerottet. Doch gegen sich schnell entwickelnde Krankheitserreger wie Influenza oder neu auftretende Bedrohungen wie das Ebola- oder Zika-Virus erweisen sich herkömmliche Impfstoffansätze als nicht so effektiv. Im Allgemeinen wird bei einer Schutzimpfung das Immunsystem selbst zur Entwicklung einer erregerspezifischen Immunkompetenz durch die Bildung körpereigener Schutzstoffe angeregt, ohne dass er die gesamte Infektionskrankheit selbst durchmacht. Hierzu dienen normalerweise Lebend- oder Totimpfstoffe, abgeschwächte Erreger, die die Krankheit selbst nicht auslösen, im ersten Fall noch vermehrungsfähige, im letzten Fall abgetötete (also nicht mehr vermehrungsfähige, bei Viren kann man eigentlich nicht von «Leben» sprechen). Als eine erste Form der Impfungen diente Kuhpockenmaterial, daher das Wort Vakzination vom lateinischen «vacca» für Kuh. Diese konventionelle Form der Impfstoffe sind aufwendig und sehr langwierig in der Herstellung, der Umgang mit dem Material erfordert besondere Sicherheitsvorkehrungen, und es braucht oft Wirkstoffverstärker, so genannte Adjuvantien, um die gewünschte Immunantwort zu erzielen.

Hier kommen die immensen Fortschritte in der Gentechnik der letzten Jahre und die Entwicklung von  «genetischen Impfstoffen» ins Spiel. Aufgrund ihrer größeren Wirksamkeit, besserer Sicherheit und kürzeren Herstellungszeiten könnten sie einen bedeutenden Einfluss bei der zukünftigen Entwicklung von Impfstoffen haben. Genetische Impfstoffe enthalten die genetischen Informationen des Erregers, die nach Verabreichung von den eigenen Körperzellen in entsprechende Proteine übersetzt werden. Wie bei einer echten Virusinfektion wird damit eine Abwehrreaktion des Immunsystems ausgelöst. Besonders viel Aufmerksamkeit gilt heute den so genannten «mRNA-Impfstoffen»: Bei ihnen wird  eine mRNA (messenger RNA)-Sequenz in den Körper eingeführt, die ein bestimmtes spezifisches Protein des Virus (ein Antigen) kodiert. Diese Erbinformation dient als Bauplan, nach dem die Zellen von Geimpften nun das entsprechende Virusprotein selbst herstellen können. Sobald das Protein im Körper produziert wurde, wird es vom Immunsystem als nicht körpereigen erkannt und durch entsprechende Antikörper und T-Gedächtniszellen vernichtet .Dies bereitete den Körper des Geimpften auf die Bekämpfung des echten Antigens (d.h. des echten Virus) vor. Im Fall des SARS-CoV-2-Virus handelt es sich bei dem Ziel-Protein, das in der mRNA kodiert ist, um das besondere Corona-Spike-Protein, das auf der Oberfläche von Sars-CoV-2 sitzt und an die Wirtszellen andockt. Der Körper wird so in die Lage versetzt, Zellen mit diesem Protein zu zerstören, ganz als ob er mit dem echten Corona-Virus infiziert war und nun immun gegen dieses ist.

Die Verwendung von mRNA hat mehrere vorteilhafte Eigenschaften gegenüber konventionellen Impfstoffen in Form von abgetöteten Tot- oder abgeschwächten Lebendviren:

  1. Sicherheit: mRNA-Impfstoffe werden nicht mit Erregerpartikeln oder inaktivierten Erregern hergestellt, sind also nicht infektiös. mRNA kann auch nicht in die DNA dringen (leider werden zu diesem Punkt über die soziale Medien erhebliche Fehlinformationen verbreitet). Daher gibt es weder das Risiko einer Infektion noch das einer Veränderung der DNA. Zudem wird mRNA durch normale zelluläre Prozesse schnell abgebaut. Ohne Schutz geschieht das durch im Körper überall vorhandene Enzyme sogar innerhalb von Minuten. Seine in vivo-Halbwertszeit kann (und muss) durch verschiedene Modifikationen und Verabreichungsmethoden reguliert werden (s.u.). mRNA-Impfstoffe sind daher sicherer als herkömmliche Impfungen.
  2. Wirksamkeit: Die klinischen Studienergebnisse zahlreicher verschiedener Anbieter deuten darauf hin, dass mRNA Impfstoffe eine sehr zuverlässige Immunantwort hervorrufen und von gesunden Menschen mit wenigen Nebenwirkungen gut vertragen werden. mRNA ist der minimale genetische Vektor, weshalb eine Anti-Vektor-Immunität vermieden wird und mRNA-Impfstoffe wiederholt verabreicht werden können.
  3. Kostengünstige und schnelle Herstellung: Auf spezifische Viren ausgerichtete mRNA-Impfstoffe können sehr schnell, kostengünstig, mit leicht verfügbaren Materialien und in grossen Mengen hergestellt werden. Ihre gesamte Produktion erfolgt im Labor, und der Prozess kann standardisiert und skaliert werden, was eine schnelle Reaktion auf zukünftige grosse Ausbrüche und Pandemien ermöglicht. Der Startschuss der Forschungsaktivitäten zur Entwicklung eines mRNA Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 weltweit war die Veröffentlichung der genetische Sequenz des Virus am 10. Januar 2020. Bereits am 16. März ging der erste COVID-19-Impfstoffkandidat in die klinische Prüfung am Menschen. Nächstes Jahr werden Milliarden von Impfdosen zur Verfügung stehen.

Weil mRNA im Körper so schnell abgebaut wird, war ihre Verwendbarkeit bis vor kurzem sehr beschränkt. Aus diesem Grund waren frühere klinische Studien bei Influenza und Tollwut nicht so erfolgreich wie gehofft. Weil deren Wirkung weniger durchschlagend war, waren grössere RNA-Mengen notwendig. Bis zur Entwicklung des Covid-Impfstoffes BNT162b2 hatte es daher noch keine Zulassung eines  mRNA-Impfstoffs für die Anwendung am Menschen gegeben. Hier liegt nun der Fortschritt: Um den Transport zu erleichtern und die mRNA ausrechend lang zu erhalten, bis sie im Zellinneren angekommen ist, wird der RNA-Strang in ein grösseres Molekül (in so genannte Liposomen) eingebaut, sozusagen verpackt. Die mRNA-Impfstoffe müssen daher (wie herkömmliche Impfstoffe) eingefroren und bis kurz vor der Verabreichung gekühlt werden.

mRNA-Impfstoffe werden aber nicht nur gegen Infektionskrankheiten entwickelt, sondern auch gegen verschiedene Krebsarten, wo sie ebenfalls ermutigende Ergebnisse zeigen. So waren Sahin und Türeci bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie vornehmlich auf Krebsbehandlungen konzentriert. Krebsimpfstoffe sind eine Form der Immuntherapie, bei der der Impfstoff das Immunsystem dazu bringt, sich selbst gegen den Krebs zu richten. So wird längst an Zellimpfstoffen geforscht, bei denen die mRNA-Sequenz im Impfstoff so gestaltet ist, dass sie krebsspezifische Antigene kodiert. Es gibt bereits über 50 klinische Studien für mRNA-Impfstoffe für eine Reihe von Krebsarten, darunter Blutkrebs, Melanom, Glioblastom (Hirntumor) und Prostatakrebs. So sequenzierten Forscher zum Beispiel die Genome von Tumoren von Patienten mit Melanom. Sie stellten die jeweilige mRNA her, die die mutierten Proteine kodierten, die spezifisch für die Krebsarten der Patienten waren und so eine Immunantwort auslösen konnten, und machten daraus patientenspezifische Impfstoffe. Acht von dreizehn geimpften Personen blieben bis zu zwei Jahre später tumorfrei.

Es könnte durchaus sein, dass die Covid-19 Pandemie der Startschuss für einen breiten Durchbruch in der Behandlung von Krebs- und Infektionskrankheiten durch genetische Impfstoffe und patientenspezifische Medikamente sein wird. Bis die Wissenschaftsskeptiker, Gentechnik-Gegner und Impfgegner dies verstanden haben, wird aber vermutlich leider noch ein wenig mehr Zeit vergehen.

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