50 Jahre nach der ersten Herztransplantation – Ein neues Zeitalter der Medizin bricht an

5000 Herzen werden weltweit pro Jahr transplantiert. Das Verfahren gehört heute zu den Standardprozeduren in der Chirurgie. Begonnen hat all dies vor genau 50 Jahren. Es war der medizinische Coup des Jahrhunderts, als es dem südafrikanischen Chirurg Christiaan Barnard am 3. Dezember 1967 gelang, als Erster erfolgreich ein Herz von einem Menschen in einen anderen zu verpflanzen. Barnard transplantierte das Herz einer jungen Frau, die am Tag zuvor in einem Verkehrsunfall gestorben war, in die Brust des 54-jährigen Louis Washkansky. Manche nannten dies später „die Mondlandung der Medizin“, andere die kontroverseste Operation in den Geschichte der Medizin.

Auch wenn Barnard danach den Status eine öffentlich verehrten Magiers und Popstars erhielt, dauerpräsent in den Boulevardblättern der Welt war und nach Nelson Mandela der zweitprominenteste Südafrikaner wurde (wobei er auch selber sein Leben auf Affären, Geld und Ruhm ausrichtete), so war er vor seiner Operation keineswegs der Experte, als der er später beschrieben wurde. Er hatte zuvor nur wenige Versuche mit Tieren gemacht, und auch diese nur mit beschränktem Erfolg. Er war alles andere als ein Pionier auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin gewesen. Mediziner, die weit mehr Erfahrung mit Organtransplantation in Tieren hatten, waren von Barnards Operation schockiert, dass jemand, der kaum echte eigene Forschung auf dem Gebiet gemacht hatte, den Mut beziehungsweise die Frechheit hatte, ein solches Unterfangen zu wagen.

So arbeitete Barnard während seines epochemachenden Eingriffs auch keineswegs fehlerfrei. Bereits während der Operation unterlief ihm ein schwerwiegender Fehler, der das Leben seines Patienten beinahe schon vor der eigentlichen Transplantation beendet hätte. Dieser überlebte dann auch nur 18 Tage, bevor er einer Lungenentzündung erlag. Die Erreger der tödlichen Krankheit konnten sich nur deshalb derart schnell verbreiten, weil Barnard das Immunsystem Washkanskys durch Medikamente extrem stark unterdrückt hatte. Denn er hatte angenommen, dass das neue Herz vom Körper akut abgestossen würde – was sich als nicht zutreffend herausstellte. Die Barnard so berühmt gemachte Operation verschaffte seinem Patienten daher wohl kaum ein längeres Leben, als dieser mit dem eigenen, kranken Herzen noch gehabt hätte. Die Auswirkungen auf die Chirurgie jedoch waren gewaltig: Was in den 12 Monaten nach dem Eingriff Barnards folgte, war eine, wie die New York Times schrieb, „Epidemie von Herztransplantationen“, mit etwa 100 Operationen weltweit. Die echten Experten trauten sich nun auch an die Operation. Manchmal braucht es eben solchen Mut, damit der technische Fortschritt seine konkrete Gestalt annimmt, oder eben auch die Portion Verrücktheit, die Barnard zweifellos an den Tag legte. Heute ist es sogar möglich, dass Menschen mit Spenderherzen einen Marathon laufen oder den Fuji in Japan besteigen.

Nahezu auf den Tag 15 Jahre später begann die Ära der Kunstherzen (genauer, der Herzunterstützungssysteme): Am 2. Dezember 1982 wurde dem Amerikaner Barney Clark in der Universitätsklinik von Utah das erstes dauerhafte Herzimplantat eingesetzt. Künstliche Herzen werden Herzkranken heute oft als Übergang eingesetzt, bis ein Spenderherz zur Verfügung steht. Unterdessen können Patienten mit ihnen bis zu fünf Jahre und mehr überleben. Zuweilen kann sich in dieser Zeit das Herz des Kranken mit Hilfe des Kunstherzens sogar so gut erholen, dass es danach wieder voll funktionsfähig ist und das Kunstherz explantiert werden kann.

Die Hoffnungen der Mediziner gehen unterdessen allerdings noch viel weiter: Sie träumen bereits von der Organzüchtung. Mit Hilfe von Stammzellen suchen sie nach Möglichkeiten, die den Empfänger toleranter für ein fremdes Herz machen, ohne dass dabei das Immunsystem gedämpft werden muss. Damit könnte sogar die Übertragung artfremder Organe, die so genannte Xenotransplantation, bald reif für die Praxis sein. Schweine gelten derzeit als die besten Kandidaten für tierische Organspenden. Sie sind leicht verfügbar, ihre Organe sind anatomisch vergleichbar mit denen des Menschen, ihr Herz erreicht eine vergleichbare Leistung und neue Infektionserreger sind eher unwahrscheinlich, da Schweine seit vielen Generationen in engem Kontakt mit Menschen stehen. Wissenschaftler forschen zu Zeit daran, Schweine genetisch so zu verändern, dass ihre Organe von unserem Körper nicht mehr als fremd erkannt werden.

Doch arbeiten Forscher weltweit bereits an noch dramatischeren Alternativen: Biologen und Mediziner verfolgen das Ziel, Ersatzorgane selber herzustellen. Diese Idee ist keineswegs neu. So brachte bereits vor über hundert Jahren der Zoologe Ross Harrison ausserhalb des Körpers kultivierte Nervenzellen dazu, sich zu teilen und zu vermehren. 1972 liessen Richard Knazek und sein Team Leberzellen von Mäusen auf Hohlfasern wachsen. Und nur zehn Jahre später wurde Brandopfern Haut transplantiert, die zuvor aus ihren körpereigenen Zellen gezüchtet worden waren. Im Jahr 1999 gelang es dann das erste Mal, aus embryonalen Stammzellen von Mäusen Nervenzellen zu züchten. Als diese anderen Mäusen eingefügt wurden, die an einer Art Multipler Sklerose erkrankt waren, wurden die Tiere wieder gesund.

Mit diesem „tissue engineering“ (Gewebe-Herstellung) steht den Medizinern eine weitere machtvolle Methode zur Verfügung. Konkret könnte ihre Anwendung wie folgt aussehen: Dem Spender-Organismus werden ausdifferenzierte Zellen entnommen und im Labor vermehrt, um damit wiederum krankes Gewebe beim Patienten zu ersetzen. Das Problem dieser Methode sind jedoch nach wie vor auftretende Abstossungsreaktionen unseres Körpers. Hier kommen die Stammzellen ins Spiel. Zunächst wurden adulte, also nicht-embryonale, und damit auch bei Erwachsenen vorkommende, Stammzellen des Patienten für das tissue engineering verwendet. Der Vorteil: Derart gezüchtetes Gewebe wird vom Immunsystem des Patienten nicht als Fremdkörper eingestuft und abgestossen. Adulte Stammzellen sind multi- aber nicht totipotent, zum Beispiel kann eine adulte Stammzelle aus der Haut alle Zelltypen der Haut generieren, nicht aber eine Leberzelle oder eine Blutzelle. Ein bedeutender nächster Schritt gelang 2006 mit der Herstellung von „induzierten pluripotenten Stammzellen“ (iPS): Wissenschaftler aus Kyoto verwandelten adulte Stammzellen in ihren embryonalen Zustand zurück. Embryonale Stammzellen sind im Gegensatz zu adulten Stammzellen pluripotent, d.h. sie können sich in alle möglichen Gewebezellen differenzieren. Aus den iPS-Alleskönnern kann daher jedes beliebige Gewebe gezüchtet werden – und das massgeschneidert für den Patienten, aus dessen Körper die ursprüngliche adulte Stammzelle stammte.

Mit Stammzellen könnte auch eine weitere Technologie des tissue engineering zum Zug kommen: Hier wird aus einem Spenderorgan die DNA entfernt, übrig bleibt das Kollagengerüst des Organs, das dann mit Stammzellen des Patienten besiedelt wird. Es ist so, als würden aus einem Wohnblock die alten Bewohner vertrieben und neue Mieter übernehmen die leeren Wohnungen. Bei Gelenken, Harnblasen, Haut oder Harnleiter ist eine derartige Herstellung „patienten-eigenen“ Gewebes bereits gelungen. Das Kollagengerüst kann sogar im Labor geformt werden, ein Spenderorgan ist dann nicht mehr notwendig. Auf diese Weise gelang es im Wake Forest Baptist Medical Center für Regenerative Medizin in North Carolina, künstliche Vaginen herzustellen, die Patientinnen erfolgreich implantiert wurden. Theoretisch können diese Frauen sogar Kinder bekommen. Künstliche Penisse aus dem Labor befinden sich ebenfalls bereits in der Testphase.

Auch können wir Körperorgane bereits drucken. Dies geschieht auf der Grundlage einer kleinen Gewebeprobe und einer 3D-Aufnahme des entsprechenden Organs. Mit körpereigenen „Tinte-Zellen“, die aus Stammzellenkulturen produziert werden, wird dann das Organ schichtweise aufgebaut (in der 3D-Druck-Terminlogie spricht man auch vom „Rapid-Prototyping-Verfahren“). Bereits heute werden Hüftknochen- und Fussknochen-Transplantate in solchen 3D-Druckern mit einer noch vor wenigen Jahren unvorstellbaren Detailtreue hergestellt. Im Mai 2017 gaben Forscher von der Northwestern University in Chicago sogar bekannt, dass es ihnen gelungen ist, funktionsfähige Eierstöcke von Mäusen im 3D-Drucker zu produzieren. Drei von sieben Mäusen brachten damit gesunden und ihrerseits reproduktionsfähigen Nachwuchs zur Welt. „Die hier entwickelten Verfahren sind die ersten notwendigen Schritte, um die Möglichkeit eines Projektes wie die Erschaffung von menschlichen Eierstock-Prothesen auszuloten“, so die Forscher in ihrem Report.

Es spricht nichts dagegen, dass in Zukunft ganze Körperteile, inklusive innere Organe, routinemässig modelliert und ausserhalb des menschlichen Körpers gezüchtet oder ausgedruckt werden. Medizinische Werbesprüche könnten in Zukunft lauten:
• „Sie wollen keine Insulinspritzen mehr für Ihre Diabetes? Wir züchten Ihnen eine neue Bauchspeicheldrüse.“
• „Parkinson? Wir lassen Ihnen neue Nervenzellen wachen.“
• „Querschnittsgelähmt nach einen Unfall? Wir züchten Ihnen neue Rückenmarksstränge.“
• „Herzschwäche? Wir wachsen ihnen ein neues Herz.“
Was bisher nur Science-Fiction-Fans vertraut war, könnte heute, nur 50 Jahre nach der ersten Herztransplantation, schneller Realität werden als sich dies die meisten Menschen vorstellen können.

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